Reportage

Am Röntgenplatz sind vier Japanische Schnurbäume von einem Pilz befallen, der das Holz zersetzt. Bild: SWE
«Die Bäume wurden zu Krüppeln geschnitten»
Von: Stine Wetzel
Die über 600 Unterschriften gegen die Fällung der Bäume am Röntgenplatz sind chancenlos: Ein Baumpilz macht aus den Bäumen ein Sicherheitsrisiko, das wegmuss. Schuld am Kahlschlag ist die Baumpflege vor 20 Jahren.
Anja Dräger hat 656 Unterschriften gesammelt. Sie hat die Petition «Nein zum Abholzen des alten Baumbestandes im Kreis 5» lanciert – aus Entsetzen über das «stattfindende Baummassaker». Die Initiantin lebt seit 15 Jahren im Quartier. «In den letzten Jahren wurden in den Kreisen 4 und 5 so viele alte Bäume gefällt.» Allein in diesem Jahr habe sie in ihrem Umfeld zehn neue Baumstümpfe gezählt.
Am 23. Februar ging eine Information an die Anwohner rund um den Röntgenplatz raus, dass vier der Japanischen Schnurbäume aus Sicherheitsgründen gefällt werden müssen. Es ist die Rede von «eingefaulten Ästen im Kronenbereich», durch die «die Stabilität der Stämmlinge nicht mehr gegeben» ist. «Dass die Bäume aufgrund einiger Äste gefällt werden, ist total unverständlich», findet Dräger. Deshalb die Petition.
Eintrittspforte für Pilz
Die Fällung war für letzte Woche angesetzt. Doch Grün Stadt Zürich hat den Termin verschoben, um den Anwohnern zu erklären, warum die Petition keine Chancen hat und die Bäume wegmüssen. Am Freitag, 9. März, kam eine Delegation der Abteilung samt Direktorin zum Röntgenplatz, und ein Dutzend Anwohner.
Die Bäume sind von einem Baumpilz befallen. Die Japanischen Schnurbäume können sich mit ihrem Kernholz nicht gegen den Pilz wehren. «Der Zottige Schillerporling kann das Holz innerhalb eines Jahres total zersetzen», sagte Axel Fischer, Leiter Park und Grünanlagen. Grün Stadt Zürich spricht von «sofortigem Handlungsbedarf». «Glauben Sie uns, die Grünvolumenthematik in der Stadt ist uns bewusst, und auch wir kämpfen um jeden Baum», so Direktorin Christine Bräm. «2017 war ein schlimmes Jahr für uns: mit umgefallenen Bäumen und Vorfällen. Eine Frau wurde auf der Landiwiese verletzt. Das war ein Weckruf. Ist ein Baum eine Gefahr für Passanten, muss er weg.»
Dass der Pilz überhaupt eine Chance hat, sich über die Bäume herzumachen, liegt an der Baumpflege der Vergangenheit. Bis vor 20 Jahren hat man die Bäume in der Krone noch «auf Kopf» zurückgeschnitten. Ganze Äste sind dem zum Opfer gefallen. Zurückgeblieben sind riesengrosse Wunden, regelrechte Eintrittspforten für den Pilz. «Man hat die Bäume zu Krüppeln geschnitten», sagte Baumspezialist Philipp Lenz. Schneidet man Bäume heute, hinterlässt man Wunden, die maximal so gross wie ein Fünfliber sind. «Unsere Vorgänger hatten noch nicht die Kenntnisse, die wir heute haben.»
Bis zu 300 Bäume
Anstelle der vier befallenen Bäume am Röntgenplatz sollen im Frühjahr 2019 junge Bäume gepflanzt werden. In Zürich werden pro Jahr 200 bis 300 Bäume ersetzt. «Ein stabiler Baumbestand lebt in der Stadt von Erneuerung. Das ist einfach so», so Axel Fischer. Müssen alte Bäume aus der Nachbarschaft weichen, ist das allerdings immer ein Reizthema. Wäre es da nicht besser gewesen, schon im Anwohnerbrief so genau wie möglich zu informieren? «Es gibt dafür keinen Königsweg», sagt Lukas Handschin, Sprecher von Grün Stadt Zürich. Von Fall zu Fall entscheide man sich, wie man kommuniziere. «Bisher haben wir bei geplanten Fällungen mit unserem Vorgehen gute Erfahrungen gemacht.»
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Leserkommentare
Anja Kyia Dräger - Liebe Stine
Danke für den Bericht. Ich möchte dazu noch kurz Folgendes ergänzen:
•Was ich mit einiger Verblüffung ebenfalls festgestellt habe, ist dass der Baum an der Röntgenstrasse unmittelbar daneben frische Schnittstelle aufweist, wo ein riesiger
mehr anzeigen ... Ast vor offensichtlich nicht allzu langer Zeit entfernt wurde (cf. Bild). Dies widerspricht direkt allen von uns gehörten Erklärungen, gemäss derer die Bäume nicht zurückgeschnitten werden können und zwingend gefällt müssen und stellt somit die ganze Argumentation zur Rechtfertigung der Rodungen in Frage. Ich habe die Stadt dringend gebeten, hierzu Stellung zu nehmen (UND: weshalb wurde diese - offensichtlich doch zumutbare - Schnittstelle nicht mit Baumteer versiegelt?)
•Wir würden es hier im Quartier sehr begrüssen, wenn Sie Fällungen gestaffelt, nach Härtegrad und über längeren Zeitraum durchführen, statt den ganzen alten Baumbestand auf einmal und innerhalb einer Saison zu fällen. Das würde es den AnwohnerInnen wesentlich leichter machen, sich an den Verlust zu gewöhnen. Zum Beispiel indem man erst weiter fällt, wenn bereits eine Neupflanzung des Vorjahres erfolgt ist.
•Wir bestreiten ausdrücklich die von der Stadt wiederholt vorgebrachte Äquivalenz von 1 alter Baum = 1 Neupflanzung und den quantitativen Ansatz zur Baumpflege im Sinn einer städtischen 'Biomasse'. Als Beispiel: Eine 100 jährige Buche besitzt 600.000 unterschiedliche Blätter auf insgesamt 1.200 m2. Jährlich produziert sie 4,5 Tonnen Sauerstoff, nimmt 6 Tonnen giftiges Kohlendioxid und eine Tonne Feinstaub auf. Dafür verdunstet sie ca. 400 Liter Wasser täglich und das über hunderte von Jahren. Dazu benötigt sie eine Fläche von 3×3 Meter. Um diesen Baum zu ersetzen, müssten zweitausend Jungbäume mit 1,5 m3 Kronen gesetzt werden.
Zu diesen Punkten hat die Stadt trotz mehreren Anfragen nicht Stellung genommen.
Herzlich,
Anja