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Reportage

Die goldglänzenden Fussgängerstreifen und Postautos am Goldbrunnenplatz. Bild: H. Wehrli

Ein Ort mit Glanz – auch ohne Gold

Von: Urs Hardegger

14. Juni 2016

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt jede zweite Woche eine solche Story. Heute: der Goldbrunnenplatz.

Hat Zürich eine heimliche Goldader? Man könnte auf eine solche Idee kommen, wenn man am Goldbrunnenplatz auf das Tram oder den Bus wartet. Doch ausser dem Goldgelb der Fussgängerstreifen deutet an diesem unspektakulären Umsteigeplatz zwischen Kalkbreite- und Friesenbergstrasse nichts auf ein vermeintliches Eldorado hin. Auch in den Chroniken finden sich keine Hinweise auf einen ­einstigen Wiediker Goldrausch. Um an das Edelmetall zu gelangen, müsste man sich schon ins Uhrengeschäft an der Ecke oder ins Institut für Zahnprothetik gegenüber bemühen.

1980er-Charme

So muss der Glanz dieses Platzes definitiv anderswo liegen. Gmüetli gehts im Uetli zu und her, dem Café, wo sich vor allem Menschen im fortgeschrittenen Alter bei einer Schale und einer Patisserie zum Austausch von Neuigkeiten treffen. Zeit ist ja bekanntlich auch Gold wert, und die scheint hier vorhanden zu sein. Wenn böse Zungen diesen Treffpunkt als «Altweiber­café» abtun, tun sie ihm unrecht, denn es unterscheidet sich mit ­seinem 1980er-Charme wohltuend vom modischen Einheitsbrei vieler Konkurrenten.

Ist eine alte Sage für den Namen des Platzes verantwortlich, wie die NZZ kürzlich mutmasste? Stand hier tatsächlich einst ein Brunnen, aus dem unverheiratete, arme ­Frauen bei Vollmond pures Gold schöpften, Betrügerinnen jedoch von einem bösen Geist in den Schacht gerissen wurden? Das wäre fantastisch, wenn aus einem zweiröhrigen Brunnen zu bestimmten Zeiten Gold fliessen würde.

Nur, wo befindet sich dieser multifunktionale Brunnen? Zwar existiert ein Brunnen, aber das Bild ­bestimmen Tramgeleise und normierte Wartehäuschen, Sitzbänke und Zeitungskästen. Goldgelb ist einzig die Farbe der Postautos, die von hier aus die Menschen in die Agglomeration führen und einen Kontrast zum Blauweiss der Züri-Linie bilden.

Bei aller Umtriebigkeit: Der Goldbrunnenplatz ist vor allem ein Platz des Wartens. Man wartet, bis sich die Autokolonne ein Stück weit nach vorne schiebt, oder bis der Anschluss kommt. Zum Glanz des Platzes trägt das Putzfahrzeug von Entsorgung und Recycling bei, das seit geraumer Zeit seine Runden dreht. «So schön wie zu Hause» will es den Platz reinigen, wenn man dem Werbeslogan glaubt.

Kaffee statt Edelmetall

Vielleicht ist dies leicht übertrieben, aber der Platz entfaltet durchaus seinen Reiz. Eine Reihe von Bauten aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts umgeben ihn. Zumindest auf die vom Heimat- stil inspirierte Häuserzeile mit dem gelblichen Sichtbackstein auf der Südwestseite lohnt es sich, einen Blick zu werfen. In den Erdgeschossen der Gebäude bieten Detailgeschäfte ihre Wa- ren an: Apotheke, Blumengeschäft, Schneideratelier, Bäckereien, Take-aways, um nur einige zu nennen. Seit kurzem existiert am Goldbrunnenplatz auch eine Barista-Bar. Ein ausgezeichneter «Vivi»-Kaffee wird hier gebrüht. Das «braune Gold», ausschliesslich Arabica-Bohnen, importieren die Besitzer selbst. Ein wahrer Genuss.

Eine Rarität möchte ich hier noch erwähnen: In unmittelbarer Nähe des Goldbrunnenplatzes befindet sich der letzte analoge Fotoautomat der Schweiz. Als ich den Stuhl auf die richtige Höhe gedreht und den Einfränkler in den Schlitz geworfen habe, wird mir ganz warm ums Herz. Auch wenn ich vier Minuten später die scharfen Kontraste meines Konterfeis auf den Schwarzweissbildern mit gemischten Gefühlen betrachte, die Nostalgie auf die «gute, alte Zeit» macht dies längstens wett.

Der Name des Platzes geht wahrscheinlich auf die Flurbezeichnung Goldbrunegg zurück, die sich am Fusse des Uetlibergs befindet. Auf ihr stand früher auf einem gelb­lichen Gestein die Friesenburg. Allerdings war der Untergrund nicht aus Gold, sondern aus gewöhnlichem Kalk. So schlicht und unpoetisch können Erklärungen sein.

Lesen Sie am 29. Juni den Beitrag zu den Strassen mit Bergnamen.

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