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Reportage

Röbi Rapp und Ernst Ostertag (das Paar rechts) während einer Veranstaltung des Kreises in den 50er-Jahren. Bild: zvg

Eine Männerliebe im Dörfli

Von: Irene Genhart, Jan Strobel

16. September 2014

Seit gestern läuft der Film «Der Kreis» über eine legendäre schwule Zürcher Liebesgeschichte in den Kinos. Wir besuchten mit Regisseur Stefan Haupt die Originalschauplätze.

«Hier hat alles angefangen», sagt Stefan Haupt. Er steht vor dem Eingang des Theaters Neumarkt und mustert die schmucke Fassade. Mit «alles» meint er die Beziehung von Röbi Rapp und Ernst Ostertag, die sich 1956 auf einem Ball genau an diesem Ort das erste Mal begegneten.

Das Theater Neumarkt, weiss Haupt, hiess damals noch Eintracht. Röbi Rapp stand in Frauenkleidern auf der Bühne. Ernst Ostertag war ein frischgebackener Lehrer. Er besuchte zum ersten Mal eine Veranstaltung des Kreises, der legendären Zürcher Schwulenvereinigung, die in den 30er-Jahren gegründet wurde. Das Neumarkt beherbergte für viele Jahre ihr Clublokal. In den 50ern erlebte der Kreis seine höchste Blüte, «gegen 800 Gäste sollen damals für die Männerbälle ins Niederdorf gekommen sein», weiss Haupt. Das waren viele. Denn Zürich war damals klein. Doch Diskretion war für die Mitglieder des Kreises oberstes Gebot. «So herzlich sie hinter geschlossenen Türen miteinander feierten, so selbstverständlich gingen sie auf offener Strasse grusslos aneinander vorbei.» In der Schweiz war Homosexualität zwar nicht mehr verboten, die Gesellschaft aber noch weit entfernt von ihrer heutigen liberalen Haltung.

Wir sind inzwischen zur BarfüsserBar an der Spitalgasse geschlendert, wo sich Röbi und Ernst einige Tage nach dem Ball zufällig wieder begegneten. Wobei «zufällig» nicht ganz das richtige Wort ist: Ernst hatte sich auf den ersten Blick in Röbi verliebt. Er ging gezielt in das Lokal, das heute längst ein Sushi-Restaurant ist. Über dessen Tür hängt noch heute das originale Wirtshausschild als letzter Zeuge einer der ältesten Schwulenbars Europas. Als Ernst sich damals bei einem Bekannten nach der «Sängerin vom Ball» erkundigte, holte man Röbi aus dem hinteren Lokalteil.

«Sittenmorde» und Razzien
Röbi und Ernst wurden bald ein festes Paar und sind es heute noch. Sie haben zusammen stürmische Zeiten erlebt, als Ende der 50er-, Anfang der 60er-Jahre die sogenannten Sittenmorde Zürich erschütterten, die Stimmung gegen Schwule umschlug und die Polizei in deren Lokalen gezielt Razzien durchführte. Nicht zum heutigen prunkvollen Haupteingang, sondern zum unscheinbaren Seiteneingang führt uns Haupt, als er zeigt, wo Röbi, Ernst und ihre Kollegen in der Polizeiwache Urania damals zum Verhör anzutreten hatten. «Es waren schwierige Zeiten, und sie wurden erst etwas leichter, als die Jugendunruhen 1968 die Aufmerksamkeit von Polizei und Öffentlichkeit wieder von den Schwulen ablenkten», erzählt der Regisseur. Für den Kreis kam das zu spät. Er hatte sich ein Jahr zuvor, 1967, aufgelöst.

«Der Kreis» ist nach «Utopia Blues» (2001) und «Downtown Switzerland» (2004) der dritte Film, den Stefan Haupt in Zürich drehte. Das Zürich von damals auf Leinwand auferstehen zu lassen, meint Haupt, sei alles andere als einfach gewesen.  «Zwar sieht das Niederdorf auf den ersten Blick noch fast so aus wie damals. Tatsächlich aber wurde in den letzten fünfzig Jahren viel renoviert.» Lokale wechselten die Hand, legendäre Clubs schlossen ihre Tore. Das Klima im Dörfli veränderte sich. Das Verruchte verschwand. So hat Haupt da und dort zwar an Originalschauplätzen gedreht. Einiges aber, etwa die öffentlichen Pissoirs, die als Treffpunkte zur Schwulenszene einfach dazugehörten, liess er im Studio nachbauen. Andere Szenen hat er, um dem Zeitkolorit gerechter zu werden, an Örtlichkeiten verlegt, die authentischer erhalten geblieben sind. So zum Beispiel wurden die Ballszenen nicht im heutigen Neumarkt, sondern im Saal des Weissen Winds im Oberdorf gedreht.
Auf die Frage, ob die Filme, die er in Zürich drehe, seine Sicht auf die Stadt verändern würden, meint Stefan Haupt: «Grundsätzlich nicht. Aber sie öffnen den Blick für die ­Parallelwelten unserer Stadt, ihre Vielfalt und für die Spuren der Vergangenheit.» Haupt sieht sich mitunter auch in der Rolle des Chronisten.

So stehen wir zum Abschluss unseres Rundgangs vor dem Mosaik der unlängst geschlossenen Pigalle-Bar. Die Schlagerbar an der Marktgasse kommt in Haupts Film zwar nicht vor, war während Jahrzehnten aber ein beliebter Schwulentreffpunkt. Übrig geblieben ist allein ­dieses Mosaik, das sich nun im neu umgebauten Kino Stüssihof am ­Rindermarkt befindet. Es zeugt, wie Haupts Film,  von nicht ganz spurlos     vergangenen alten Zeiten im ­Niederdorf.   

                                       


www.derkreis-film.ch

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