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Reportage

Ohne Marinis Skulptur sieht der Lydia-Welti-Escher-Hof noch trister aus. Bild: H. Wehrli

Düstere Ecke mit tragischer Geschichte

Von: Urs Hardegger

25. August 2015

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt jede zweite Woche eine solche Story. Heute: der Lydia-Welti-Escher-Hof.

Sieht so der Hof einer Millionen­erbin aus? Kein Hof im eigentlichen Sinne, viel eher eine Passage, die man auf dem Weg vom Kunsthaus zum Hirschengraben schnell hinter sich lässt, ein Spickel, der vom Heimplatz übrig geblieben ist, als im Jahr 1958 das Kunsthaus um den Bührle-Trakt erweitert wurde. Dunkel, düster, keine Bank, die zum Verweilen einlädt, fast scheint es, als täte man alles, um den unrühmlichen Schweizer Politskandal um Lydia Welti-Escher (1858–1891) vergessen zu machen.

Die einzige Tochter des Zürcher Wirtschaftsmagnaten Alfred Escher war eine extravagante, durchaus selbstbewusste Person. Gegen den Widerstand ihres Vaters heiratete sie den Bundesratssohn Friedrich Emil Welti (1857–1940). Glanz und Gloria strahlte das Paar im Zürcher Belvoir aus, aber die noble Zürcher Gesellschaft hielt die beiden auf ­Distanz. Unvergessen der Konkurs des Grossvaters, zu gross vielerorts die Ressentiments gegenüber dem verstorbenen Vater. Einsam und vernachlässigt fühlte sich die junge Frau, bis der angesehene Berner Kunstmaler Karl Stauffer (1857–1891) – ein regelmässiger Gast ihres Mannes – Licht in ihren Alltag brachte.

Als Stauffer den Auftrag erhielt, Lydia zu porträtieren, entwickelte sich aus der Zuneigung eine heimliche Liebe. Überraschend verlegte Ende Oktober 1889 das Ehepaar Welti-Escher seinen Wohnsitz nach Florenz. Neben Lydias angeschlagener Gesundheit mag das Geschwätz der Grund gewesen sein, das die Bekanntschaft einer Frau zu einem Maler im puritanischen Zürich auslöste. Als sich Lydia in Florenz dem bereits dort weilenden Künstler auch körperlich hingab, geriet die Amour fou zwischen der Millionärin und dem Maler ausser Kontrolle.

Ein stürzendes Pferd, die Vorderbeine sind eingebrochen, der Kopf schlägt am Boden auf, erbarmungslos reisst das Tier der Bronzeskulptur von Marino Marini* den Reiter mit in die Tiefe. «Miracolo» nannte der Künstler sein Werk an der südöstlichen Ecke des Hofs. Mit aller Kraft versucht sich der Reiter ­gegen das Unvermeidliche aufzulehnen. Als ebenso unentrinnbar erweist sich das Los einer «Ehebrecherin», die ihr Recht auf Selbstbestimmung über die gesellschaftlichen Konventionen stellt.

Intrige des Schwiegervaters

Das Liebespaar setzte sich nach Rom ab, wo Lydia sich scheiden lassen wollte. Doch ihr Glück war nur von kurzer Dauer, mit voller Wucht bekam die Treulose die Macht des Schwiegervaters, Bundesrat Emil Welti, zu spüren. Er veranlasste die Schweizer Botschaft in Rom zur Intervention, um die «entführte» Lydia wieder zur Räson zu bringen. Schnell fand sich ein Irrenhausdirektor, der bei Lydia nach kurzem Augenschein «systematischen Wahnsinn» diagnostizierte. Der niederträchtige Plan hatte Erfolg, der Künstler wurde beschuldigt, sich an einer geistig kranken Frau vergangen zu haben. Lydia landete im Irrenhaus und Stauffer im Gefängnis.

Die Anschuldigungen erwiesen sich als unhaltbar, ganz im Gegenteil erschien Lydia Welti den Zweitgutachtern als eine bemerkenswert reife Persönlichkeit. Dennoch fanden die beiden Verliebten nicht mehr zueinander, Stauffer starb an einer Überdosis Medikamente, Lydia öffnete wenige Monate später in ihrem Haus bei Genf den Gashahn.

Der Hof entfaltet seinen kühlen Charme, das Wasser des Sandsteinbrunnens plätschert, die Blätter der beiden Linden bewegen sich im Wind, noch versucht der Reiter, sich auf dem Pferd zu halten. Leidenschaft, Untergang und Tod verschlingen sich ineinander. Nein, gegen die unbändige Gewalt übermächtiger Umstände hat der Mensch keine Chance.

* Die Skulptur befindet sich zurzeit in der Revision.

Quellen:
Jung, Joseph: Lydia Welti-Escher 1858–1891. Zürich 2013.
Wottreng, Willi: Lydia – Eine Frau in der Belle Époque. Zürich 2014.

Lesen Sie am 9. September 2015 den Beitrag zur Pestalozzistrasse.

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