Reportage
Das blaue Wunder
19. Januar 2016Parkplatzstress: Parkplätze sind ein Luxusgut. Unser Reporter Jan Strobel machte sich auf die Suche nach einer Lücke in der blauen Zone. Ein subjektiver Erfahrungsbericht.
Als der Schnee an diesem Sonntagabend über Wiedikon hereinbricht und die Strassen in ein Wintermärchen verwandelt, kommt bei mir, je mehr Flocken auf der Windschutzscheibe herumtänzeln, der Ärger hoch. Seit einer halben Stunde bin ich unterwegs, kurve zwischen Goldbrunnenplatz, Schmiede Wiedikon und Manesseplatz herum, getrieben von der Hoffnung auf ein Wunder. Das Wunder, es ist ein freier Parkplatz in der blauen Zone. Und das Wunder hat seinen Preis. Vor ein paar Wochen war die Rechnung von der Dienstabteilung Verkehr wie jedes Jahr ins Haus geflattert. 300 Franken für meine Anwohnerparkkarte. 2011 hatte das der Gemeinderat so festgelegt; die Diskussionen um die Gebührenerhöhung kochten damals natürlich hoch, die Bürgerlichen sprachen von «Abzocke», von «buchhalterischen Taschenspielertricks»; den Grünen ging die Erhöhung, wenig überraschend, nicht weit genug.
Ich gehörte damals zu den Autofahrern, welche sich, freilich mit der Faust im Sack, in ihr Schicksal fügten. Ich gehörte aber auch zu denen, welche bei angeregten Tischrunden mit Freunden die Freiheit verteidigte, ohne Bevormundung über mein Mobilitätsverhalten entscheiden zu können – selbst in einer ÖV-Stadt wie Zürich. Ich erntete spöttische Blicke. Meine Freunde sind Velofahrer, sie finden, ich habe ein Weltbild aus den 70ern. Nicht im Auto liegt für sie der Fortschritt, sondern im Velo, in einer gemächlichen, idyllischen Velostadt. Ihre heilige Stadt heisst Kopenhagen, das Velomekka. Aber Kopenhagen, denke ich säuerlich, während ich die Goldbrunnenstrasse vergeblich nach einer Lücke absuche, ist von einer zeitgeistigen Langweiligkeit.
Der Club der Verzweifelten
Die Parkplatzsuche tritt zu diesem Zeitpunkt in ein neues Stadium ein. Es ist das Stadium des Stresses, in dem an Objektivität bei meinen Urteilen natürlich nicht mehr zu denken ist. Der Rücken beginnt zu schmerzen, die Augen sind angestrengt. Und ich bin nicht allein an diesem Abend. Auch andere Autofahrer schleichen durch die Quartierstrassen, es bildet sich gleichsam ein Club der verzweifelten Parkplatzsucher. War die blaue Zone einmal nicht gerade zur Bekämpfung dieses Suchverkehrs eingeführt worden? Es müsste in einer Stresssituation wie dieser jetzt das zum Zug kommen, was Psychologen das «Anforderungs-Bewältigungs-Paradigma» nennen. Die Parkplatzsuche wird zum Stressor, die eigenen Bewältigungsressourcen sollten dringend bewertet werden, hinter dem Steuer. Ich zünde mir missmutig eine Zigarette an und überlege mir eine Lösung, denn zweifellos unterliege ich einem Denkfehler aus Bequemlichkeit. Einen privaten Parkplatz mieten? Persönliche Freiheit hat immer ihren Preis, es gibt kein Menschenrecht auf blaue Parkplätze. Also auf den ÖV umsteigen, das geliebte Auto verkaufen? Sich ein Velo an der Velobörse besorgen? Grün werden? Später frage ich den Mobilitätsvisionär Frank M. Rinderknecht um Rat. Er meint pragmatisch: «Der Wunsch nach individueller Mobilität im Sinne der Selbstbestimmung kann durch ideologische Gedanken höchstens marginal eingedämmt werden. Im Gegenteil unterstützen neuartige Mobilitätsanbieter wie Uber und verschiedene Carsharing-Modelle eine flexible und preissensitive Ausgestaltung des urbanen Reisens.»
Gemäss Statistik Stadt Zürich sind zwischen 2001 und 2011 in der Stadt 2226 Parkplätze auf öffentlichem Grund, also blaue und weisse, verschwunden. Das Tiefbauamt weist auf Anfrage zurzeit ungefähr 34 000 Parkplätze in der blauen Zone aus. Die Dienstabteilung Verkehr wiederum verkaufte 2015 43 212 Parkkarten. Gleichzeitig ist der Bestand an Motorfahrzeugen während der letzten Jahre in der Stadt kontinuierlich gestiegen. 2013 waren 134 772 Personenwagen registriert, 2003 waren es 131 902.
Aber das Wunder, es ereilt mich schliesslich an der Zweierstrasse. Es ist ein weisser Parkplatz. Wenn ich am Morgen rechtzeitig bei meinem Auto bin, vermeide ich die Busse von 40 Franken.
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