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Reportage

«Hat dir deine verlogene Mutter schon gesagt, wer dein richtiger Vater ist?» Bild: PD

Der Gerichtsfall

Von: Isabella Seemann

06. Februar 2013

Wie viel kostet eine «verlogene Hure»?

Der Mann sieht aus, als hätte er keinen Mumm in den Knochen, ein blasser Hasenfuss mit Oberlippenschnäuzchen, das schüttere Haar zu einem Mäuseschwanz gebunden, aber die sichtbar auf dem Brusthaar platzierte dicke Goldkette und die ausgewaschenen Tattoos auf dem Handrücken sollen wohl zeigen, dass er zur Liga der Kraftmeier gehört, die in gewissen Milieus was zu sagen haben. Einmal nuschelt er etwas von Gewalttherapie, aber niemand geht darauf ein. Vielleicht hat er das Antiaggressivitätstraining ja tatsächlich mal gemacht, vielleicht hat er dort gelernt, Konflikte zu lösen, ohne seine Fäuste zu gebrauchen und stattdessen seine Wut in Worte zu fassen. Allein: Bei Herrn Huber* wars ein Schuss in den Ofen.

«Happy Birthday, Angie»
Herr Huber hat in seiner Wut nämlich seine Ex-Frau übers Telefon mit nicht zitierbaren Schimpfwörtern eingedeckt, was er bestreitet, und – das ist unbestritten – einen Zettel geschrieben, den hängte er in den Hauseingang im Wohnblock seiner Ex-Frau, damit alle ihn lesen konnten. Er nannte seine Ex eine verlogene Hure. Das reicht für eine Anklage wegen Beleidigung, ist aber nur der justiziable Vorwurf. Viel lieber würde der Richter den Mann für den seelischen Schaden zur Verantwortung ziehen, den er bei seiner Tochter angerichtet hat. Der offene Brief war nämlich an das 10-jährige Mädchen gerichtet: «Happy Birthday, Angie, sorry, dass ich nicht dein Daddy bin. Hat dir deine verlogene Mutter schon gesagt, wer dein richtiger Vater ist? Ruf mich an, dann sag ich dir, was deine Mutter für eine verlogene Hure ist.» Vor Gericht sagt Herr Huber, er habe damit nicht seine Tochter verletzen, sondern die Mutter treffen wollen. «Ich bin auch nur ein Mann», sagt der 55-Jährige, «ich hab ein weiches Herz.» Die Ex und ihre Anwältin hätten einfach mal so veranlasst, dass er seine Tochter nicht mehr sehen dürfe. «Sie hat gegenüber dem Jugendamt behauptet, ich hätte meine Tochter geschlagen», sagt er zum Richter. «Sie hatte alle Trümpfe in der Hand, meine Ex, sie kannte alle meine Vorstrafen. Aber niemals hätte ich mein Kind geschlagen. Ich wollte meine Frau zur Rede stellen, aber sie hat sich geweigert, mit mir zu reden. Sie hat mich beleidigt.» Er liess bei einem ausländischen Labor den Vaterschaftstest machen, ohne Zustimmung der Mutter. Ein Kaugummi seiner Tochter brachte die Wahrheit ans Licht: Herr Huber ist nicht ihr Vater. Ob er für die heimliche DNA-Analyse in einem separaten Verfahren zur Rechenschaft gezogen wird, kommt während dieses Prozesses nicht zur Sprache. Heimliche Vaterschaftstests, also ausserhalb eines Vaterschaftsprozesses oder ohne Zustimmung der Mutter, sind in der Schweiz strafbar. Als die Ex schwanger war, hatte sie ihm einmal im Streit gesagt, er sei ein erbärmlicher Versager, und das Kind sei sowieso nicht von ihm. «Warum liessen Sie nicht zu jenem Zeitpunkt offiziell die Vaterschaft abklären? », fragt der Richter. «Damals dachte ich, sie wollte mich nur verletzen, das hat sie gut drauf, das kann sie», sagt der gelernte Elektriker. «Man liebt doch seine Frau, hat Vertrauen. Sie wollte mich bei der Geburt dabeihaben, versicherte mir, das Kind sei von mir. Als ich dann erfahren habe, die Angie ist nicht mein Kind, sind mir die Sicherungen durchgebrannt.»

Versuchte Tötung
Das Vorstrafenregister ist mehrere Seiten lang: «Mehrfacher Diebstahl, Hehlerei, versuchter Raub, Körperverletzung, Urkundenfälschung, Betrug und» – der Richter hebt den Kopf und sieht den Mann eindringlich an – «versuchte Tötung.» Herr Huber schlägt mit der tätowierten Hand auf das Anklagepult: «Das ist jetzt zwanzig Jahre her, aber meine Ex hat das genau gewusst, sie hat darauf spekuliert und prompt recht bekommen, dass ich das Kind nicht mehr sehen darf.» Was die Vorstrafen betrifft, das sei erledigt. Nur die letzte Geldstrafe arbeite er noch ab. «Und jetzt noch 3000 Franken für die Beleidigung, die keine ist, das ist zu viel.» Der Mann hatte gegen den Strafbefehl Einspruch erhoben. Wird er schuldig gesprochen im Sinne des Staatsanwalts, kommt es noch teurer: mindestens 1500 Franken Unterschied wegen der Gerichtskosten. «Das Ganze ist total ungerecht!», klagt er wie Hiob in biblischer Verzweiflung. «Was hab ich mir anhören müssen von dieser Frau, ich hätte die anzeigen können, aber die hat ja auch kein Geld, was hab ich davon.» Arbeitslos sei sie, hocke den ganzen Tag mit Freundinnen in der Küche, rauche, quatsche, saufe, das könne sie. «Die hat mich so beleidigt, die ist so verlogen und fies. Schade, dass Sie die nicht kennen, da würden Sie ganz anders denken», sagt er zum Richter. «Herr Huber, wir haben den Zettel nicht ins Treppenhaus gehängt », donnert der Richter. Ein schöner Rechtsstaat sei das, zischt Herr Huber zurück. «Wenn ich andere Urteile sehe, dann bekomme ich so einen Hals.» Und tatsächlich: Sein Hals schwillt rot an. «Frauen dürfen machen, was sie wollen. Abtreiben dürfen sie, ohne den Mann zu fragen. Und wenn sie den Männern ein Kind anhängen, dann ist das Betrug, aber das wird hierzulande nicht verhandelt.» Jedes zehnte Kind sei ein Kuckucksei, aber so eine wie die Ex, die dürfe ungestraft lügen und betrügen. Der Richter reduziert die Strafe und verurteilt ihn zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen à 35 Franken für die «verlogene Hure». Aber Herr Huber möchte für «diesen Seich» keinen Rappen aufwenden. «Wie viel Gefängnis gibt das, wenn ich nicht zahle?», will er wissen. «Ich gehe lieber ins Gefängnis. Ich hab in meinem Leben so viel gesessen, da kommt es auf die paar Tage mehr oder weniger auch nicht mehr an.»

* Alle Namen geändert

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