Reportage
Die Retter fast vergessener Schätze auf dem Zürichsee
Von: Jan Strobel
Zürich und die Region um den Zürichsee galten einst als Wiegen des Schweizer Schiffs- und Bootsbaus. Die Stiftung Historische Zürichsee-Boote möchte dieses Kulturgut bewahren und restauriert ausgesuchte Oldtimerboote. Jetzt ist das neuste Schmuckstück der Flotte wieder auf dem See unterwegs.
Ein Sandstrand am Pazifik, umgeben von Palmenhainen. Dahinter, landeinwärts, zeichnen sich die sattgrünen Bergzüge ab. Dieser Ort auf der hawaiianischen Insel Kauai ist ein paradiesischer Fluchtpunkt, und sein Name klingt wie der einer fernen Schönheit: Hanalei.
Einen Ort als Fluchtpunkt mag um 1930 auch ein Genfer Medizinprofessor gesucht haben, als er sich in New York ein Dodge-Motorboot kaufte und es auf den Namen Hanalei taufte. Nach seinem Aufenthalt in den USA nahm er seine Hanalei mit an den Genfersee und suchte dort Erholung und Abstand vom Spital-alltag beim Sonnen und Baden. 20 Jahre lang fuhr er mit seiner Hanalei hinaus auf den See, bis sich bei seiner hölzernen Schönheit der Zahn der Zeit bemerkbar machte. Ein Ersatz musste her, aber nicht irgendein neues Boot, sondern eine möglichst exakte Kopie der Hanalei: Fünf Meter Länge, 1,5 Meter Breite, konstruiert für maximal drei Personen, Höchstgeschwindigkeit 45 km/h. Den Nachbau mit nur kleinen Abänderungen übernahm die renommierte Firma Gebrüder Faul Automobile und Wasserfahrzeuge in Horgen. Im Mai 1952 konnte der Professor die Hanalei II schliesslich im Genfersee zu Wasser lassen. Nach seinem Tod wurde das Boot in der Familie weitergegeben und kam so irgendwann an den Zürichsee.
Zeugen einer wahren Kunst
Fast genau 67 Jahre nach der Jungfernfahrt der Hanalei II sitzt Urs Faul, ein direkter Nachfahre der Erbauer, hinter dem Steuer im schlichten, eleganten Cockpit. Es ist ein verhangener, aber trockener Tag, der Zürichsee zeigt sich von einer wenig paradiesischen Seite. Doch die Holzplanken der Hanalei II glänzen, die Zürifahne schmückt den Bug, der Motor ist startklar. «Das ist immer noch das Original, ein 4-Zylinder-Jeep-Motor», sagt jetzt Roger Staub. «Dieses kleine Boot ist einzigartig.» Der 61-Jährige ist Präsident der Stiftung Historische Zürichsee-Boote (HZB), die er 2007 mit gleichgesinnten Bootsliebhabern gegründet hat. Die Stiftung hat sich der Rettung und dem Erhalt von Oldtimerbooten aus der Region verschrieben, ein fast vergessenes Kulturgut – und das ausgerechnet in einer Wasserstadt wie Zürich (siehe Box rechts). «Diese Boote, wie die Hanalei II, sind Zeugen einer hochstehenden Bootsbaukunst, die es einmal am Zürichsee gegeben hat», erklärt Roger Staub. «Das Wissen um dieses Handwerk ist mittlerweile leider fast verschwunden. Da ist heute nicht mehr viel los.»
Derzeit besteht die restaurierte Flotte der HZB aus acht Booten, die der Stiftung von Privaten zugetragen wurden. «Es gibt schlicht keinen Markt für nicht renovierte, historische Boote», so der Stiftungspräsident. Dabei sind die Vorgaben der Stiftung streng. Ein Oldtimer muss grundsätzlich ein Holzschiff sein. «Ab Baujahr 1960 ist es für uns nicht mehr interessant, dann drangen die Boote aus Kunststoff immer mehr auf den Markt», sagt Roger Staub. «Wir wollen spezielle Schiffe, nicht gewöhnliche.»
Auch die Hanalei II fand keinen Käufer mehr. Um sie vor der Entsorgung zu retten, wandte sich der Eigner an die HZB, welche das Schmuckstück übernahm. Zur Finanzierung der Restauration startete die Stiftung eine Kampagne auf der Crowdfunding-Plattform Wemakeit, auf der schliesslich über 24 000 Franken zusammenkamen. Saniert wurde die Hanalei II schliesslich während des Winters an ihrem Geburtsort, in der Horgener Jachtwerft Faul. Jetzt steht sie Interessierten für Fahrten zur Verfügung – im Boot-Sharing, einer Art Mobility für geschichtsbewusste Zürichseekapitäne. Bedingung ist ein Fahrausweis für Motorboote und eine Mitgliedschaft in der Stiftung HZB. Mit den Sharing-Einnahmen werden der Betrieb und der Unterhalt der Flotte finanziert. «Wir sind auf der Suche nach einem dauerhaften Liegeplatz für die Hanalei II. In der Stadt Zürich ist das immer noch kein leichtes Unterfangen», sagt Roger Staub, «auch wenn 2018 der Stadtrat Non-Profit-Boot-Sharing-Plätze lancierte.» Von den 112 Schiffsplätzen für Gewerbe und Vereine fallen neu ein Viertel in diese Kategorie. Damit soll die breite Bevölkerung Schiffe auf dem Zürichsee häufiger nutzen können, ein Anliegen, das auch die Stiftung HZB mit ihren Oldtimerbooten ausdrücklich bezweckt. «Der Antrag ist jedenfalls gestellt», so Roger Staub.
Das Flaggschiff der HZB-Flotte ist die 10,5 Meter lange Ajax, ein sogenannter Weekend-Motorkreuzer, der 1936 ebenfalls vom Bootsbauer Faul in Horgen gebaut wurde nach US-amerikanischem Design. Das Schiff war bereits damals der Inbegriff des kleinen Luxus mit einem Schlafraum, einem Salon, Küche und Toilette. 2006 erwarb sie zuerst der Oldtimer Boot Club Zürichsee als Clubschiff (OBCZ), unterstützt durch einen Beitrag aus dem Lotteriefonds des Kantons Zürich. Um den Zeitzeugen zu erhalten und betreiben zu können, errichtete der OBCZ 2007 die Stiftung. Die Ajax wurde das Gründungsschiff der Stiftung HZB und so der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Wer die Kostbarkeit heute als Kapitän steuern will, muss vorher eine Prüffahrt absolvieren. «Das Schiff ist immerhin 200 000 Franken wert», sagt Roger Staub.
Das älteste Boot in der Stiftungsflotte allerdings ist der Hecht, Baujahr 1911, das erste Fahrgastschiff auf dem Pfäffikersee. Erbaut wurde es damals vom jungen Bootsbauer Emil Leemann und war bis zum Zweiten Weltkrieg täglich im Einsatz. Am 29. Juni erlebt das ebenfalls mit Mitteln aus dem Lotteriefonds des Kantons Zürich restaurierte Motorschiff seinen zweiten Stapellauf, anlässlich des Forellenfests am Pfäffikersee.
Für die Pfäffiker ist dieser Stapellauf noch ein richtig emotionales Ereignis. An der Zeremonie werden immerhin Regierungsrat Ernst Stocker und Vertreter des Pfäffiker Gemeinderats teilnehmen.
Weitere Informationen:
www.stiftunghzb.ch
Zum «Sunntige» hinaus aufs Wasser
Als im Mai 1936 in der Stadt Zürich die grosse Frühlingsausstellung «Weekend, Sport und Mode» stattfand, standen unter anderem auch die «rassigen Motorboote» im Fokus der Schau, die vom Segel- und Motorbootclub Zürich mitorganisiert wurde. In den Zeitungsbeilagen wurden die Vorteile eines Wochenendes auf dem See angepriesen, «die Betätigung in freier Luft und das innere Verbundensein mit den Naturschönheiten unserer mit Seen, Flüssen, Bergen und Tälern reich gesegneten Heimat». Das Freizeit- und Wassersportvergnügen auf dem Zürichsee erlebte damals den ersten grossen Durchbruch. Ein Weekend im Boot war en vogue. Vorbild waren besonders die USA, das Pionierland für den Bau von Motorbooten, auch dank des Zürcher Industrieunternehmens Escher Wyss, das durch seinen Kraftwerkbau Kontakte zur dortigen Jachtbauszene knüpfte und das Know-how auch an den Zürichsee brachte. Doch bereits Ende des 19. Jahrhunderts hatte die Zürcher Oberschicht den See für private Freizeitfahrten entdeckt. Auf den «Pläsierbooten» wurde «gsunntiged», eine kleine, sonntägliche Ausfahrt mit Picknick unternommen. Das Baden und Sonnen war in jenen Jahren noch kein Thema. Überhaupt hatte der Zürichsee lange keine Bedeutung als Ort der Freizeitgestaltung, sondern galt spätestens seit dem Mittelalter als wichtiger Verkehrsweg für Güterschiffe und den gewerblichen Personentransport. Die Pilgerströme nach Einsiedeln etwa brachten den Gasthöfen und Fährbetrieben ein sicheres Einkommen. Der Bau von leichten Schiffen wurde dadurch angestossen. Der Zürichsee wurde zur Wiege des Schweizer Schiffbaus. Fast jedes Dorf am See hatte seinen Bootsbaubetrieb. Das Aufkommen des privaten Bootssports brachte erfolgreiche Jachtwerften hervor, Treichler und Meierhofer in Zürich zum Beispiel, oder Suter + Portier in Meilen und Faul in Horgen. Heute bauen noch zwei bekannte Werften in Kilchberg und Bäch exquisite Holzboote, nachdem die günstigeren Kunststoffschiffe den Markt zu beherrschen begannen.
Die exquisite Ajax verkehrte ab 1936 auf dem Zürichsee.
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