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Reportage

Das Kasernenhauptgebäude: Fast schon ein Mahnmal einer nicht enden wollenden Leidensgeschichte. Bild: Nicolas Zonvi

Die festgefahrene Geschichte einer politischen Zumutung

Von: Jan Strobel / Sacha Beuth

22. Januar 2019

Von Nutzungskonzept zu Nutzungskonzept, von Urnengang zu Urnengang, von Luftschloss zu Luftschloss. Das Seilziehen um die Nutzung des Kasernenareals ist spätestens seit 1975 eine aufreibende Leidensgeschichte. Das vorerst letzte Kapitel steuerten vergangene Woche FDP, SVP und EDU im Zürcher Kantonsrat bei. Die Bürgerlichen sprachen sich gegen eine finanzielle Beteiligung des Kantons an der Sanierung der alten Zeughäuser aus und ­kippten damit die Vereinbarung im Baurechtsvertrag mit der Stadt Zürich. Wie es mit diesem Ort der kasernierten Zukunftsträume weitergehen soll, bleibt ungewisser denn je.

 

 

1938: Schon damals reift die Idee, die Kaserne von der Innenstadt ins Albisgüetli zu verlegen. Eine militärische Nutzung mitten im belebten Aussersihl erscheint dem Kanton nicht mehr zeitgemäss und zu unpraktisch. 

1961: Das Reppischtal zwischen Urdorf und Birmensdorf kommt als Alternativstandort ins Gespräch. Die Kantons­regierung kauft dort vorsorglich bereits Land. 

1975: Der Kantonsrat stimmt der Vorlage zur Verlegung der Kaserne und des Waffenplatzes Zürich ins Reppischtal zu. Ideen für eine neue Nutzung des Kasernenareals spriessen ins Feld: Sie reichen vom Bau einer Schule, von Wohn- und Warenhäusern oder eines Hotelkomplexes bis zum vollständigen Abriss. Zum ersten Mal wird auch die Schaffung einer «Erholungsinsel» diskutiert. Im Dezember 1975 stimmt schliesslich auch das Volk der Verlegung des Militärs ins Reppischtal zu. 

1976:  Das Kasernenhauptgebäude, die Zeughäuser und die Stallungen werden unter Denkmalschutz gestellt. 

1977: Die Partei der Arbeit (PDA) und die EVP haben zwei Initiativen lanciert, welche die Umwandlung des Kasernenareals in einen Stadtpark und Erholungsraum fordern. Der Regierungsrat allerdings beantragt dem Kantonsrat, die beiden Initiativen dem Stimmvolk ohne Gegenvorschlag zur Ablehnung zu empfehlen. Ein Entscheid über die Zukunft des Areals sei verfrüht. Dem folgen CVP, FDP, SVP und Landesring. 

1978: Die kantonalen Stimmberechtigten lehnen die beiden Initiativen der PDA und der EVP ab. 

1981: Das erste Gesamtnutzungskonzept wird vom Regierungsrat verabschiedet. In den Zeughäusern 1 bis 3 soll das kantonale Kriegskommissariat untergebracht werden. Auf dem Kasernenhof sollen Helikopterlandeplätze gebaut und das Hauptgebäude durch die Kantonspolizei genutzt werden. Auch ein unterirdisches Parkhaus ist geplant. Der Zürcher Stadtrat allerdings stellt sich diesen Plänen quer. 

1982: Der Kantonsrat fordert, das Konzept des Regierungsrats gründlich zu revidieren. Die Rede ist von «der Arroganz der Macht» gegenüber der Stadt und dem Kreis 4. Im Juni lanciert die Stadtzürcher SP die «Kasernenareal-Initiative», die vor allem die Polizeianlage und das Parkhaus in der Kaserne verhindern will. 

1983: Der Regierungsrat stellt ein zweites Nutzungskonzept vor und kommt der Stadt entgegen. Jetzt ist auch von öffentlichen Grünräumen die Rede und von der Unterbringung kultureller Institutionen. Zeughäuser und der Zeughaushof möchte der Regierungsrat zu einem grossen Teil der Stadt überlassen. Derweil entbrennt ein Politkrimi um die SP-Initiative. Sowohl der Stadtrat als auch der Gemeinderat lehnen es ab, das Begehren an die Urne zu bringen. Die Linke allerdings erzwingt eine Volksabstimmung durch ein Behördenreferendum. Dagegen wehren sich sowohl der Automobil-Club der Schweiz (ACS), der das Parkhaus unbedingt will, als auch die City-Vereinigung Zürich mit Aufsichtsbeschwerden und Rekursen.

1985: Der Bezirksrat Zürich weist sämtliche Beschwerden und Rekurse ab. Im September scheitert die SP-Initiative aber dennoch an der Urne – und zwar überraschend deutlich. Nur der Kreis 4 stimmt ihr zu. 

1986: Der «Wyberrat Züri» verlangt ein «Frauenkulturzentrum» im Zeughaus. Die PdA fordert erneut die unverzügliche Öffnung des Areals für die Bevölkerung nach dem Auszug des Militärs. Die Kantonsregierung spricht im Oktober die ersten Gelder für den Umbau der Militärkaserne und des Zeughauses 5. Lediglich 20 Prozent des Geländes sind für öffentliche Nutzungen vorgesehen. Den Rest soll die Kantonspolizei nutzen, für die zusätzlich noch ein neuer Annexbau und ein Werkhof geplant sind.  

1987: Das Militär verlässt das Kasernenareal und zieht ins Reppischtal. Im gleichen Jahr muss die Kantonsregierung eine Klatsche durch die Stimmbevölkerung hinnehmen. Sie lehnt es ab, das Kasernenareal vor allem für polizeiliche Zwecke umzubauen. Die Regierung allerdings legte bereits eine provisorische Nutzung fest. Die Ansprüche der Stadt drohen über Jahre blockiert zu sein. 

1988: Der Verein D Kaserne für Züri legt ein provisorisches Nutzungskonzept vor, das es ermöglichen soll, in einer Übergangsphase den gewonnenen Freiraum zu nutzen. Büro- und Verwaltungsräume, findet der Verein, hätten auf dem Kasernenareal nichts zu suchen. Er möchte ein Kasernen-Forum für Lebens- und Zukunftsfragen auf dem Areal einrichten, eine Disco, ein Begegnungszentrum für Flüchtlinge und ein Frauenkulturzentrum. 

1994: Die Stadt Zürich erteilt dem Kanton die Bewilligung, auf dem Kasernenareal ein Polizeigefängnis zu errichten als Provisorium mit einem Betrieb bis 1999. Das Gefängnis soll insbesondere dazu dienen, den Drogenhandel einzudämmen. Das kantonale Stimmvolk stimmt dem Plan mit grosser Mehrheit zu. Selbst der Kreis 4 sagt Ja zum Gefängnis. 

1995: Wieder legt der Regierungsrat ein Nutzungskonzept vor. Am Rand der Kasernenwiese sollen Neubauten entstehen, und im Hauptgebäude neben der Kantonspolizei soll die kantonale Maturitätsschule für Erwachsene untergebracht werden. Das Gefängnis soll durch einen definitiven Neubau ersetzt werden. 

1998: Der Kanton veranstaltet einen Architekturwettbewerb. Vorgeschlagen werden Läden, ein Markt oder ein Museumszentrum mit Kunstsammlungen. Der Wettbewerb verläuft ohne abschliessendes Ergebnis. 

1999: Das Polizeigefängnis steht in der Kritik. Der Gemeinderat findet, die Stadt dürfe sich nicht mit dem Bau abfinden. Das Volk lehnt einen Kredit für 90 Millionen Franken für Polizeineubauten auf dem Kasernenareal ab. Die Situation ist vollends festgefahren. 

2003: Der Regierungsrat sucht den Befreiungsschlag. Auf dem ausgedienten Güterbahnhof soll ein neues Polizei- und Justizzentrum entstehen. Damit würde das Kasernenareal frei für andere Nutzungen. Im November sagen die Stimmberechtigten Ja zur Verlegung. Exponenten von Stadt und Kanton fordern nun, auf dem Kasernenareal das neue Kongresszentrum zu bauen. Unterstützt wird diese Idee später auch vom Regierungsrat.  

2014: Zürich soll einen «Central Park» bekommen. Auf dem Kasernenareal soll ab 2020 ein grosser Freiraum mit einer Schule für Erwachsene, Beizen, Kultur und Kleingewerbe werden. Vollständig neu genutzt werden kann das Areal aber nicht. Denn schon jetzt zeichnet sich ab, dass das neue Polizei- und Justizzentrum, dem die Stimmberechtigen 2011 abermals zustimmten, zu klein sein wird. Das Kommando der Kantonspolizei soll deshalb in der Kaserne bleiben. 

2016: Trotz des Vorwurfs, das Versprechen eines freien Kasernenareals gebrochen zu haben, hält der Regierungsrat daran fest, dass das Kommando der Kantonspolizei weiterhin auf dem Kasernenareal bleibt. Dem Masterplan stimmt aber schliesslich auch die Stadt und 2017 der Gemeinderat zu. Die Kaserne soll zu einem «Arbeits-, Begegnungs- und Erholungsort» werden. Die historischen Gebäude sollen saniert werden. Das Polizeigefängnis soll verschwinden. Im Hauptgebäude will der Kanton ein Bildungszentrum einquartieren. Die Zeughäuser und der Zeughaushof werden der Stadt Zürich im Baurecht abgegeben. Der Kanton Zürich verpflichtet sich mit dem Baurechtsvertrag, eine Kostenbeteiligung von maximal 30 Millionen Franken zu leisten.

Zurück auf Feld eins

Nach dem Nein der bürgerlichen Mehrheit im Zürcher Kantonsparlament zum 30-Millionen-Kredit für die Sanierung der Zeughäuser und dem Baurechtsvertrag mit der Stadt Zürich herrscht allgemeine Konsternation. «Was wir und die verantwortlichen Behörden der Stadt ausgearbeitet haben, wurde mit einem Schlag Makulatur. Das heisst für uns zurück auf Feld eins», erklärt Markus Pfanner, Mediensprecher der kantonalen Baudirektion. Ob man die Angelegenheit nun allein angehen wolle oder erneut eine Lösung mit der Stadt suchen werde, sei noch völlig offen. «Dazu müssen wir erst die neue Ausgangslage analysieren.»

Derweil schieben sich die politischen Parteien gegenseitig den Schwarzen Peter zu. Die Linken aus Stadt und Kanton werfen den Bürgerlichen in einer Medienmitteilung vor, sie hätten die Stadt «bashen» und darum den Deal absichtlich platzen lassen. Dieser beinhaltete, dass der Kanton Zeughäuser und Zeughaushof im Baurecht für 50 Jahre an die Stadt abgibt, dafür aber nur 30 Mio. von geschätzt total 55 Mio. Franken an die Sanierung des gesamten Areals zahlt. «Stimmt nicht», wehrt sich Christian Mettler, SVP-Kantonsrat und Mitglied der kantonalen Kommission für Planung und Bau. «Wir hatten zuvor einen Rückweisungsantrag gestellt, damit die Vorlage nochmals überarbeitet werden kann. Doch der wurde von links mit Unterstützung von CVP und BDP abgelehnt.» Auf die Frage, wie es nun weitergehen soll, sagt Mettler: «Die Stadt hätte den Fünfer und das Weggli erhalten, weil sie einen weit höheren kommerziellen Nutzen aus dem Areal ziehen könnte, als sie die Sanierung kostet. Die nächste Vorlage soll kostenneutraler ausfallen.» Das wiederum stösst bei links auf wenig Gehör. Grüne und GLP schlagen darum vor, die Stadt solle versuchen, gleich das ganze Areal zu erwerben.

Ganz ohne Sanierungen sei die Anlage übrigens nicht. «Allerdings wurde nur das Notwendigste gemacht», so Baudirektionssprecher Pfanner. Die Kosten hatte allein der Kanton zu tragen. Und bis ein neuer Vorschlag ausgearbeitet und abgesegnet ist, ändert sich daran auch nichts.

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