mobile Navigation

Reportage

Von Afghanistan bis Vietnam: 600 ehemalige Ausländer feiern ihren roten Pass im Kongresshaus. Bilder: CLA

Die "nigelnagelneuen" Zürcher

Von: Clarissa Rohrbach

11. März 2014

2150 Ausländer wurden letztes Jahr zu Zürchern. Corine Mauch hiess einige davon im Kongresshaus willkommen. Das «Tagblatt» hat die Neubürger getroffen.

Der Enthusiasmus im Raum ist geradezu unschweizerisch. Die 600 Neubürger klatschen, pfeifen und rufen «Bravo!». Grund dafür ist der flotte Marsch, zu welchem sich Trompeten und Trommeln vermischen. Die ehemaligen Ausländer feierten am letzten Donnerstag im Kongresshaus ihren roten Pass und vor allem, dass sie nun «richtige» Zürcher sind. Pünktlich sind sie für die Feier erschienen, haben ihre Jacken abgegeben, darunter die schönsten Anzüge und Roben. Stolz warten sie auf die Ansprache von Corine Mauch. Eine Zürcher und eine Schweizer Fahne zieren die Wände des grossen Saals.

«Es freut mich ausserordentlich, dass Sie alle den Sechseläuten-Marsch erkannt haben, offensichtlich sind Sie gut integriert», sagt die Stadtpräsidentin nicht ohne Sarkasmus. Der Seitenhieb gilt der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative. In ihrer Rede betont Mauch, wie enttäuscht sie sei über das Resultat der Abstimmung. Diese Entscheidung werde Folgen haben und sei auch ein Affront gegenüber den Ausländern, die bereits hier wohnten. «Der Stadtrat heisst aber Ausländer in Zürich weiterhin willkommen. Es gibt hier keine Ausländer oder Schweizer, sondern nur Zürcher, mit oder ohne Schweizer Pass.» Zürich beweise Tag für Tag, dass Integration erfolgreich und Zuwanderung ein Gewinn für die gesamte Gesellschaft seien. Und zum Schluss sagt sie den «nigelnagelneuen» Zürchern: «Sie haben in der Stadt eine neue Heimat gefunden, herzlich willkommen!»

Zu den Noten von Nina Simones «Feeling Good» – «It’s a new day, it’s a new life» – begeben sich die Gäste zum Apéro mit Schweizer Spezialitäten. Kellner servieren Mostbröckli und schenken Zürcher Stadtwein ein. Silvia Faria Vieira (45) schnappt sich ein Stück «urchigen Bergkäse». Die Frau mit den wilden Locken stammt aus Brasilien und wohnt seit 22 Jahren in Zürich. «Ich habe hart gearbeitet für diese Nationalität, deswegen habe ich auch viel Respekt davor», sagt die Sachbearbeiterin bei Kuoni. Hier könne sie als Frau allein leben, das wäre mit dem Sexismus und der Kriminalität in Brasilien nicht möglich. Zu der SVP-Initiative hat sie eine klare Meinung: «Es ist unfair gegenüber uns Schweizern, wenn Ausländer zu niedrigeren Löhnen arbeiten. Ich hätte Ja gestimmt.»

Ebenfalls nicht brüskiert von dem Abstimmungsresultat fühlt sich Eric Häusler (28). Der Geschichtsstudent kam als 16-Jähriger aus Deutschland nach Zürich. «Es gibt hier keine Feindlichkeit gegenüber den Deutschen.» Der Schweizer Pass bedeute ihm mehr, als er gedacht hätte. «Die deutsche Staatsbürgerschaft war mir wegen der belastenden Geschichte nie richtig angenehm.» Und er habe bereits richtige Zürcher «Mödeli» entwickelt, wie etwa, sich andauernd über Kleinigkeiten zu beschweren, wo wir doch in einer der schönsten Städte der Welt lebten. Doch Schweizerdeutsch zu sprechen, kommt für den Seefelder nicht infrage. «Es wäre nicht authentisch.»

 

 

 

Fast perfektes Züritüütsch spricht Mirlinda Shala. Die Verkäuferin lebt mit ihrem Mann, einem Gerüstbauer, und ihren zwei Kindern in Neu-Affoltern. Vor 16 Jahren, kurz vor dem Krieg, verliess sie Kosovo für Zürich. «Anfangs dachte ich: Mein Gott, diese Sprache lerne ich nie!» Die Arbeit habe sie dann gezwungen, viel eher als die Schule, Schweizerdeutsch zu sprechen. «Heute ist ein grossartiger Tag, ich fühle mich anders, ich bin jetzt Zürcherin.» An Kosovo denke sie gar nicht mehr.

Ingrid Wolf wollte eigentlich nur für ein Jahr in Zürich leben, nun sind 15 vergangen. Die gebürtige Deutsche wurde Schweizerin, um abstimmen zu können. «Es war mir wichtig, etwas zu Gesundheitsthemen und Ausländerthemen sagen zu können», so die Ausbildungsleiterin in einer Klinik. Auch für See Siang Wong war das Abstimmen der grösste Reiz, um den Pass zu beantragen. «Dieses System der direkten Demokratie ist einzigartig, ein grosses Privileg», sagt der Konzertpianist mit chinesischen Wurzeln. Am meisten schätze er an Zürich, wie die Stadt die Kultur unterstütze Das Gleiche sagt er noch der Stadtpräsidentin, welche die Neubürger persönlich begrüsst. Sie bleibt, bis der Letzte von dannen zieht, seinen roten Pass im Sack, seine neue Heimat im Herzen.

Die Neubürger stammen aus über 90 Ländern. Die meisten kommen aus Deutschland (276), Italien (194), der Türkei (144) und Kosovo (131). Die wenigsten aus Myanmar (1) oder Sierra Leone (1). Seit Anfang 2104 haben sich rund 30 Prozent mehr Personen an einer Einbürgerung in Zürich interessiert als im Vorjahr. Laut dem Präsidialdepartement hänge die Zunahme vermutlich mit Änderungen bei der Gesetzgebung zusammen. Seit 1. Januar müssen im Ausland geborene Personen ununterbrochen zwei Jahre in Zürich gewohnt haben, um den Schweizer Pass zu bekommen. Früher waren es sechs.

zurück zu Reportage

Artikel bewerten

Gefällt mir 1 ·  
3.7 von 5

Leserkommentare

Keine Kommentare