mobile Navigation

Reportage

Stadteinwärts bildet das Opernhaus den Abschluss der Dufourstrasse. Bild: Helena Wehrli

Edelmeile für einen Wegbereiter

Von: Urs Hardegger

03. März 2015

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt in einer Serie jede zweite Woche eine solche Story. Heute: die Dufourstrasse.

Die Präsentation der riesigen Dufourkarte an der Landesausstellung in Zürich im Sommer 1883 war eine Sensation. Fein säuberlich waren Erhebungen, Täler und Gewässer auf den farbig schattierten Karten eingezeichnet; erstmals konnten sich die Besucher eine exakte Vorstellung des ganzen Landes machen. Zumindest topografisch hatte das Land zur Einheit gefunden.

Während Jahrzehnten hatte sich ein Heer von Topografen unter der Leitung von Guillaume-Henri Dufour (1787–1875) ins freie Gelände begeben, um vom Säntis bis zum Salève, von Beggingen bis nach Chiasso alles zu vermessen, zu zeichnen und zu benennen, was ihm vor Augen kam. Kein Hügelchen, kein Bächlein war zu gering, um nicht dargestellt zu werden, kein Flurname, der nicht verdiente, vermerkt zu werden. Dufour war ein Meisterstück gelungen, die aussergewöhn­liche Qualität seines Kartenwerks fand auch international hohe Anerkennung.

Anwaltskanzlei auf Anwaltskanzlei

«Seine» Dufourstrasse ist in Zürich eine gute Adresse. Wers nicht glaubt, muss nur ins elektronische Telefonbuch schauen. Nicht weniger als 67 Rechtsanwälte sind an dieser Strasse aufgeführt. Bekanntlich ist dies ein Berufsstand, in dem auf Glanz und Repräsentation geachtet wird. Offensichtlich besteht für den ­Menschen des 21. Jahrhunderts weit ­weniger Gefahr, sich im Gelände als im Gesetzesdschungel zu verirren. Denn Karten reichen heute nicht mehr, um strittige Besitzansprüche zu klären, da muss man sich wohl oder übel aufs juristische Gelände begeben.  

Dufours Karten trafen den Nerv der Zeit. Die Schweiz war les- und auch verfügbar geworden. Noch bevor die letzten Blätter die Druckerpresse verliessen, waren die ersten vergriffen. Ohne das Wissen über den Raum wären die tiefgreifenden Umwälzungen der Lebensverhältnisse im 19. Jahrhundert nicht möglich gewesen. Wie hätte man ohne gesicherte Grundlage Gewässerkorrektionen vornehmen, Eisenbahnlinien und Strassen bauen können?

Eine prächtige Allee, Einbahnstras­se mit Tempo 30 und nur wenige Minuten vom See und Stadtzentrum entfernt. Wer möchte nicht hier wohnen? Je mehr man sich vom Opernhaus entfernt, desto höher wird der Wohnanteil. Aber günstig ist das Wohnen hier nicht, leicht blättert man für eine «charmante Zweizimmerwohnung» mit 68 Quadratmetern etwas weniger charmante 2800 Franken im Monat auf den Tisch.

Von den Katholiken gehasst

Gelehrter, Ingenieur und General im Sonderbundskrieg: Der Genfer Dufour war zweifellos einer der prägenden Mitgestalter des schweizerischen Bundesstaates, als es nach 1848 galt, die kleinräumigen und politisch zerstrittenen Kantone zu einem einheitlichen Staat zusammenzufügen. Mit seinem besonnenen Einsatz im bewaffneten Konflikt mit den katholischen Kantonen des Sonderbunds hat er sich grosse Verdienste erworben. In nicht weniger als 19 Gemeinden der Schweiz finden sich Strassen mit seinem Namen; allerdings wurde ihm diese Ehre mit Ausnahme von Luzern ausschliesslich in ehemals protestantischen Gebieten zuteil – zu stark war sein Name in der katholischen Schweiz mit der Schmach der Niederlage verbunden.

Zwischen den vielen Neubauten erinnern historische Fassaden daran, dass an dieser Allee einst das gehobene Bürgertum zu Hause war. Neugotische Giebel, Jugendstilelemente und prunkvoll geschmiedete Balkone sind erhalten geblieben. In den 1980er-Jahren erlebte die Strasse auch schwierigere Zeiten, als den Anwohnern der starke Durchgangsverkehr und der sogenannte «Mädchenstrich» der drogensüchtigen Prostituierten zu schaffen machten.

Nur gerade 7,6 Zentimeter hätte die knapp zwei Kilometer lange Strasse auf der Dufourkarte eingenommen, doch auch wenn ich hier enden muss, ist noch längst nicht ­alles erzählt.

Quellen:
Chapuisat, Eduard: General Dufour, Zürich 1940.
Gugerli, Daniel; Speich, Daniel: Topografien der Nation. Zürich 2002.

Lesen Sie am 25. März den Beitrag über die Regulastrasse.

Werden Sie Facebook-Friend von uns

zurück zu Reportage

Artikel bewerten

Gefällt mir ·  
Noch nicht bewertet.

Leserkommentare

Keine Kommentare