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Reportage

Ein unscheinbares Weglein erinnert an den streitbaren Höngger Pfarrer Paul Trautvetter. Bild: H. Wehrli

Ein kurzer Weg für den mutigen Pfarrer

Von: Urs Hardegger

17. November 2015

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt jede zweite Woche eine solche Story. Heute: der Paul-Trautvetter-Weg.

«Seit zehn Jahren gibt es in Höngg einen Paul-Trautvetter-Weg. Da die Geschichte hinter diesem unbedeutenden Weglein Ihre Leser interessieren könnte, erlaube ich mir, Ihnen aus meinem Aktenberg einige Unterlagen zuzustellen.» So beginnt der Brief, den ich von Paul Trautvetters (1889–1983) Sohn erhalten habe. Dazu fein säuberlich ein Bündel Akten, das den Ausgangspunkt für diesen Artikel bildet. Unbedeutend ist das Weglein tatsächlich, es braucht viel Fantasie, ­diesen Fortsatz der Winzerstrasse unweit der Limmat überhaupt als Weg zu betrachten. Er stellt lediglich den Zugang zu einer Mehr­familienhaussiedlung sicher.

Spannender ist das Leben des Namensgebers. In einem Pfarrhaus aufgewachsen, studierte Paul Trautvetter Theologie. Dort kam es zur wegweisenden Begeg- nung mit dem Theologieprofessor Leonhard Ragaz, dem Mitbegründer der religiös-sozialen Bewegung der Schweiz. Ragaz lehnte Gelehrsamkeit ab, strebte ein ­gelebtes Christentum an, das sich einzig in den Dienst der Menschen stellen soll. Unter seinem Einfluss wandelte sich Trautvetter zum radikalen Antimilitaristen.

Gemeinde hält zu ihm

Nach sechs Jahren in Hallau trat Trautvetter 1918 eine Pfarrstelle in Höngg an. Als im November 1932 in Genf Rekruten auf Demonstranten schossen, 13 Tote und über 70 Verletzte auf der Strasse liegen blieben, übte auch Trautvetter in einem Aufruf Kritik am Schiessbefehl der Armee. Bei anderer Gelegenheit verliess er beim «Rufst du mein Vaterland» demonstrativ den Saal. Dies machte das Mass endgültig voll. Ein Gewittersturm entlud sich über ihm. In Artikeln und Leserbriefen wurde er attackiert und wurde seine Amtsenthebung gefordert. Ein Geistlicher mit einer solchen Geisteshaltung sei für die Kinder nicht zumutbar. Doch die Kirchenpflege, viele Gemeindemitglieder und auch ehemalige Konfirmanden verteidigten ihren Pfarrer, attestierten ihm, dass er sich mit grossem Engagement für das Wohl seiner Gemeinde ein­setze. Zur eigentlichen Kraftprobe wurde die Bestätigungswahl im Jahre 1934. Frontistische und rechtsbürgerliche Kreise forderten lautstark seine Abwahl: «Fort mit Pfarrherren, die als Staats­beamte dem Staat, der sie bezahlt und erhält, in den Rücken schiessen!», verlangte zum Beispiel die Schweizerische Wehrvereinigung. Doch Trautvetter wurde im April 1934 mit über 70 Prozent der Stimmen wiedergewählt.

Im November 1937 weigerte sich Trautvetter bei einer Luftschutzübung, die angeordne- te Verdunkelung durchzuführen. Kurzerhand rückte die Polizei aus und schraubte ihm die Glühbirnen und Sicherungen heraus. Der Pfarrer wollte mit seiner Aktion ein Zeichen setzen: Der drohende Krieg darf nicht einfach als Schicksal hingenommen werden. Er erkannte früh das menschenverachtende Wesen des Nationalsozialismus und beklagte das den Juden zugefügte Leid. Ein weiteres Mal Mut bewies er 1942, als er sich für die Begnadigung der drei zum Tode verurteilten Landes­verräter einsetzte. Zwar verurteilte er deren Landesverrat, aber die Todesstrafe entsprach nicht seinem christlichen Verständnis.

Ein Zufluchtsort für alle

Trautvetter und seine Frau verstanden das Höngger Pfarrhaus auch als Ort der Zuflucht. «Es gab Zeiten, zu denen in den zehn Zimmern des alten Pfarrhauses bis zu sechs Nationalitäten wohnten», erinnert sich sein Sohn ­Peter. Diesem möchte ich an ­dieser Stelle herzlich danken. Dank seiner Anregung kann ich den «Tagblatt»-Leserinnen und -Lesern eine eindrückliche Lebensgeschichte in Erinnerung ­rufen. Wahrlich einen der «bemerkenswertesten und auch umstrittensten Theologen in der jüngsten Geschichte», wie die NZZ im Nachruf meinte.

Quellen:
Private Akten und Zeitungsdokumente von Peter Trautvetter.
Aerne, Peter: Religiöse Sozialisten, ­Jungreformierte und Feldprediger. ­Zürich 2006.

Lesen Sie am 2. Dezember den Beitrag zum Tessinerplatz.

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