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Reportage

Häusliche Gewalt: Eine Algerierin wurde von ihrem tunesischen Ehemann geschlagen und vergewaltigt. SYMBOLBILD: PD

Der Gerichtsfall

Von: Isabella Seemann

03. Oktober 2012

Prügelnder Ehemann sieht sich als Opfer

Schlammfarben gekleidet von der Kapuze bis zur Schuhsohle, als wollte er sich tarnen, sich verstecken in der Unscheinbarkeit. Das Gesicht fast erloschen. Auch dann, als ihn die Oberrichter zu seiner Berufung befragen. Er spricht leise, fast emotionslos, hält nur mit seinem Arabisch-Dolmetscher Blickkontakt. Mustafa* (33) reiste vor zehn Jahren von Tunesien in die Schweiz und ersuchte als politisch Verfolgter um Asyl, das ihm zügig gewährt wurde. Doch just, als er sich auf die Suche nach einem Job hätte machen können, ereilte den jungen Burschen ein diffuses Leiden, «das es ihm leider verunmögliche zu arbeiten». Seither kämpft er mithilfe von Ärzten und Anwälten um eine IV-Rente – bislang erfolglos.

«Niemals etwas Unrechtes getan»
Vor Obergericht wiederum kämpft Mustafa um seine Ehre und letztlich um sein Bleiberecht. Das Bezirksgericht Zürich hatte ihn wegen Vergewaltigung, versuchten strafbaren Schwangerschaftsabbruchs, versuchter Körperverletzung, Drohung und mehrfacher Tätlichkeit schuldig gesprochen und zu 30 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. «Niemals habe ich etwas Unrechtes getan», beteuert Mustafa. Die Anschuldigungen seiner Ex-Frau seien nichts weiter als Lügen, versichert er und schildert Fatima als Ausbund an Infamie und Heimtücke. «Ein Rachefeldzug, weil sie von meiner neuen Freundin erfahren hatte.» Denn Mustafa, obwohl mittellos und invalid, ist kein Kind von Traurigkeit und geht im Internet öfters auf Brautschau. Auf einer Dating-Seite für Muslime hatte er schon seine erste Frau kennen gelernt, eine Syrerin, die er in die Schweiz holte, schwängerte, und die bald im Nahen Osten verschwand. Kurz darauf machte er auf dieser Partnerbörse Bekanntschaft mit der 20-jährigen Fatima aus Algerien. Einen Monat später heirateten sie, und obwohl Mustafa seit dem Tag seiner Einreise von der öffentlichen Hand lebt, durfte er auch die zweite Frau als Familiennachzug ins Land holen. Niemals würde er eine Frau schlagen, behauptet Mustafa. Er sei gar nicht fähig, eine Frau zu vergewaltigen. Ausserdem könne von einer Drohung, sie mit dem Messer zu töten, keine Rede sein. Und die Blessuren, mit denen Frau Fatima in der 27. Schwangerschaftswoche Zuflucht im Spital suchte? «Möglicherweise hat sie sich diese selbst beigebracht. In arabischen Ländern hat es Tradition, dass sich Frauen selber schlagen, wenn sie emotional aufgewühlt sind.» Dieser Satz stammt allerdings nicht von Mustafa, sondern von seiner Verteidigerin, einer orientalisch anmutenden Grazie, die mit der arabischen Kultur und Sprache vertraut ist. Der Geschädigtenvertreter schüttelt ungläubig den Kopf über seine Kollegin. Sie setze sich doch sonst für die Rechte von Migrantinnen ein, die von häuslicher Gewalt betroffen sind. «Jetzt argumentieren Sie genau gegenteilig », moniert er nach ihrem zweieinhalbstündigen Plädoyer sarkastisch. Mustafas Verteidigerin beantragte einen Freispruch, «in dubio pro reo», 37 400 Franken Haftentschädigung für die 187 Tage im Gefängnis, plus angemessenen Schadenersatz. Es stehe Aussage gegen Aussage, wie beim Fall Kachelmann. Die Gegenpartei habe aus einem frommen Muslim einen fanatischen Islamisten gemacht, um ihn zu diskreditieren, aus einem kranken Mann einen Scheininvaliden. Dabei sei ihr Mandant nicht nur in Tunesien von den Schergen des Diktators gefoltert worden, sondern hier auch noch der Willkür der Zürcher Stadtpolizisten ausgesetzt gewesen, die ihn ohne ausreichenden Verdacht anal untersucht hätten, worauf sich sein Leid ins Unermessliche gesteigert habe und er in die psychiatrische Klinik musste. Auf sein Kind habe er sich gefreut, es habe ihm wieder Lebensmut gegeben.

Klägerin hat keinen Grund zu lügen
Die Klägerin sei jedoch instruiert worden, wie man sich von einem Ausländer scheiden lassen und trotzdem in der Schweiz bleiben könne und habe dafür diese haarsträubende Geschichte erfunden, wie sie «1:1» dem Skript der Seifenoper entspreche, die zu jener Zeit auf dem arabischen Sender al-Jazeera zu sehen war, wovon sich das ehrenwerte Gericht selber überzeugen könne auf dem Video, das sie mitgebracht habe. Die Richter verzichten dankend und sagen mit Kennermiene: «Dieses Thema ist ja nicht unüblich für Telenovelas.» Das beweise gar nichts. Auch der Geschädigtenvertreter hält einen solchen «Erlebnistransfer», wie ihn die Frau Verteidigerin darlegte, für ausgeschlossen und bemerkt süffisant, dass im Gegensatz zu ihrem Mandanten seine Mandantin im besten Sinne assimiliert sei. Sie habe nach der Trennung von ihrem gewalttätigen Ehemann das Kopftuch abgelegt, in kürzester Zeit Deutsch gelernt und eine Stelle als Pflegerin im Altersheim angenommen, um sich und ihr Kind durchbringen zu können. Zu lügen brauche sie nicht, um hierbleiben zu dürfen. Hingegen könnte Herr Mustafa seinen Status als Flüchtling mitsamt allen Zuwendungen verlieren, wenn er vorbestraft sei, zumal seit dem arabischen Frühling in Tunesien die von ihm favorisierte Islamistenpartei an der Macht sei und er keine Drangsalierungen mehr zu befürchten habe. Die Richter halten die Aussagen von Fatima für plausibel, plausibler jedenfalls als jene Mustafas, und bestätigen das erstinstanzliche Urteil. Sechs Monate hat er bereits abgesessen, die restlichen zwei Jahre werden ihm auf Bewährung erteilt. Seiner Ex-Frau muss er 5000 Franken Genugtuung bezahlen. 

* Persönliche Angaben geändert.

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