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Reportage

Licht der Hoffnung für Nierenkranke: Am Unispital werden jährlich um die 100 Nierentransplantationen durchgeführt. Bild: AdobeStock

Ein Mangel, der an die Nieren geht

Von: Sacha Beuth

15. März 2023

GESUNDHEIT In der Schweiz ist kaum bekannt, dass tausende von Personen an einer schweren Nierenerkrankung leiden. Die meisten müssen jahrelang zur Dialyse, da es an Spendernieren fehlt. Mit einer Spezialveranstaltung am Weltnierentag letzten Donnerstag wies das Universitätsspital Zürich auf diesen Umstand hin, stellte Neuerungen in der Transplantation vor und liess dabei nicht nur Experten, sondern auch Betroffene zu Wort kommen.

Vor einer grösseren Menge Erwachsener zu sprechen, fällt nicht allen leicht. So auch nicht dem 10-jährigen Mädchen, das sich am letzten Donnerstag zum Weltnierentag im grossen Hörsaal des Universitätsspitals spontan nach vorne gewagt hatte. Allen Mut zusammennehmend, sprach die Kleine in das Mikrofon und schilderte, dass sie wegen eines Nierendefekts als Zweijährige eine Niere ihrer Mutter erhalten habe und darum im Gegensatz zu vielen anderen Nierenkranken ein fast normales Leben führen könne. Mit «Mami, das ist das schönste Geschenk, das man jemandem geben kann. Ich bin dir so dankbar» beendete das Mädchen unter heftigem Applaus (und wohl mancher Träne der Rührung) der Zuhörer ihren Auftritt.

In der Tat sind Spendernieren in der Schweiz ein rares Gut. «Laut den neusten Daten aus dem Jahr 2021 gab es in der Schweiz 4760 Dialysebedürftige. 362 von ihnen haben eine Spenderniere erhalten, aber 1046 warten immer noch auf eine», erzählt Thomas Müller, Direktor a.i. der Klinik für Nephrologie (Nierenheilkunde) am Universitätsspital Zürich USZ. Die hohe Zahl an Personen mit schweren Nierenerkrankungen sowie die hohe Zahl an Bedürftigen für eine Spenderniere ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt. Mit der Veranstaltung am Weltnierentag will das USZ die Öffentlichkeit auf diesen Umstand hinweisen und zugleich neue Spender gewinnen. Dazu wurde an der Veranstaltung nicht nur die Problematik von Experten und Betroffenen erläutert, sondern die Teilnehmer erhielten zudem die Gelegenheit, als Zeichen der Solidarität ein nierenförmiges Beet mit Blumen zu bepflanzen, dessen Blütenfarben das Missverhältnis zwischen denen, die eine Spenderniere benötigen (rote Blüten), und jenen, die eine bekommen (gelbe Blüten), aufzeigt.

Vorteil der Dualität

Um Verständnis für die Situation zu erlangen, ist es laut Thomas Müller zuerst einmal wichtig, die Funktion der Nieren zu verstehen. «Nieren dienen in erster Linie zur Entgiftung des Körpers und können bis zu 120 Milliliter Blut pro Minute reinigen. Weitere wichtige Funktionen sind die Regelung des Blutdrucks und die Regelung der Bildung roter Blutkörperchen.» Und: Der menschliche Körper hat zwei Nieren. Das hat den grossen Vorteil, dass ein Spender trotzdem gut weiterleben kann, wenn er eine Niere abgibt. «Die übrig gebliebene Niere muss dann natürlich entsprechend mehr arbeiten.»

Bevor eine Niere transplantiert werden kann (siehe auch Box rechts oben), sind umfangreiche Abklärungen und Analysen bei Spender und Empfänger nötig. Eine wichtige Voraussetzung sind beispielsweise passende (aber nicht zwingend gleiche) Blutgruppen. Aber auch, wie viele Abwehrkörper der Empfänger aufweist. «Für eine Nierentransplantation muss das Immunsystem des Empfängers mit Medikamenten heruntergefahren werden. Das ist immer eine Gratwanderung. Denn einerseits soll die neue Niere nicht als «fremd» erkannt und abgestossen werden, aber andererseits braucht es genügend Abwehrkörper gegen Krankheiten», erklärt Müller. Die Hauptnebenwirkungen der Medikamente sind Infektionen und auch Tumorerkrankungen. Auch Blutungen und Thrombosen sind nach Transplantationen möglich, die Fälle bewegen sich jedoch im Promillebereich «Die meisten Betroffenen ziehen diese Risiken den Mühen einer Dialyse vor. Ja, sie sprechen sogar von einem zweiten Geburtstag, wenn sie eine Spenderniere erhalten» (siehe auch Box rechts unten).

Kein Wunder, wenn man sich die Umstände vergegenwärtigt. Dialysepatienten müssen dreimal pro Woche ins Spital, wo sie für je vier Stunden an die Blutreinigungsmaschine angeschlossen werden. Hernach sind viele so erschöpft, als wären sie einen Marathon gelaufen. In manchen Fällen ist auch eine Heimdialyse möglich, wobei die betroffene Person über einen Katheter in der Bauchhöhle an einer Art Pumpe angeschlossen ist und das Bauchfell als Filter für Giftkörperchen wirkt, die hernach herausgeschwemmt werden. Ein Prozess, der zumeist über Nacht, also während des Schlafs, angewandt wird. Aber insgesamt ersetzt die Dialysebehandlung nur 15 Prozent der normalen Nierenfunktion.

Balance halten

Der Aufwand der Blutreinigung ist zudem nicht das Einzige, das ein Dialysepatient auf sich nehmen muss. «Es gilt hierbei, die Ernährung anzupassen und auf die Flüssigkeitsmenge, die man zu sich nimmt, zu achten», so Müller. Oft gehe vergessen, dass man mit Lebensmitteln – sogar mit vermeintlich trockenen wie einem Wiener Schnitzel – ebenfalls Flüssigkeit zu sich nehme. Handkehrum werde der Flüssigkeitsverlust durchs Schwitzen oft überschätzt. Im Wasserhaushalt die Balance zu halten, sei darum eine enorme Herausforderung. Hinzu kommt die Umstellung auf salzarme Ernährung – Salz kann bei Dialysepatienten zu überhöhtem Blutdruck und einer Überwässerung des Körpers führen – die den einen schwerer fällt als anderen.

An der Veranstaltung gaben Thomas Müller und sein Team zudem die Fortschritte in der Behandlung von Nierenkranken preis. «Mit neuen medikamentalen Therapien konnten Erfolge erzielt werden. Hilfreich ist zudem, dass wir durch spezielle Software nun besser den gewebetypischen Grad der Unterschiedlichkeit zwischen Spender und Empfänger bestimmen können. Und natürlich hat die Spende über Kreuz (siehe Artikel unten) die Möglichkeiten der Nierentransplantation enorm verbessert. In absehbarer Zukunft könnte auch die Xenotransplantation – eine genetisch angepasste Schweineniere wird in einen Menschen verpflanzt – helfen, das Problem der fehlenden Spendernieren zu entschärfen. «Dieser Ansatz befindet sich allerdings noch in der Experimentierphase und ist noch zu teuer», sagt Müller.

Die Zeit drängt, denn die Ursachen für Nierenerkrankungen nehmen zu. Immer mehr Menschen ernähren sich ungesund und bewegen sich vor allem zu wenig. «Die beste Prävention ist, Übergewicht zu vermeiden, also eine gesunde Lebensweise mit zucker- und salzarmer Ernährung sowie viel Sport. Ausserdem sollte ein hoher Schmerzmittelkonsum, Antibiotika und Rauchen vermieden werden», so Müller. Diese Vorbeugemassnahmen seien auch darum so wichtig, weil Nierenerkrankungen anfangs kaum klare Symptome aufweisen würden. «Denn wer denkt bei Übelkeit oder Energielosigkeit gleich an die Niere? Und bei Ödemen, Wasser in den Beinen oder schäumendem Urin ist es vielleicht schon zu spät.» 

So funktioniert eine Nierentransplantation

 

Vor einer Lebendnierentransplantation sind laut Experte Thomas Müller vom USZ erst einmal sowohl beim Spender wie beim Empfänger umfangreiche Abklärungen nötig. Die Sicherheit für den Spender einer Niere hat oberste Priorität. Deshalb werden auch mehr als die Hälfte aller Spender aufgrund medizinischer Gründe abgelehnt. So muss der Spender grundsätzlich gesund sein und darf keine Organschäden, Tumore und keinen Diabetes aufweisen. Er muss weiter einen psychologischen Test absolvieren, zwischen 30 und 75 Jahre alt sein und idealerweise sollte die Blutgruppe passen. Der Empfänger wiederum sollte so weit gesund sein, dass eine Transplantation möglich und sinnvoll ist. Letzteres bedeutet, dass er unter normalen Voraussetzungen noch mindestens zwei Jahre lebt (also zum Beispiel keine Person mit schwerer Krebserkrankung).Vor der Transplantation werden alle Beteiligten zudem über Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt. Die eigentliche OP dauert zwei bis drei Stunden und findet unter Vollnarkose statt. Dabei wird die entnommene Niere meist auf die rechte Seite oberhalb der Beckengrube beim Empfänger eingesetzt und mit Vene, Arterie und Harnblase verbunden. Die nicht mehr funktionierenden Nieren verbleiben in der Regel im Körper.

Nierenspende über Kreuz – Bericht eines betroffenen Paares

Bei einer Nierenspende über Kreuz erhält der Empfänger nicht die ursprünglich vorgesehene Niere des Spenders aus seinem Familien- oder Bekanntenkreis, sondern deren Daten gelangen zuerst in einen Pool. Dort werden sie mit den Daten anderer Spendernieren abgeglichen, wo­rauf die bestmögliche Konstellation berechnet wird. Diese wird dann den Betroffenen unterbreitet. Stimmen die ausgewählten Spender und Empfänger dieser Spende über Kreuz zu, erhöht dies die Wahrscheinlichkeit einer längeren Lebensdauer der Spendernieren und verringert zugleich das Risiko einer Abstossung. An der ersten über Kreuz durchgeführten Nierentransplantation in der Schweiz am 20. November 2019 war mit Jeanine und Johnny Walzer auch ein Zürcher Ehepaar beteiligt. Im «Tagblatt» schildern die beiden, was sie dabei erlebt haben.

«Als ich vor fünf Jahren unsere Tochter Jana per Kaiserschnitt zur Welt brachte, gab es bei der Geburt Komplikationen. Ich verlor viel Blut, musste notoperiert werden und in der Folge versagten meine Nieren, weshalb ich an ein Dialysegerät angeschlossen werden musste. Das bekam ich erst gar nicht richtig mit, da ich eine Woche auf der Intensivstation lag. Als ich dann mit der Nachricht konfrontiert wurde, war ich natürlich total geschockt. Glücklicherweise war bald klar, dass mein Mann als Nierenspender in Frage kam. Ich war froh, dass es eine Lösung in meiner Familie gab, und fühlte mich etwas unwohl, als uns erzählt wurde, dass es eine bessere Lösung über Kreuz gäbe und ich eine «fremde» Niere bekomme. Doch dieses Gefühl konnte ich schnell abschütteln. Die Transplantation verlief dann reibungslos und bis auf ein paar kleinere Nebenwirklungen – die aber nichts sind im Vergleich zu den Mühen, die ich während der eineinhalb Jahre Dialyse hatte – ist alles im Lot. Ich bin froh, dass wir diesen Schritt gemacht haben, und sehe die Spenderniere als ein Geschenk des Himmels.» Jeanine Walzer (39)

«Für mich brach eine Welt zusammen, als ich erfuhr, dass Jeanines Nieren versagt haben. Denn als gelernter Krankenpfleger war mir sofort klar, was dies bedeutet. Aus dem ersten Impuls heraus wollte ich sofort eine meiner Nieren spenden und habe mich auch – wie mehrere unserer Verwandten und Freunde – dazu medizinisch abklären lassen. Wie sich dann herausstellte, wäre ich als Einziger in Frage gekommen. Jedoch hätte meine Niere nur mässig gepasst und meine Frau und mich beschäftigte zudem der Gedanke, wie wir unser Kind betreuen können, wenn meine Niere bei ihr nicht die gewünschte Wirkung erzielt oder gar abgestossen wird und schlimmstenfalls dann auch bei mir wegen der Nierenentfernung gesundheitliche Probleme auftreten. Die Über-Kreuz-Lösung kam darum wie gerufen, auch wenn ich mich von der romantischen Vorstellung verabschieden musste, direkt meiner Frau eine Niere spenden zu können. Nun bin ich froh, dass es nicht nur meiner Frau wieder besser geht, sondern mit meiner Niere einem anderen Menschen geholfen werden konnte.» Johnny Walzer (49)

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