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Reportage

«Die grösste Kunst des Fischens ist nicht das Fangen, sondern das Ertragen des Nichtfangens.» Bilder: Anna Kappeler

Die Männer vom Revier "Limmat 353"

Von: Anna Kappeler

21. Juli 2015

Fischen heisst entschleunigen, auch mitten in der Stadt. Eindrücke eines Tages­anbruchs im urbansten Fischerei-Revier der Schweiz.

5.30 Uhr am Central. Erste, schlaftrunkene Pendler wuseln in der Dämmerung fast geräuschlos über den Platz. Beginn eines typischen «Limmat 353»-Morgens. «353» steht im Fischerjargon für das ­urbanste Fischerei-Revier der Schweiz, das den Limmat-Abschnitt von der Rudolf-Brun-Brücke bis ans Stauwehr am Lettensteg umfasst. Hier treffen sich die beiden Hobbyfischer Christian und Beat. Heute fischen sie «auf Egli».

Konzentrierte Blicke auf die starke Strömung. Christian beginnt mit einem Wobbler, einem Kunstfisch, an dessen Haken er Maden befestigt. Beat startet mit Zapfenfischen, beisst ein Fisch in den Wurm am Haken, zieht er den Zapfen unter Wasser. Sie warten. Nichts passiert. Doch ein Profi kennt die Lieblingsplätze der Fische. Also Standortwechsel. Wer glaubt, Fischen sei langweiliges Verharren am gleichen Ort, kennt den Rhythmus der Stadtfischer nicht. Im gefühlten 5-Minuten-Takt klappern sie verschiedene Plätze ab, etwa im Kehrwasser unterhalb von Brückenpfeilern oder nah am pflanzenreichen Ufer.

Ein gezielter Schlag
Christian und Beat sind zwei von nur gerade 38 Fischern, die das Patent für die «353»-Strecke besitzen. Allen anderen ist das Fischen hier verboten. In der Stadt Zürich gibt es weitere 28 Fischerei-Reviere, im Kanton sind es rund 300. Um das Patent zu erwerben, muss beim jeweiligen Pächter vorgesprochen und ein Kurs zur Erlangung des Sachkundenachweises (Sana) absolviert werden. Dieser garantiert ausreichende Kenntnisse über den tierschutzgerechten Umgang und ist seit 2009 für alle Fischerpatente von mehr als 30 Tagen obligatorisch.

Um halb 7 Uhr, «Petri Dank!», beisst bei der Rudolf-Brun-Brücke ein Egli. Beat schlägt an, holt es ein, die Schnur stets gespannt, umfasst den Fisch fest mit einer Hand, betäubt ihn mit dem Fischtöter durch einen gezielten Schlag auf den Kopf, macht mit dem Sackmesser einen Kiemenschnitt und löst mit einer Zange den Haken. Mit dem Kiemenschnitt «entblutet» der Fisch, das ist bei Tieren über 22 Zentimetern obligatorisch. «Ein schönes Exemplar», frohlockt er, «mindestens 25 Zentimeter.»

In Andy’s Fischershop beim Helvetiaplatz hat es am Tag zuvor hauptsächlich Kunden um die 30. Kein Zufall, sagt Besitzer André Bleiker: «Es kaufen zunehmend junge Städter bei mir ein. Ich verdanke ihnen deutlich mehr Umsatz.» Ein 35-jähriger Stadtzürcher steht neben der Kasse und sagt: «Fischen ist eine tolle Abwechslung zur Arbeit und zum Clubben, ich mag dieses ‹back to the roots›.» Auch auf Facebook boomen Fotos mit stolz in die Kamera gehaltener Beute. Fischen scheint das neue Auflegen zu sein, es ist hip ge­worden.

Zahlen des Netzwerks Anglerausbildung, das für die Vergabe der Sana-Ausweise zuständig ist, bestätigen den Trend: Ende 2014 besitzen schweizweit 105 000 Fischer den Ausweis. Die Gruppe der 25-bis 40-Jährigen ist am meisten gewachsen; 2013 ist fast jeder vierte Fischer in diesem Alter. Aktuellere Zahlen fehlen, doch sagt ein Mitarbeiter des Netzwerks: «2014 hat sich der Zulauf der Jungen weiter verstärkt, eine Tendenz, die auch für 2015 gilt.»

Bastion der Männer
Die Dämmerung ist einem Hochsommermorgen gewichen, die anfängliche Stille einem konstanten Motorenbrummen. Zeit für Kaffee. Diskussion über Fischen als Leidenschaft. «Der Moment, wenn der Fisch beisst, gibt dir den Kick.» Ebenso entscheidend sei der Wettkampf: «Wer am meisten fängt und wer den Grössten, darum geht es nun mal auch.» Fischen als letzte Bastion für wahre Kerle? Sie winken ab, Frauen seien jederzeit willkommen. Doch Fischerinnen sind eine Ausnahme, wie auch «353»-Pächter Urs Krebs bestätigt: «In meinem Revier hat es keine einzige Frau.» Ein Blick auf die Statistik der Sana-Ausweise immerhin zeigt: Seit der Ersterhebung 2008 mit 5 Prozent hat sich der Frauenanteil letztes Jahr auf 10 Prozent verdoppelt.

Um halb 9 verabschiedet sich Beat ins Büro, Christian hat frei und will im Platzspitz auf Hecht-Jagd. Er greift zur robusteren Rute, montiert einen 20 Zentimeter langen Gummifisch als Köder. Doch keiner beisst. Er trägts mit Fassung, denn «die grösste Kunst des Fischens ist nicht das Fangen, ­sondern das Ertragen des Nichtfangens».

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