mobile Navigation

Reportage

Albtraum: In Zürich überelen Diebe eine ältere Dame in deren Wohnung, fesselten die

Der Gerichtsfall

Von: Isabella Seemann

04. Juli 2012

Dreiste Schmuckräuber und ein missbrauchter Teddy

Wie im Showroom eines Luxusautoimporteurs sieht es zuweilen auf dem Parkplatz vor dem Bezirksgericht aus. Jaguar, Porsche, Aston Martin, BMW und Rover glänzen in der Sonne. Aber Obacht: Nicht jeder Limousinenfahrer ist ein Staranwalt. Manchmal steigt auch ein Mann aus einer Luxuskarosse, den man danach auf der Anklagebank wieder sieht. Die drei jungen Männer, deren Prozess auf 11 Uhr festgesetzt ist, werden hingegen in einem weissen VWKastenwagen in den Innenhof des Gerichts chauffiert. Sie haben ihre Haftstrafe bereits angetreten, ein abgekürztes Verfahren steht nun an. Die Beschuldigten, drei Bulgaren, sind geständig, ihre Verteidiger und der Staatsanwalt haben bereits ausgehandelt, welche Straftaten vor Gericht kommen – Raub und Hausfriedensbruch –, und welche Strafe dafür angemessen ist. Der Richter muss den Deal nur noch absegnen. Letzten Sommer, um den 1. August herum, lernte der 26jährige Bulgare Anjo* in einem AltstadtCafé die 40 Jahre ältere Katarina kennen. Auch sie kam einst aus dem Osten, aus Russland. Man plauderte miteinander, verstand sich auf Anhieb. Später am Abend ging Anjo in sein Stammlokal, eine jener Bars im Niederdorf, die mit «vielen jungen, hübschen Boys aus aller Herren Ländern » wirbt und wo «das Cruising grossgeschrieben» werde, also die aktive Suche nach Sexualpartnern.

Schnelles Geld statt schneller Sex
Fünf andere bulgarische Burschen warteten ebenfalls auf Kundschaft, die nicht selten aus älteren, verheirateten Familienvätern besteht. Seinen Landsleuten erzählte Anjo von der Begegnung mit der alleinstehenden russischen Dame. Sie wohne ganz in der Nähe und bewahre, so hatte sie ihm anvertraut, ihre Wertsachen zu Hause auf. Die jungen Männer wiesen nun die Freier ab und heckten einen Plan aus, der mehr Geld in Aussicht stellte als schneller Sex. Kurz vor Mitternacht läutete Anjo an Katarinas Haustür. Es gehe ihm schlecht, ob er nicht bei ihr übernachten könne. Gutmütig liess sie ihn herein, offerierte ihm das Gästezimmer und zog sich in ihr Schlafgemach zurück. Anjo aber hielt die Augen wach, denn seine Kumpels warteten draussen auf ein Zeichen. Um 2 Uhr gab er ihnen einen Funk und liess sie heimlich zur Tür herein. Zu viert überwältigten die jungen Männer die schlafende Frau, fesselten sie an Händen und Füssen mit ihren Strümpfen. Und damit niemand ihr Schreien hören könnte, stopften sie ihr kurzerhand den auf dem Bett liegenden Teddybären in den Mund. Sodann durchwühlten sie alle Schubladen und packten ein, was sie fanden: Ohrringe, Halsund Armketten, Fingerringe, Armbanduhren, Anhänger und Broschen im Wert von mindestens 69 510 Franken. Anjo griff noch in ihre Handtasche und stahl eine 200erNote. Eilig machten sie sich Richtung Italien davon. Die alte Dame liessen sie geknebelt und gefesselt zurück. Eine Karre voller junger Männer um sechs Uhr morgens – das erregte die Aufmerksamkeit der Zöllner in Chiasso, ebenso die Tasche voller Schmuck. Auch war Katarina nicht so tatterig, wie die Täter aufgrund ihres Alters gehofft haben mochten. Sie konnte sich selbst befreien und die Polizei anrufen. Und so sassen die Männer keine 12 Stunden nach der Tat im Gefängnis.

Keiner kann lesen und schreiben
Vor Gericht stehen drei der sechs Täter. Zwei erhalten einen separaten Prozess. Und Anjo hatte sich während der Untersuchungshaft in der Toilette seiner Dreierzelle mit einem Streifen Leintuch erhängt. Die drei Bulgaren auf der Anklagebank, nennen wir sie B., C. und D., sind um die 25jährig, keiner kann lesen und schreiben, in der Schweiz hofften sie, besser bezahlte Arbeit zu finden, als jene, die sie zu Hause hatten als Kellner, Förster und Bauarbeiter. Vergeblich. Bald landeten sie auf dem Männerstrich hinter dem Hauptbahnhof. Der Gewinn war gering, was sie verdienten, ging für Unterkunft und Essen drauf. «Ich fühlte mich hilflos, alles, was ich wollte, war so schnell als möglich wieder nach Hause reisen», gibt D. als Grund für den Raub an. «Was würden Sie sagen, wenn jemand so etwas mit Ihrer Mutter oder mit Ihrer Grossmutter machen würde? », will der Richter von ihnen wissen. B., ein hagerer Bursche mit kantigen Gesichtszügen, gekleidet in ein weisses Sommerhemd und industriell zerschnittenen Jeans, hält sich gebückt: «Ich möchte mich innigst entschuldigen bei der Frau, 100 000mal, und ich möchte sie wissen lassen, dass ich es von Herzen meine.» Sein Gewissen plage ihn, nachts könne er deswegen nicht schlafen. C., der ein violettes TShirt trägt, Jeans und eine Glasperlenkette, sagt: «Ich wünschte mir, ich wäre schon lange vorher gestorben, dann hätte das nicht passieren können.» Was er getan habe, sei eine grosse Sünde. «Ich weiss nicht, wie ich das vor Gott verantworten kann.» Der dritte, D., verliert nicht viele Worte über seine Tat. Ob er während des Prozesses Reue mimt oder nicht, ändert nichts mehr am bereits ausgehandelten Strafmass. Wie es der überfallenen Frau heute geht, ist kein Thema an der Gerichtsverhandlung. Plädoyers der Verteidigung und der Staatsanwaltschaft erübrigen sich beim abgekürzten Verfahren. Vier Jahre und zweimal dreieinhalb Jahre lautet das Urteil. Pünktlich zum Mittagessen schliesst der Richter die Verhandlung und wünscht allen «en Guete».

* Persönliche Angaben geändert.

zurück zu Reportage

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
Noch nicht bewertet.

Leserkommentare

Keine Kommentare