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Reportage

Bei schönem Wetter geniessen sie die Gemeinschaftsterrasse: Nelly (hinten), Daniel Peter, Salome In-Albon (vorne links) und Erika Gessler in ihrer WG im Heizenholz in Höngg.

Die Vielfalt hält sie zusammen

Von: Ginger Hebel

27. Juni 2017

Wohnformen: Das «Tagblatt» porträtiert in loser Folge Menschen, die unkonventionell leben. Heute: Die Bewohnerinnen und Bewohner der Mehrgenerationen-WG in Zürich-Höngg.

«Höngg», sagt Daniel Peter, «gefällt mir. Es ist immer noch Stadt, aber dennoch schön im Grünen, fast ländlich.» Der 46-jährige Job-Coach lebt seit einem Jahr am Stadtrand von Zürich in einer Mehrgenerationen-WG im Heizenholz, der zweiten Siedlung der Bau- und Wohngenossenschaft Kraftwerk1 mit ca. 100 Bewohnerinnen und Bewohner.

Daniel Peter hat schon viele Wohnformen ausprobiert, er lebte auch schon alleine, aber er bevorzugt das WG-Leben, den Austausch mit anderen. Wenn er nach Hause kommt, dann sind da die Jacken und Schuhe seiner Mitbewohnerinnen und Mitbewohner. Einige sitzen in der grossen Küche, andere geniessen die Gemeinschaftsterrasse, die Terrasse commune, die alle Etagen miteinander verbindet. «Hier essen und diskutieren wir. Die Terrasse fehlt uns im Winter.»

Die Türen zu den einzelnen WG-Zimmern stehen allen offen, doch wer Ruhe will, bekommt sie auch. «Gegenseitiger Respekt ist wichtig», sind sich alle einig.

Tisch, Schrank, Bett – das reicht

Abendessen gibt’s meistens um halb acht; Ofentomaten mit Kräutern, Kartoffeln, Salate, selten Fleisch, es sei denn, Yvette Brunner war auf der Jagd nach Aktionen. Im Whatsapp-Gruppen-Chat werden Dinge besprochen und geplant, nur Salome In-Albon, mit 32 Jahren die Jüngste in der WG, macht da nicht mit. «Ich habe gar kein Smartphone», sagt sie und lacht. In der Höngger WG leben Menschen zwischen 32 und 72 Jahren. «Dieser Generationen-Mix macht es spannend», sagt Erika Gessler. Die 72-Jährige lebt seit drei Jahren hier. «Der Mensch ist ein Rudeltier. Ich mag es, Leute um mich zu haben, mich um sie zu sorgen, manchmal fühle ich mich wie ein Hirtenhund, der alle zusammenhält.»

20 Jahre lang lebte sie mit ihren Kindern und vier weiteren Personen in einem Haus in der Toskana und bewirtete Gäste. «Das war die beste Zeit meines Lebens», resümiert sie. Heute reicht ihr ein WG-Zimmer. Tisch, Schrank, Bett, Holztruhe und eine Zimmerpflanze, die begleitet sie seit 40 Jahren und hat schon so manchen Umzug überlebt. Es sind wenige Möbel von einem ganzen Leben. «Aber braucht man denn mehr? Früher war ich eine Sammlerin. Es ist befreiend, sich von materiellen Dingen zu trennen», sagt Erika Gessler und setzt sich zu den anderen.

Was sie nicht haben, holen sie sich von den Nachbarn; Fonduegeschirr, Bohrmaschine. «Wir helfen uns hier gegenseitig, wenn wir etwas brauchen», sagt Nelly. Die ehemalige Pflegefachfrau lebt seit über fünf Jahren hier. Sie hat diese Wohngemeinschaft mitaufgebaut und ist stolz darauf. «Anfangs war es wie in den Flitterwochen, alles ist neu, man lernt sich kennen», erzählt sie. Sie schätzt das Projekt Kraftwerk, weil sie hier hat, was sie braucht. Es gibt einen Einkaufsladen und Projektgruppen, wo man sich engagieren kann. Man trifft sich zu Filmabenden in anderen WGs, kocht und backt zusammen. Hier leben Studenten, Familien und Senioren, es ist ein Ort zum Kinderkriegen und Altwerden.

«Je älter man wird, desto grösser wird aber auch der Abstand zu den Jungen, die Themen verändern sich und auch die Interessen», sagt Nelly. Mitbewohnerin Erika Gessler sieht das ein wenig anders. Sie liebt diese Durchmischung, ausschliesslich mit älteren Menschen zusammenleben möchte sie nicht. Eine WG verändert sich, es gibt Wechsel. «Man muss nicht jeden gleich gut mögen, aber man muss miteinander auskommen», sind sich alle einig. «Die Vielfalt hält uns zusammen.»

Wie leben Sie?

Für die neue Wohnserie im «Tagblatt» sind wir auf der Suche nach originellen Wohnformen.

∙ Leben Sie in einem Generationenhaus oder in einer Alters-WG? Oder aber in einer aussergewöhnlichen Konstellation?

∙ Wohnen Sie in einem Wohnwagen oder in einem Schloss?

Melden Sie sich bei uns. Ginger Hebel, Tel. 044 248 63 82. ginger.hebel@tagblattzuerich.ch

 

 

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