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Reportage

«Ton ab!», «Ton läuft!», «Bitte!»: Das Altersheim Dorflinde in Oerlikon verwandelt sich in ein Filmset.

"Das isch jetzt äbe de Jörg Schneider"

Von: Irene Genhart

01. Juli 2014

Paul Riniker hat in den letzten Wochen in Zürich seinen neuen Film «Usfahrt Oerlike» gedreht. Wir besuchten das Filmset und trafen die Hauptdarsteller.

23. Juni, Altersheim Dorflinde, Oerlikon: Zwei ältere Damen sitzen im Entrée und sperbern in den Garten hinaus. «Das isch jetz äbe de Jörg Schneider», sagt die eine. «Wer?» fragt die andere. «De Schneider, de wo früener mit em Chasperli». Es ist ziemlich was los in der Dorflinde: Paul Riniker dreht hier seinen neuen Film «Usfahrt Oerlike». Der Ex-SF-Redaktor und Dokumentarfilmer sitzt im «Garten», einer kontrolliert verwilderten Anlage zwischen knallgelbem Heim und den ockergrauen Betonbauten der Umgebung. Jörg Schneider hat auf einer Bank im Schatten niedriger Bäume Platz genommen. Das Thermometer steht hoch, die Sonne gleisst. Riniker blickt unter einem Sonnenschirm in einen Monitor; Kameramann Felix von Muralt positioniert sich auf dem Wägelchen. Die nahe Kirchenglocke schlägt die Viertelstunde, ein Flieger brummt vorbei. «Ruhe, wir drehen», ruft die Regieassistentin. «Kamera läuft», «Ton ab», «Ton läuft», «59.1.1.» steht auf der Klappe. «Bitte!» sagt die Assistentin. Schauspielerin Heidi Maria Glössner, man kennt sie aus «Die Herbstzeitlosen», tritt zu Schneider an die Bank. «Isch’s erlaubt?», fragt sie. «Sicher», sagt Schneider.

Schneider heisst im Film Hans, Glössner Emilie. Sie ist so etwas wie Hans‘ letzte Freundin, aber ganz stimmt das nicht. Hans hat nämlich bloss einen richtigen Freund, den Willi, der früher mit ihm zum Tanz aufspielte. Willi wird von Mathias Gnädinger gespielt, der an diesem Montagmorgen in Oerlikon gar nicht mit auf Dreh ist. Aber Gnädinger ist sonst fast immer dabei, zum Beispiel an Auffahrt, als man bei den alten Häusern an der Förrlibuckstrasse in Zürich West eine der berührendsten Szenen des Films drehte: Hans‘ Abschied von seinem Hund. Alt und siech soll das Tier im Film sein. In Wirklichkeit ist es aber jung und putzmunter. Mit seinem Trainer extra von München angereist, wollte der Hund an diesem Tag vorerst gar nicht tun, was er sollte, nämlich erschöpft im Körbchen liegen, derweil Schneider am Tisch vor dem Haus neben ihm sitzt und Gnädinger in einem zitronengelben Mustang vorfährt.

Erinnerungen und Überdruss
Erzählt wird die Geschichte von Hans, der, von Beruf Monteur, sein ganzes Leben immer viel gereist ist. Doch nun ist Hans nicht mehr der Jüngste. Er hat vor zwei Jahren seine Frau verloren. Sein Sohn ist erwachsen und will nichts von ihm wissen. Und nun ist also auch sein Hund so schwach, dass Willi mit dem leeren Halsband vom Tierarzt zurückkommt. Fortan haust Hans allein. Doch das ist auf die Dauer keine Option und so kommt er nach einem Sturz ins Heim.

«Usfahrt Oerlike» handelt also vom Älterwerden, von guten alten Zeiten, Erinnerungen, aber auch von einem gewissen Lebensüberdruss. Darum, dass einer, der nicht mehr mag,  selber bestimmen will, wann er geht, und deswegen seinen besten Freund um einen letzten Gefallen bittet. Das Thema ist ernst. Doch Schneider sagt, mit einer solchen Bitte wie seine Filmfigur Hans würde er Gnädinger, obwohl er ihn eine ganze Weile schon kenne, dann doch nicht kommen. Und «Nein», meint auch Gnädinger, einen solchen wirklich allerletzten Gefallen würde er Schneider, so sehr er ihn schätze, in Wirklichkeit nicht tun.

Auch im Film reagiert Glössner alias Emilie auf der Bank im Dorflinden-Garten barsch, als sie erfährt, wie Hans übers Sterben denkt. Doch das tut der langsam keimenden Freundschaft zwischen den beiden keinen Abbruch; in Szene 84 sitzen sie Tage später wieder nebeneinander auf der Bank. Hans summt eine Melodie und erzählt, dass er seinen Sohn getroffen, sich mit ihm versöhnt habe.

Schneider, der Vollprofi
Jörg Schneider, er wird nächstes Jahr Achtzig, ist nach fast sechs Wochen Dreharbeiten ein bisschen erschöpft. Doch es mache Spass, sagt er, und halte fit, weil man immer an hundert Sachen denken müsse: Handlung, Haltung, Gesten, Mimik – und den Text, den Regisseur Riniker, so wie jetzt, spontan ein bisschen ändert. «Das Schwierigste», meint Schneider, «ist, dass man nicht chronologisch dreht, man sich als Schauspieler immer wieder – etwa beim Umkleiden – in eine andere Situation und Stimmung versetzen muss.»
Riniker ist voller Lob für seinen Hauptdarsteller. Er wollte schon lange mal mit Schneider drehen. «Der Schneider ist ein Vollprofi», sagt Riniker, «ich bin glücklich.»

 «Ruhe, wir drehen!», ruft wieder die Regieassistentin. «84.2.2» steht auf der Klappe. «Kamera ab», «Ton läuft». «Isch’s erlaubt?», fragt diesmal Schneider, bevor er sich neben Gloessner aufs Bänklein setzt. Die zwei Seniorinnen in der Dorflinde sperbern noch immer aus dem Fenster. «Was machäd die da?» fragt die eine. «Sie dreied en Film», antwortet die andere.                                
«Usfahrt Oerlike» wird im Januar 2015 ins Kino kommen.

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