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Reportage

Warten auf das nächste Opfer: Die Zahl der Raubüberfälle in der Stadt Zürich hat wieder zugenommen. SYMBOLBILD: PD

Der Gerichtsfall

Von: Isabella Seemann

07. November 2012

Nächtlicher Raubzug eines Unbelehrbaren

Simon*, nächsten Monat wird er 32, sieht nicht aus wie ein Räuber. Er trägt ein schwarzes Jackett, ein weisses Hemd und eine vom Modedesigner für teures Geld zerschnittene Jeans. «Ich komme aus gutem Haus, hatte mein Kinderzimmer, der Kühlschrank war immer voll», erklärt der junge Mann. Höflich wirkt er und handzahm. Zwei Ausbildungen hat er abgeschlossen, Koch und Servicefachangestellter, mit eidgenössischem Fähigkeitszeugnis. Er arbeitete in gutbürgerlichen Restaurants, internationalen Hotels und In-Lokalen, wo die Glanz-und-Gloria-Gesellschaft sich selbst feiert. Im Gesicht trägt er einen kindlich unreifen Zug, aber seine Fäuste sitzen ziemlich locker in der Jackentasche, er ist ewig pubertierend, doch kriminell und polizeibekannt. Wann und weshalb das Leben Simon aus der Bahn warf, wird vor Gericht nicht geklärt. Von Drogen ist die Rede und von einer Frau Schmid, einer Ex-Freundin, die ihn dazu verführt habe. «Ständig kam sie mit dem Zeug an», sagt er. Kokain, Heroin und Pillen. Als Simon am späten Abend des 3. Januar dieses Jahres vor Pfarrer Siebers Sunestube auf seinen Freund Roger traf, lief sein Leben schon eine ganze Weile neben der Norm. Sein Vorstrafenregister ist zwei Seiten lang. Raub, Diebstahl, Körperverletzung, Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz etc. Die letzte Verurteilung mit Bewährungsstrafe war noch nicht mal drei Wochen her. Diesmal begann der Abend für Simon und seinen Kumpel mit 15 Dosen Bier – pro Person. Er endete mit zwei Raubüberfällen und einem zusammengeschlagenen Mann, der sich am Boden vor Schmerzen krümmte. Simon ist einer der Menschen hinter den kürzlich veröffentlichten Zahlen der Kriminalstatistik der Stadt Zürich: Im ersten Halbjahr 2012 war die Zahl der Raubüberfälle erneut gestiegen, und zwar um deutliche 45 Prozent. Politiker, Sozialarbeiter, Kriminologen debattierten in Talkshows darüber, wie mit den Tätern umzugehen sei. Reflexhaft wurden schärfere Gesetze gefordert, höhere Strafen, Nulltoleranz. Und ebenso absehbar folgte die Gegenreaktion, die These, dass die Schläger vor allem Opfer der Gesellschaft, ihrer Biografie, ihrer Aussichtslosigkeit seien. Simon strolchte mit seinem Freund Roger rum, Richtung Stauffacher, vom Bier benebelte Jungs, erhitzt und unruhig. Unterwegs kamen sie überein, jemanden «auszunehmen». Das Pech traf Herrn Müller, der um Mitternacht gerade die Parkgarage am Stauffachertor betreten wollte. Sie bedrohten ihn, bedrängten ihn, wenn er nicht sein Geld herausrücke, würden sie ihn zusammenschlagen. 150 Franken war die Ausbeute.

Brutaler Überfall, 80 Franken Beute
Ein Folgeschaden der Gewalt ist die Angst vor der Gewalt. Sie ist ein steter Begleiter für viele, die nachts allein in einen Bus steigen oder eine Unterführung passieren müssen. Viele Menschen haben Angst, das nächste Opfer zu sein. Ein Opfer wie jener Mann, der um 1 Uhr derselben Nacht die Bahnhofstrasse herunterlief und einen Blick in die Buchhandlung Ex Libris warf. Als Simon und Roger ihn erblickten, rannten sie auf ihn zu. Der Mann wollte fliehen, die beiden rannten ihm nach, der Mann stürzte. Roger nahm ihn in den Schwitzkasten und drosch mit der Faust auf den Kopf ein. Simon kickte mit seinen Winterstiefeln auf das am Boden liegende Opfer. Die zweite Beute brachte ihnen 80 Franken ein. Sie entkamen – kurzzeitig. Einen Monat nach dem nächtlichen Raubzug kam die Polizei den beiden auf die Spur. Roger wurde in der Notschlafstelle aufgegriffen und verpfiff seinen Compagnon Simon. «Was haben Sie sich dabei gedacht, 19 Tage nach Ihrer letzten Verurteilung wieder zu delinquieren?», fragt der Richter enerviert. «Nichts», antwortet Simon. Das Denken scheint nicht zu seinen Stärken zu gehören. Im Gefängnis, seit acht Monaten ist er im vorzeitigen Strafvollzug, keine Bewährung mehr, habe er aber nachgedacht und sei zum Schluss gekommen, dass das ganze «ein Seich» gewesen sei. Das könne eben passieren. Es klingt aufgesagt. Eigentlich ist sich Simon keiner üblen Tat bewusst. Es kam eben so, zwangsläufig. Er habe Geld gebraucht für seine Katzen. 500 Franken müsse er seiner Ex jeden Monat bezahlen, damit sie seine zwei Katzen in ihrer Wohnung betreue. Des Verteidigers Plädoyer zielt darauf, die vom Staatsanwalt geforderten 24 Monate Haft zu reduzieren und macht eine verminderte Schuldfähigkeit durch den erheblichen Alkoholkonsum geltend. Ausserdem habe Simon einen dritten Raub zugegeben, obwohl der gar nicht angezeigt gewesen sei. Das Verbrecherduo hatte noch einen Mann auf einer öffentlichen Toilette in Albisrieden ausgeraubt. Der Verteidiger bittet das Gericht um ein Einsehen: Simon wolle ein neues Leben anfangen, er wolle es wirklich. Simon betrachtet seine Fingernagelhaut, knabbert am Daumen, rutscht immer tiefer in den Stuhl. «Es ist noch kein Jahr her, da sind Sie hier gestanden und haben dasselbe versprochen », sagt der Richter. Er sei sich ja einiges gewohnt, «aber dass einer gleich nach der letzten Verurteilung wieder Leute überfällt, das habe ich selten erlebt». Simon erhalte von der öffentlichen Hand Methadon und Sozialhilfe, er habe die Leute nicht aus Not überfallen, sondern skrupellos aus reiner Selbstsucht. 24 Monate unbedingt lautet das Urteil. Der Richter hat die Zuversicht in Simons Zukunft verloren, er kann ihm keine günstige Prognose geben.

* Persönliche Angaben geändert.

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