Reportage
Der Gerichtsfall
Von: Isabella Seemann
Blutiges Ende einer heissen Julinacht
Eifersucht, die schwarze Schwester der Liebe, krallt sich fest in der Brust, frisst die Seele auf. Wie blass und öd wär die Literatur ohne das Heftigste aller Gefühle, wie viele grosse Tragödien hätten die Bühnen der Welt verpasst. In der Wirklichkeit enden solche Dramen häufig im Gerichtssaal, grosses Theater gibt es freilich auch da. Sie hatte ihm ein Messer in die Brust gerammt, nur wenige Millimeter neben dem Herz, dann war sie abgehauen. Er blieb auf dem Fussboden liegen und röchelte. Der Staatsanwalt klagte Esmeralda M.* wegen versuchter Tötung an und forderte sieben Jahre und neun Monate Gefängnisstrafe. Er lügt. Sie hatten Streit, stiessen sich herum, er fiel auf den Boden, direkt ins Messer hinein, mit dem er sie zuvor bedroht hatte. Sie dachte, er scherze, als er sagte, er hätte ein Loch in der Brust, und ging. An diese Version klammert sich Esmeralda. Das Bezirksgericht verurteilte sie wegen schwerer Körperverletzung zu vier Jahren Freiheitsstrafe. Beide, die Staatsanwaltschaft und Esmeralda, zogen das erstinstanzliche Urteil weiter ans Obergericht. Esmeralda, seit zwei Jahren in Haft, tritt in neonfarbenen Turnschuhen und Jeans vor die Oberrichter. Der verwegene Ausschnitt des T-Shirts zeigt müde Brüste, eine weisse Masche bändigt das krause, schwarze Haar. «Ich bin keine Mörderin! », wehklagt sie übertrieben auf Spanisch. Die elegante, blonde Übersetzerin übersetzt emotionslos: «Ich bin keine Mörderin.» Das hat der Angeklagten auch niemand vorgeworfen, das Opfer hat überlebt. Um zu erfahren, wie es zu jenem Verhängnis kam, dreht das Gericht die Zeit zurück.
Mit 16 bereits Mutter
Esmeralda ist auf den Dominikanischen Inseln geboren, vor 48 Jahren, die Schule hat sie nur kurz besucht. Ihre Mutter verliess die Familie früh, mit 16 bekam Esmeralda ihr erstes Kind, kurz danach ein zweites. Ein Klageschrei, als die Erinnerung hochkommt, sie greift zur Packung Tempo-Taschentücher, die Gerichtsschreiberin bringt ihr einen Becher Wasser. Mit 28 trat ein Deutscher in das Leben der Dominikanerin und nahm sie mit nach Köln. Später dann ein Spanier, dem sie nachreiste und den sie heiratete. Doch ihr Geld verdiente sie im Kreis 4, wo sie als Prostituierte arbeitete, «leider» ergänzt sie auf Deutsch. In einer Bar lernte sie den Bosnier Murat kennen, ein kindlich machohafter junger Mann von 25 Jahren. Esmeralda, noch immer verheiratet mit dem Spanier, hatte vielleicht den Wunsch nach einer ernsthaften Verbindung. Denn eines verband sie ohnehin – sie waren Fremde im fremden Land, die einander gefunden hatten. Das ungetrübte Glück war es nicht. Aber sie sah dem jungen Mann vieles nach. Im Polizeiprotokoll steht, dass sie sich viel stritten, dass er handgreiflich wurde. Zusammen nahmen sie Drogen, die sie auch verdealte, was ihr eine Verurteilung wegen Vergehens gegen das Betäubungsmittelgesetz einbrachte. Ein Jahr habe die Beziehung gedauert. «Aber das war keine richtige Beziehung, wissen Sie», schränkt sie ein. «Er hat mich angerufen, er wollte dies und jenes, und wenn ich kein Geld hatte, dann wollte er auch nichts von mir.» Im Hochsommer vor zwei Jahren ging sie in die Bäckeranlage, da sah sie, wie er eine andere Frau küsste. Eine Kränkung, die Esmeralda wütend machte. Sie explodierte, riss die Nebenbuhlerin an den Haaren, ohrfeigte ihren Geliebten. Die Zeugen hörten es klatschen. Danach ging jeder seines Weges.
«Wollte bloss ein paar Sachen holen»
«Trifft es zu, dass Sie eifersüchtig waren?», fragt der Richter. «Nein, es war keine Eifersucht. Er zeigte einfach keinen Respekt.» Kurz vor Mitternacht raste sie wie von der Tarantel gestochen ins Asylzentrum an der Rosengartenstrasse, wo der junge Bosnier wohnte, und suchte sein Zimmer auf. «Ich wollte bloss ein paar Sachen holen, die ich dort gelassen habe.» Erneut kam es zum Streit. Sie rangelten und schubsten und schlugen sich. Er fiel zu Boden, japste nach Luft. Sie ging nach Hause. «Ich bin keine Mörderin», schluchzt Esmeralda. Auf ihrem Pult liegt ein Dutzend zusammengeknäulte Taschentücher. Das letzte Wort hat die Angeklagte. Ob sie einen Brief an den Richter vorlesen dürfe, den sie im Gefängnis geschrieben habe. Mit Floskeln wie aus einer Telenovela spricht sie ihn an: «Euer Ehren, ich versichere Ihnen meinen allergrössten Respekt. » Sie sei eine unterwürfige, arbeitswillige Mutter, niemals würde sie jemanden töten. «Die Scham über eine solche Tat würde mich umbringen.» Doch sie hatte sich bereits in der Einvernahme in tausenderlei Widersprüche verheddert, ständig neue Versionen erzählt. Der Oberrichter bestätigt das erstinstanzliche Urteil. «Die Worte der Angeklagten widersprechen den Indizien. » Das Motiv sei klar: Eifersucht. Das Spurenbild sei ebenfalls eindeutig. Und das Tatwerkzeug sei verschwunden. «Das Opfer hat kein Interesse, es verschwinden zu lassen, und davonfliegen kann das Messer auch nicht.» Ob ein Tötungsversuch vorliege, lasse sich nicht sagen, sicher aber handle es sich um eine schwere Körperverletzung. Der Richter spricht von einer spontanen Überreaktion in einer Beziehungskrise. Esmeralda muss zurück ins Gefängnis, noch bis Ende Jahr. Dann hat sie die Strafe abgesessen und kann wieder nach Spanien. «Mein Ehemann wartet auf mich», lässt sie den Richter wissen, «das hat er mir versprochen.»
* Persönliche Angaben geändert.
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