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Reportage

Bei Regenwetter verströmt der Röschibachplatz mit seinem Kiesbelag nicht ganz so viel mediterranes Flair wie bei Sonnenschein. Bild: H. Wehrli

Die kleine Oase in Wipkingen

Von: Urs Hardegger

20. September 2016

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt jede zweite Woche eine solche Story. Heute: der Röschibachplatz.

Eben noch warf die Sonne ihre Strahlen auf die Leute, die auf den Rundbänken plauderten, ihre Handys checkten oder die Zeitung lasen. Doch nun hat ein Sommer­gewitter den Röschibachplatz in wenigen Augenblicken leer gefegt. In alle Richtungen stieben die Leute auf der Suche nach einem Unterstand auseinander. Ich bin froh, unter einem der grossen quadratischen Sonnenschirme des Nordbrüggli zu sitzen und die Szene aus sicherer Distanz beobachten zu können.

Am Röschibachplatz hat Wipkingen seine Seele zurückgefunden. Noch bis 1964 wendete hier die Tramlinie 12, danach machte der Durchgangsverkehr vom Wipkingerplatz her, ein Verweilen zur Qual. Für das Quartier, das seit Langem durch Ausfallstrassen, Verkehrsachsen und Bahnlinien geprägt ist, ging mit der neuen «Piazzetta» ein heiss ersehnter Wunsch in Erfüllung. Auch jetzt, da dicke Tropfen auf den Asphalt klatschen und sich auf dem Kies kleine Pfützen bilden, kann sich das Resultat sehen lassen. Ein Kiesfeld in der Mitte, in der Form eines abgerundeten Dreiecks, betont das Oasenartige des Platzes und trennt ihn vom Verkehrs­bereich. Ausserdem wurde vor dem Restaurant Nordbrücke das Trottoir verbreitert. Gegen die Einführung des Einbahnverkehrs und der Tempolimite 20 gab es lange erheblichen Widerstand.

Mit Ruhe und Geschick

Um beim Pétanque die metalligen Kugeln so punktgenau wie möglich an den hölzernen Cochonnet zu werfen, braucht es neben Ruhe und Geschick auch eine geeignete Unterlage. Deshalb war in der Planung der Kiesbelag wichtig. Es wäre übertrieben, wenn man behauptete, die Wipkinger Bevölkerung hätte das Pétanquefieber gepackt, obwohl auf dem Platz schon Turniere stattgefunden haben. Das Spiel steht wohl eher bildlich für das Ambiente, das der Platz ausstrahlen möchte: ein Begegnungsort mit der mediterranen Leichtigkeit des Seins, das wir mit den pétanquespielenden Männern auf den Dorfplätzen der Provence verbinden.

Das passt nicht schlecht zum Touch, den sich das Quartier mit den zahlreichen Szene-Cafés in den letzten Jahren zugelegt hat. Nicht nur der «Röschi», das ganze Quartier befindet sich im Aufwind und hat an Attraktivität gewonnen. Regelmässige Spielnachmittage, Open-Air-Kino, Floh- und Frischmarkt ­beleben den Platz und das Quartierleben.

Lange Zeit war die Wipkinger Bevölkerung vom Bau der Bahnlinie mit Viadukt, Bahndamm und Tunneldurchgang alles andere als begeistert. Noch 1934 klagte der Arzt Franz Gyr in einem Vortrag der Gemeinnützigen Gesellschaft, dass der schmale Einschnitt, durch den täglich 160 Züge dampften, «Wipkingens friedliches Gelände grausam durchschnitten» habe. Die Elektrifizierung der Strecke brachte 1932 den Wipkingern immerhin bessere Luft, und sie erhielten gleichzeitig den ersehnten eigenen Bahnhof. Nach der Eröffnung der Durchmesserlinie hat dieser jedoch für die SBB seine Bedeutung verloren. Zum Leidwesen der Bevölkerung ist der Bahnhof nur noch im Halbstundentakt mit City und Oerlikon verbunden. Ob die eingereichte Petition daran etwas ändern wird, wird man sehen. Wäre es nach den Wünschen der marktwirtschaftlich orientierten SBB gegangen, hätte auch das architektonisch nicht uninteressante Bahnhofsgebäude einem Hochhaus weichen müssen. Finanzielle Aspekte und ein privater Käufer wussten dies zu verhindern.

Noch fliesst das Regenwasser den Randstein entlang in die Dolen, von wo es in den unterirdischen Kanal des Röschibachs gelangt, der dem Platz den Namen gab. Der Regen hat nachgelassen. Die feuchte Luft riecht nach Asphalt, als ich den Computer einpacke und sich der Platz wieder zu beleben beginnt.

Quelle:
75 Jahre Gemeinnützige Gesellschaft Wipkingen. 1859–1934. Vortrag von F. Gyr. Zürich 1935.

Lesen Sie am 5. Oktober den Beitrag zur Sophie-Taeuber-Strasse.

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