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Reportage

Als die Stadt Zürich unter Beschuss kam: Am 12. September befahl der helvetische General Joseph Leonz Andermatt während des «Stecklikriegs» das Bombardement der Stadt vom Zürichberg aus. Schon einen Tag vorher war ein helvetischer Angriff von Wollishofen aus erfolgt.Bilder: Zentralbibliothek Zürich/PD

Der Schweizermacher

Von: Jan Strobel

30. Juli 2019

Vor 250 Jahren, am 15. August 1769, wurde Napoleon Bonaparte auf Korsika geboren. Ohne den Franzosen sind die moderne Schweiz und die Stadt Zürich als eigene Stadtgemeinde nicht denkbar.

Der Mann war am Ende, als er sich 1816 mit dem Marineoffizier und Staatsmann Emmanuel de Las Cases zusammensetzte und ihm seine Memoiren diktierte mit Blick auf den endlosen Ozean vor St. Helena. Noch auf dem Schiff, das ihn in sein endgültiges Exil verfrachtete, hatte er an Selbstmord gedacht, bis ihn sein Vertrauter Las Cases auf die Idee mit den Memoiren brachte. Zu erklären hatte er der Welt einiges, er, Napoleon Bonaparte, einst Herrscher über einen Kontinent, genialer und skrupelloser Kriegsherr, jetzt Verbannter und Verschmähter. «Meine Feinde sprachen immer von meiner Liebe für den Krieg», meint er, der vermeintlich Unverstande, «dabei war ich dauernd mit Selbstverteidigung beschäftigt. Suchte ich nicht nach jedem Sieg, den ich errang, den Frieden? Die Wahrheit ist: Ich war nie Herr meiner eigenen Handlungen, war nie ganz mich selbst gewesen.»

In Schweizer, und besonders auch Zürcher Ohren, mochte dieses Lamento eines vom Thron Gestossenen zuerst einmal wie Hohn geklungen haben. Denn die Jahre seiner Herrschaft waren für sie zumindest in den ersten Jahren geprägt gewesen von Chaos, gesellschaftlichen Grabenkämpfen – und natürlich Krieg. Andererseits hatte Napoleon durchaus Recht, wenn er gegenüber seinem Vertrauten auf St. Helena meinte, er erst habe die Schweiz geschaffen. Es war übrigens das einzige Mal, dass er die Schweiz in seinen Memoiren aus dem Exil überhaupt erwähnte. Die föderalistische Struktur der Eidgenossenschaft mit ihren Kantonsverfassungen, dem allgemeinen Wahlrecht und einer schwachen zentralen Gewalt sind letztlich direkt auf Napoleon zurückzuführen. Das gilt auch für die Struktur Zürichs als Stadtgemeinde mit einem eigenen Stadtrat.

Verfeindete Lager
Schon bevor der Korse im November 1799 die Macht mit einem Staatsstreich an sich gerissen hatte und Erster Konsul Frankreichs wurde, war die Schweiz als Helvetische Republik zu einem zentralistischen Vasallenstaat unter französischer Besatzung geworden.

In Helvetien, dessen Lage in Europa für die Franzosen von strategischer Bedeutung war, herrschten von Anfang an Unruhe, der Widerstand gegen die neue Ordnung brach sich Bahn, ein fruchtbarer und willkommener Boden für die Feinde Frankreichs, allen voran Österreich und Russland. Im Zweiten Koalitionskrieg 1799 wurde die Stadt Zürich gleich zweimal zum Schlachtfeld für die europäischen Grossmächte. Die Zweite Schlacht um Zürich vom 25. und 26. September 1799 endete aber schliesslich mit einem Sieg der französischen Armee unter Befehlshaber André Masséna, die französische Kontrolle über die Schweiz schien nun endgültig zementiert.

Napoleon Bonaparte war zu diesem Zeitpunkt mit ganz anderem beschäftigt, nämlich mit seiner Expedition in Ägypten gegen das Osmanische Reich, die sich gerade in ein völliges Fiasko verwandelte.

Die Helvetische Republik taumelte in der Folgezeit von Staatsstreich zu Staatsstreich, heute wäre wohl von der Schweiz als «Bananenrepublik» die Rede. Beteiligt daran waren vor allem auch Exponenten aus dem Stadtzürcher Bürgertum, etwa Hans Konrad Escher oder Paul Usteri, die beide überzeugte Republikaner waren. Sie unterstützten, ganz dem liberalen Fortschritt verpflichtet, den Einheitsstaat nach französischem Vorbild, sahen aber mit dem allgemeinen Wahlrecht und dem Steuerdruck die Position der Städte und damit die ihres eigenen Einflusses gefährdet.

Die politische Landschaft wurde bald geprägt durch zwei erbittert gegeneinander gestellte Lager. Die Unitarier, zu denen auch Paul Usteri zählte, vereinigte die Befürworter der Helvetischen Republik und eines zentralistischen Staates. Sie traten entschieden für die Prinzipien der Aufklärung ein. Auf der anderen Seite standen die Föderalisten, die den Zentralstaat entschieden ablehnten. Sie forderten die Souveränität der Kantone und die Bewahrung lokaler Eigenheiten. Besonders die Innerschweizer waren in diesem Lager stark vertreten.

In dieser explosiven Lage navigierte Napoleon, ganz der Politprofi und Machtmensch, zwischen den Lagern. Er hatte erkannt, dass sich die französische Staatsform bei den Schweizern nicht durchsetzen liess. Es musste also eine staatspolitische Lösung her, die aber ohne die Explosion des Pulverfasses nicht zu haben war.

Als sich die französischen Truppen im Sommer 1802 aus der Schweiz zurückzogen, mündete der Streit zwischen Unitariern und Föderalisten in den so genannten «Stecklikrieg», den das föderalistische Lager lostrat und den die helvetische Regierung in Bern mit allen Mitteln zu unterdrücken versuchte.

Granaten auf Zürich
Auch die Stadt Zürich blieb von den bürgerkriegsähnlichen Unruhen nicht verschont. In der Limmatstadt hatte nach dem Abzug der Franzosen das konservative Lager um die Föderalisten die Oberhand gewonnen. Zürich galt nun als eine der Hochburgen im Widerstand gegen das helvetische System. Präsident der Munizipalität, wie der Stadtrat damals hiess, war in dieser Zeit Johannes Füssli, ebenfalls in der Exekutive sassen beispielsweise Johann Rudolf Werdmüller, Johannes Scheuchzer oder – als wohl bedeutendster  Stadtzürcher Politiker dieser Zeit – Hans von Reinhard. Der überzeugte, unbequeme Föderalist war nur wenige Jahre zuvor vom helvetischen Direktorium gefangen genommen und nach Basel verschleppt worden.

Am 10. September 1802 erschienen helvetische Truppen unter dem Kommando von General Joseph Leonz Andermatt mit Kavallerie und Artillerie vor den Toren der Stadt Zürich und forderten Einlass. Ohne die Antwort der Stadtregierung abzuwarten, befahl er, von der Wollishofer Seite aus die Stadt mit Granaten und Kugeln zu beschiessen. Der Angriff wurde wiederum von der Zürcher Artillerie von den Stadtwällen aus erwidert. Schliesslich setzte Andermatt seine Truppen über den See und besetzte den Zürichberg, wo er bei Witikon neue Batterien errichtete. Einige Bauern, ohnehin der Stadt feindselig gesinnt, schlossen sich dem helvetischen General an. Vom Zürichberg aus setzte ein erneutes Bombardement ein. Die Stadtzürcher schossen vom Lindenhof zurück, es kam zu einer Pattsituation, die nur durch Verhandlungen  gelöst werden konnte.

«Es kann nicht laut und öffentlich genug gesagt werden», lautete das Urteil in der NZZ nach dem Beschuss, «dass das Verfahren einer schweizerischen Regierung gegen eine Stadt in der Schweiz bei diesem Anlass beinahe beispiellos ist. Unsere Vaterstadt hat seit vier Jahren viel Schreckliches erdulden müssen, doch mit solchen Gefahren ist sie noch nie bedroht worden». Es grenzte dabei fast an ein Wunder, dass bei beiden Bombardements keine Stadtbewohner ums Leben kamen. Nur ein einziger wurde verletzt.

Von helvetischer Seite wurde mit «Bedauern und Unwillen» festgestellt, «dass die Gesetzlosigkeit in diesem Kanton aufs höchste gestiegen, und sogar der Bürgerkrieg in mehreren Gegenden ausgebrochen ist.»

Die Unruhen in der Schweiz wurden natürlich auch in Paris registriert. Napoleon machte kurzen Prozess und liess seine Truppen wieder einmarschieren – auch in die Stadt Zürich. Das helvetische  Ärgernis mitten in Europa sollte ein für alle Mal aus der Welt geschafft werden. Im Dezember 1802 zitierte Bonaparte deshalb politische Schweizer Exponenten der verfeindeten Lager nach Paris zur  «Helvetischen Consulta», um endlich stabile Verhältnisse zu schaffen. Hans von Reinhard, dem Zürcher Abgesandten für die Föderalisten, wurde dabei eine besondere Ehre zuteil: Er durfte mit einer Delegation Napoleon persönlich im Schloss St. Cloud zu einer Audienz treffen. An der Consulta selber nahmen neben Reinhard auch die Zürcher Paul Usteri (Unitarier) und für die Landschaft Johann Kaspar Pfenninger aus Stäfa (ebenfalls Unitarier) teil.

Dabei war für Napoleon die Sache längst entschieden – und zwar zugunsten der Föderalisten. Mit der Mediationsakte vom 19. Februar 1803 wurde der föderalistische Staatsaufbau der Schweiz mit der Wiederherstellung der Kantonssouveränität festgeschrieben. Kantonsverfassungen wurden ausgearbeitet, ebenso eine Bundesverfassung. Sie billigte dem Bund unter anderem die Wahrung einer Rechtsgleichheit für alle Schweizer zu, ebenso die Aufstellung eines Bundesheeres im Kriegsfall und die Führung der Aussenpolitik. Oberstes Bundesorgan wurde die Tagsatzung, die sich abwechselnd in den sechs Vororten Zürich, Freiburg, Bern, Solothurn, Basel, und Luzern versammelte. Präsidiert wurde sie vom Landammann der Schweiz. Erster Landamman wurde der Freiburger Ludwig von Affry.

Damit war die Helvetische Republik am Ende. Am 10. März 1803 wurde die schweizerische Eidgenossenschaft ausgerufen, bestehend aus 19 Kantonen. Für die Stadt Zürich bedeutete die neue Zürcher Kantonsverfassung einen Gewinn. Einerseits wurde sie nun zu einer Stadtgemeinde mit einem 15-köpfigen Stadtrat. Erster Bürgermeister wurde Hans von Reinhard. Vom Kanton erhielt die Stadt zudem die Güter des Fraumünsteramts, den Sihlwald, den Adlisberg und die Hard.

Am 2. Dezember 1804 krönte sich Napoleon Bonaparte in der Pariser Notre Dame zum Kaiser der Franzosen. Und auch hier war der umtriebige Hans von Reinhard wieder mit von der Partie als offizieller Vertreter der Schweiz.

Sterben in Uniform
In den Folgejahren erlebte die Stadt Zürich einen Aufschwung, besonders in industrieller Hinsicht. 1805 gründete Hans Caspar Escher zusammen mit dem Bankier Solomon von Wyss die Baumwollspinnerei Escher Wyss & Co am heutigen Neumühlequai. Dennoch brodelte der Konflikt zwischen Stadt und Land weiter. Die konservative Regierung verschleppte wichtige Wirtschafts- und Verfassungsreformen, sehr zum Missfallen einiger liberaler Stadtzürcher wie Paul Usteri oder Ludwig Meyer von Knonau. Zusammen gründeten sie 1807 das «Politische Institut», aus dem später die Universität Zürich entstehen sollte. Die städtische Vorherrschaft sollte allerdings noch Jahrzehnte bestehen bleiben.

Napoleon Bonaparte hielt Europa noch bis 1815 im kriegerischen Griff. Tausende Schweizer Söldner verloren in der französischen Armee ihr Leben. Bonapartes eigenes, einsames Ende kam am 5. Mai 1821, um sechs Uhr Abends auf St. Helena. Als er es nahen sah, liess er sich in seine Uniform kleiden, zog Stiefel und Sporen an und wartete auf den Tod.

Zwei bedeutende Stadtzürcher zur Zeit Napoleons mit unterschiedlichen Vorstellungen

 

Paul Usteri (1768 – 1831) Der Botaniker und Arzt fand während der französischen Revolution zur Politik. 1798 wurde er helvetischer Senator für Zürich und nahm als Unitarier mit seinem Zürcher Gegenpart Hans von Reinhard an der Consulta in Paris teil. 1801 bis 1831 führte er im Zürcher Kleinen Rat die Liberalen an und war mehrfach Tagsatzungsgesandter. 1814 bis 1831 bekleidete er das Amt des Staatsrats und war 1830 bis 1831 Präsident der Zürcher Verfassungskommission. Usteri vertrat klare republikanische Ideale und nahm gegen die konservative Zürcher Regierung Stellung. Seine Plattform der liberalen Opposition war die NZZ, die er 1821 bis 1831 leitete. Usteri kämpfte für die Abschaffung der Pressezensur, die schliesslich 1829 in Zürich abgeschafft wurde, was massgeblich sein Verdienst war.

Hans von Reinhard (1755 – 1835) Er gilt bis heute als einer der wenigen Schweizer Politiker von internationalem Format, der sich auf der europäischen Bühne gekonnt bewegte. Der überzeugte Föderalist und Gegner der Unitarier war von 1801 bis 1802 Regierungsstatthalter im Kanton Zürich. 1803 bis 1831 war Reinhard jährlich alternierend erster oder zweiter Bürgermeister der Stadt Zürich. 1807 und 1813 bekleidete der das Amt des Landammanns der Schweiz und war überdies mehrfach Tagsatzungspräsident. 1815 nahm er als Schweizer Vertreter am Wiener Kongress teil zur Neuordnung Europas. Reinhard war zudem auch am neuen Bundesvertrag nach dem Ende der Mediationszeit 1814/1815 beteiligt. Sein Wohn- und Amtsitz war das Haus zum Rechberg am Hirschengraben.

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