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Reportage

Blick in den Regina-Kägi-Hof in Neu-Oerlikon. Bild: H. Wehrli

Ein Hof für ein «vorlautes Frauenzimmer»

Von: Urs Hardegger

26. Januar 2016

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt jede zweite Woche eine solche Story. Heute: der Regina-Kägi-Hof.

Auch im gemeinnützigen Wohnungsbau sind neue architektonische Formen möglich, ohne dass die Wohnungen deswegen unerschwinglich zu sein brauchen. Mit dem Regina-Kägi-Hof erstellte die Allgemeine Baugenossenschaft auf einer Industriebrache in Oerlikon eine familienfreundliche Wohnsiedlung mit 126 Wohnungen. Mit ihren luftig wirkenden Glasfassaden setzt die Siedlung auch architektonische Akzente. Alle Wohnungen sind vom grosszügigen Innenhof her erschlossen, der dadurch als Ort der Begegnung ins Zentrum gerückt wird.

Viel zu reden gab das monumentale Wandbild von Renée Levi an der Heizzentrale am Kopf der Siedlung. Ein grossflächiges Ornament mit der Zahl 2. Warum ausgerechnet die 2? – «Eine 2 ist das Miteinander, das Umfassende, das Teilbare», erklärte die Künstlerin.

Damit liefert sie auch die Stichworte, um sich der Namensgeberin Regina Kägi-Fuchsmann (1889–1972) anzunähern. Teilen und Anteilnehmen standen im Zentrum ihrer Tätigkeit. Angefangen hat Kägi 1932 als Leiterin der «Proletarischen Kinderhilfe», als sie hungernde österreichische Kinder für drei Monate in die Schweiz holte, um sie «aufzufüttern». Daraus entstand ein umfangreiches Hilfswerk, das notleidenden Kindern Ferien in Gastfamilien und Ferienkolonien ermöglichte.

Behörden umgestimmt

1936 übernahm Kägi die Stelle der Zentralsekretärin des Schweizerischen Arbeiterhilfswerkes. Ihre Tätigkeit begann mit einer Herkulesaufgabe. In Spanien war ein verheerender Bürgerkrieg ausgebrochen. In grossen Teilen der Arbeiterschaft solidarisierte man sich mit der bedrohten Republik. Angesichts des Elends der Kinder und Flüchtlinge wollte auch das Arbeiterhilfswerk einen Beitrag zur Linderung der Not leisten. Doch die Bundesstellen bremsten; aus der neutralen Schweiz heraus sollte keine Bürgerkriegspartei einseitig unterstützt werden. Deshalb brauchte es ein «vorlautes Frauenzimmer» wie Regina Kägi, die so lange mit Behörden und Flüchtlingsorganisationen verhandelte, bis es ihr gelang, eine politisch und konfessionell breit abgestützte Hilfsaktion für die Spanienkinder auf die Beine zu stellen.

Die «Ayuda suiza para los niños españoles» organisierte zahlreiche Hilfskonvois, evakuierte gefährdete Familien und Kinder und brachte sie an sicheren Orten unter. Im Nachhinein war die spanische Erfahrung allerdings lediglich ein Vorgeschmack für das, was den Hilfsorganisationen nach der deutschen Besetzung des Sudetenlandes, dem Anschluss Österreichs und dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs noch bevorstand.

«Ist Geschichte», so fragte sich Kägi, «nicht letzten Endes ein unendlicher, meist blutiger riesiger Teppich von einzelnen Schicksalen?» Es waren diese Einzelschicksale, denen sie in den Flüchtlingslagern begegnete und die sie berührten. Diesen Menschen wollte sie das Leben erleichtern. Dabei machte sie sich keine Illusionen. Meist war ihr Engagement nicht mehr als der berühmte Tropfen auf den heissen Stein. Wie hätte eine einzelne Frau auch den Lauf der Dinge beeinflussen können? Trotzdem hielt sie zeitlebens an ihrer Utopie einer besseren Welt fest.

Kinderfreundlicher Ort

Keine Sozialutopien, sondern pragmatische Gründe wie das günstige Preis-Leistungs-Verhältnis und die Kinderfreundlichkeit hätten die Bewohner des Regina-Kägi-Hofs zusammengeführt, ergab eine Umfrage. Trotzdem sei hier eine Gemeinschaft entstanden, die überdurchschnittlich sensibel für Umweltfragen und sozial-karitativ denkend, gemeinsam modernes urbanes Leben praktiziere. Da passt es nicht schlecht, wenn sie in ihrer Anschrift dieser unerschrockenen Frau gedenken.

Quellen:
Kägi, Regina: Das gute Herz genügt nicht. Zürich 1968.
Olgiati Rodolfo: Zum Tode von Regina Kägi-Fuchsmann. NZZ vom 18. Juni 1972.

Lesen Sie am 10. Februar den Beitrag zur Georg-Büchner-Strasse.

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