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Reportage

Die Dirigenten der Lüfte

Von: Ginger Hebel

10. Mai 2016

Skyguide: Anspannung, Verantwortung und alle zwei Stunden in die Erholungspause. Vera Bosshard ist Fluglotsin am Flughafen Zürich. Sie erteilt Startfreigaben und kontrolliert den Flugverkehr. Das «Tagblatt» war im Tower.

Auf den Radarschirmen bewegen sich grüne Punkte nervös hin und her. Ein Blick darauf genügt, und Fluglotsin Vera Bosshard weiss, wie die Situation am Himmel aussieht. Er ist wolkenverhangen, es nieselt. «Wir haben leichten Rückenwind. Gegenwind ist besser für die Landung, aber es ist noch okay», sagt sie. Sollte der Wind stärker werden, wird sie die Piloten anweisen, Piste 28 anzufliegen. Vera Bosshard (39) arbeitet seit 15 Jahren als Fluglotsin bei der Flugsicherung Skyguide im Kontrollturm am Flughafen Zürich, plant und koordiniert den Flugverkehr. An diesem Tag dauert ihre Schicht von 14.20 bis 21.20 Uhr. Das Abendessen hat sie im Tupperware dabei, sie wird es sich in der Teamküche aufwärmen. Sie spricht überlegt und strahlt Ruhe aus. Aufgeregt sei sie nicht mehr nach all den Jahren im Beruf, sie hat die Standardabläufe verinnerlicht. Aber wenn das Wetter umschlägt und alle Maschinen gleichzeitig landen wollen oder durchstarten müssen, dann schiesst auch ihr das Adrenalin durch den Körper. «Man ist angespannter, wenn die Lage komplex wird. Aber ich habe das gern, das ist mein Job.»

Eine Air-France-Maschine befindet sich im Landeanflug, der Funk krächzt, doch Bosshard versteht alles. «Es ist Gewöhnungssache, am Anfang habe ich nur Bahnhof verstanden.» Mittlerweile kann sie feststellen, ob der Funk aus einem Airbus oder einem Jumbolino stammt. 750 Flieger starten und landen in Zürich pro Tag, in Spitzenzeiten wie in den Schulferien sind es bis zu 1000. Jeder vierte Flug der Swiss ist unpünktlich, die Ursache liegt beim Mehrverkehr am Flughafen. Die europäische Flugsicherung Eurocontrol schätzt die Kosten einer Verspätungsminute auf 79 Franken. Kritik, die an Lotsin Vera nicht einfach abprallt. «Natürlich fühlt man sich persönlich angegriffen. Man versucht, alles herauszuholen und jeden Tag das Möglichste zu machen.» Die Starts geradeaus auf der Piste 16 wären daher ihr grösster Wunsch. «Mit der 16 straight wären auf einen Schlag viele Probleme gelöst.» In Zürich kreuzen sich Start- und Landepisten. Wenn ein Jet abhebt, dreht er eine Kurve und durchfliegt das Gebiet landender Maschinen, die bei ungünstigen Windverhältnissen durchstarten müssen und sich somit gefährlich nahe kommen würden. «Aus diesem Grund müssen wir im Anflug Löcher machen, die Maschinen zurückhalten und die Piloten weitere Wege fliegen lassen», erklärt Vera Bosshard.

Nur 30 von 600 bestehen die Prüfung

Neben ihr sitzt eine zweite Fluglotsin. Seit dem Flugzeug-Unglück in Überlingen herrscht im Tower das 4-Augen-Prinzip. Bosshard hält Kontakt mit den Piloten, erteilt Anweisungen und kontrolliert, ob sie verstanden wurden. Kommuniziert wird auch mit Schweizer Piloten auf Englisch. Verwendet wird das standardisierte Piloten-Alphabet, wo man beispielsweise das W als «Whiskey» ausspricht und «Trii» sagt anstelle von Three. Dies ist wichtig, damit es keine Verwechslungen gibt und die Verständigung auch mit chinesischen Piloten reibungslos klappt. Manchmal wechseln die Lotsen mit den Piloten aber auch ein paar Floskeln auf Schweizerdeutsch, «aber nur das Nötigste, damit man die Frequenz nicht unnötig belastet».

300 Fluglotsen arbeiten in Zürich. Jeder, der hier im Tower sitzt, hat ein knallhartes Ausbildungsprogramm hinter sich. Nur etwa 30 der jährlich 600 Bewerber bestehen die Aufnahme-prüfung für die Ausbildung. Wer es schafft, wird dreieinhalb Jahre lang auf Herz und Nieren geprüft; in Radar- und Funktechnik, Navigation, Meteorologie und Luftfahrtrecht, doch auch da fällt im Schnitt nochmals die Hälfte aller Studenten durch. Gute Auffassungsgabe und räumliches Vorstellungsvermögen sind Voraussetzung für den Beruf des Fluglotsen, aber auch hohe Belastbarkeit und einwandfreies Hör- und Sehvermögen. Bosshard ist sich der grossen Verantwortung bewusst, aber das belastet sie nicht, «das wäre nicht gesund. Wenn man Angst hat, arbeitet man weniger gut.» Sie weiss, dass sie ihren Job richtig macht und nicht davon auszugehen hat, dass jeden Tag ein Notfall eintritt.

Nach zwei Stunden schickt Dienstleiter Marcel Cattin – genannt Cello – die Lotsen in die Pause, es sei nicht möglich, die Konzentration länger als zwei Stunden am Stück hochzuhalten, begründet er. «Man merkt es, wenn man abgelöst wird, wie die Anspannung von einem abfällt», sagt Bosshard. Wenn jemand Kopfweh hat oder erkältet ist, übernimmt ein anderer Fluglotse die Schicht. In der Ausbildung, sagt Vera, lerne man, auf seinen Körper zu hören. Die Fliegerei hat sie schon immer fasziniert, ihr Vater war Pilot, und auch ihr Partner ist Fluglotse, die beiden haben sich – wie viele hier – im Tower kennen und lieben gelernt. Fluglotse ist ein lukrativer Beruf, wenn auch höchst anspruchsvoll. Das Durchschnittsgehalt liegt bei ungefähr 100 000 Franken im Jahr, dazu kommen Zulagen für Wochenend- und Feiertagsdienst, 6 Wochen Ferien, ab 30 geht es alle fünf Jahre zur bezahlten Kur, mit 56 wird man zwangspensioniert. «Es ist ein cooler Job, aber er verbraucht einen auch», sagt Marcel Cattin. Durch den Schichtbetrieb müssen Hobbys, in seinem Fall Handball, minutiös geplant werden. Seit 25 Jahren sitzt der ehemalige Banker im Tower, Pisten und Rollwege stets im Blick. Neben ihm auf dem Tisch: ein Feldstecher. Er kontrolliert damit die Pisten, wenn beispielsweise ein Pilot einen Vogelschlag meldet.

Seit Überlingen hat sich bei Skyguide alles verändert. «Wir sind nicht mehr derselbe Betrieb», sagt Pressesprecher Vladi Barrosa. Am 1. Juli 2002 kollidierten zwei Flugzeuge in der Luft, weil ein Fluglotse einen Fehler gemacht hatte. Der leitende Lotse wurde später von einem Russen erstochen, dessen Frau und Kinder beim Absturz ums Leben gekommen waren. «Früher haben wir hier viel allein gearbeitet, auch nachts», resümiert Cattin. Obwohl in Zürich ein Nachtflugverbot herrscht, ist der Kontrollturm 24 Stunden besetzt – für Notfälle oder die Rega. Heute sitzen die Lotsen nachts zu zweit im Tower; einer wacht, der andere schläft. Vera Bosshard bringt immer eine Tüte Popcorn mit als Beschäftigung in stillen Nächten, die bei ihr bisher immer ruhig waren.

Anders bei ­Cattin, er hat den Ernstfall schon erlebt. Er erinnert sich an den Moment, als ein kranker Passagier den Piloten mitten in der Nacht zur Landung zwang. Ein anderes Mal glaubte eine Crew, nicht mehr genug Kerosin zu haben, und landete mit Cattins Anweisung in ­Zürich. «Nachts wird oft auf den Pisten gearbeitet. Bei einem Notfall muss man schnell sein, die Pisten räumen, die Feuerwehr aufbieten, den ­Piloten betreuen, das ist schon ein Stress.» Glücklicherweise verläuft der Flugbetrieb in der Regel reibungslos. Vera Bosshard erteilt dem Piloten eines Edelweiss-Airbus die Startfreigabe. «Cleared for takeoff», funkt sie, «en guete Flug.»

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