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Reportage

Ueli Müller (vorn, 3. von rechts), Direktor des Brockenhauses im Kreis 5, ist stolz auf seine Crew (vorn, v.l.): Kateryna Fediuk, Kati Moser, Antonio Jepez und Marija Barbulivic. Hinten, v.l.: Wolfgang Huber, Ferzana Musliji, Boris Humbel, Claudia Häberli und Rémy Bloch. Bild: Nicolas Zonvi

Eine Schatztruhe im Kreis 5

Von: Kati Moser

22. Januar 2019

Das Zürcher Brockenhaus an der Neugasse hinter dem Bahnhof ist 115 Jahre alt und gehört noch lange nicht zum alten Eisen. Ueli Müller leitet mit feinem Gespür die Geschicke des Hauses. Für die Serie «Am Puls» ist Redaktorin Kati Moser «im schönsten Brockenhaus Europas» mittendrin.

Das Haus steht erhaben da, der rosarote Anstrich bekommt ihm gut. Beeindruckend auch das Treppenhaus, das bis in den zweiten Stock führt, mit dem weit nach unten hängenden, imposanten Kronleuchter. An den Wänden Zeichnungen, Drucke, Malereien: Kaum zu glauben, dass man sich in einem Brockenhaus befindet. Doch schliesslich ist es kein gewöhnliches Brockenhaus, sondern das schönste Europas, wie Direktor Ueli Müller zu sagen pflegt. 

Der erste Eindruck täuscht nicht: Im Eingangsbereich wie auf den beiden Etagen ist aufgeräumt und sauber, die Objekte einladend ausgestellt, fantasievoll drapiert, gekonnt in Szene gesetzt. Alles lädt zum Stöbern ein, das Personal ist freundlich, sympathisch und kompetent. Ueli Müller kam vor gut zehn Jahren ins Brockenhaus. «Das Haus hatte damals nicht das Image gehabt, das es heute hat. Es war etwas schmutzig, weniger gepflegt, alles war wilder. Das heutige Niveau haben wir in den letzten Jahren erarbeitet. Die Grundlage ist aber nach wie vor das schöne Haus. Ein Traumhaus!» Ueli Müller kommt ins Schwelgen, seine Augen leuchten. Der einstige Wirtschaftsmann, der mit 50 eine neue Herausforderung suchte und sie mit dem Brockenhaus auch fand, ist mit Haut und Haaren dabei. Ganz unbekannt war ihm indessen das Haus nicht: Er erinnert sich, als kleiner Bub mit der Mutter hier gewesen zu sein, erinnert sich an das strenge Gebäude, das wie ein Amtshaus aussah.

«Als Erstes haben wir das Haus strukturiert. Das Parterre ist eine Art Spiegelbild des Hauses geworden, im ersten Stock befindet sich das traditionelle Brockenhaus, im zweiten sind Bücher, Kitsch, Designermöbel und Antiquitäten untergebracht sowie die Olga-Bar. Von einer Freundin des Hauses haben wir das Signet der einstigen Olga-Bar im Oberdorf bekommen und restauriert. Wir schenken keinen Alkohol aus, sondern Sirup.» Immerhin sehen die Flaschen so aus, als ob sie Whisky enthalten würden und nicht Rhabarber-, Zitronengras-, Orangen-Hopfen- oder Waldgeist-Sirup, um nur einige der über 20 angebotenen Sorten zu nennen. «Wir kaufen die Getränke von zwei Sirupiers. Den einen habe ich auf dem Markt in Bern entdeckt, der stellt Sirup schon in der zweiten Generation her, der andere stammt aus Zürich. Die Bar ist vor allem am Samstagmorgen ein beliebter Treffpunkt.»

Hinter der Theke steht gerade Kateryna Fediuk, die seit drei Jahren hier arbeitet und zuständig ist für Bar und Möbel. «Wir haben ein wunderbares Team, wir unterstützen uns auch im Alltag. Ich liebe es, hier zu arbeiten, auch weil jedes Objekt seine eigene Geschichte hat und wir sie oft auch unseren Kunden weitergeben können.» Ueli Müller ist stolz auf seine Crew, 30 Leute in Pensen von 60 bis 100 Prozent, darunter auch Flüchtlinge und einige Menschen, die altershalber auf dem Arbeitsmarkt keine Beschäftigung mehr finden. «Wir nehmen dafür kein Geld, wie es andere Stiftungen machen. Sie dürfen zu uns kommen, müssen sich jedoch integrieren und mit uns arbeiten können. Das restliche Personal setzt sich zusammen aus qualifizierten Leuten. Manch ein Detailwarengeschäft wäre froh, solche Mitarbeiter zu haben! Und wohlgemerkt, wir zahlen ihnen die in Zürich marktüblichen Löhne.» 

Das Zürcher Brockenhaus wurde 1904 als sozial engagierte Stiftung gegründet und war als Warenhaus gedacht, wo sich bedürftige Personen günstig mit Kleidern und Haushaltwaren eindecken konnten. Im Lauf der Jahrzehnte, und mit dem aufkommenden Wohlstand wechselte es seine Bedeutung. «In den 70er- und 80er-Jahren kamen Händler, die die Trends früher als wir erkannten, und kauften vor allem Bauhausmöbel – von denen wir en masse hatten –, um sie dann um die Ecke für 100 Franken weiterzuverkaufen.» Heute sei es anders, fügt Ueli Müller an; man befinde sich in einem Markt, in dem Ikea 40 bis 50 Prozent Marktanteil habe, und deshalb sei es ein Luxus, sich aus einem Brockenhaus Sachen zu leisten, die nicht seriell hergestellt wurden. «Wir sind kein edles Brockenhaus, aber ein Brockenhaus, das anders funktioniert, und wir werden vor allem weder quersubventioniert, noch gehören wir der Stadt. Wir sind betriebswirtschaftlich orientiert und geben jährlich 10 Prozent unseres Gewinns in die Stiftung.» 

Früh erkannte Ueli Müller, dass ein klassisches Brockenhaus an dieser Lage und in der heutigen Zeit keine Überlebenschancen mehr hatte. Die eingelieferte Ware liess immer mehr zu wünschen übrig, die Menschen boten ihre Sachen im Internet an. «Es zeichnete sich ein Qualitätsproblem ab. Dem sind wir entgegengetreten, indem wir die Möbel, die wir abholen, sorgfältiger auswählen; manchmal kaufen wir sogar welche hinzu. Vor allem aber haben wir unserer Ware den Wert gegeben, den sie verdient. Wir haben wahrscheinlich die schönste Auswahl, die ein Brockenhaus haben kann.» Vom Löffel bis zum Klavier, vom Hut bis zur Lampe, von den Büchern bis zur Schallplatte: Pro Jahr werden über eine halbe Million Gegenstände verkauft, 20 000 Besucher schauen im Monat vorbei. «Wir haben viele Stammbesucher. Es gibt solche, die mehrmals pro Woche vorbeischauen, andere kommen stets am gleichen Wochentag, andere wiederum nur sporadisch.» Junge Menschen suchen nach günstigen und lässigen Sachen wie Kleidern – eine wahre Fundgrube – oder Möbel für die erste Wohnungseinrichtung. Gross ist die Auswahl an Beizentischen, die gut dotierte Bücherabteilung ist stadtweit bekannt, so auch die Schallplattensammlung. Ein Grossteil der Besucher ist vom Recycling-Gedanken angetan oder hat Freude an Unikaten. «Bei uns ist jeder zuständig für eine Warengruppe, bestimmt auch die Preise. Wir stellen ihnen ein Arbeitsinstrument zur Verfügung. So ist es zum Beispiel im Bereich Kunst eine internationale Datenbank über Auktionen, Künstler oder Werke.» 

Im zweiten Stock des Brockenhauses können Anlässe für bis zu 100 Gäste abgehalten werden. «Von Zeit zu Zeit organisieren wir Ausstellungen, denn wir verstehen uns auch als Kulturplatz. Ein Erfolg war jene mit den Tabourettli zu Liedern von Mani Matter oder jene über Dean Martin, als wir eine der weltgrössten Sammlungen über ihn präsentierten.» 

Weitere Informationen: 
www.zuercher-brockenhaus.ch

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