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Reportage

Blick in die Sophie-Taeuber-Strasse mit dem MFO-Park. Bild: H. Wehrli

Farblose Strasse für farbenfrohe Künstlerin

Von: Urs Hardegger

04. Oktober 2016

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt jede zweite Woche eine solche Story. Heute: die Sophie-Taeuber-Strasse.

Wie fühlt es sich an, wenn ein Quartier innert weniger Jahre vom 19. ins 21. Jahrhundert katapultiert wird? – Vielleicht so, wie wenn man durch die Sophie-Taeuber-Strasse in Neu-Oerlikon spaziert. Auf der einstigen Fabrikzubringerachse, wo noch bis vor wenigen Jahren der Industriebackstein den Ton angegeben hat, lassen letzte Relikte erahnen, wie es    hier einst ausgesehen hat. Die Eventhalle auf der einen und die Halle  622 auf der andern Seite ge­hören dazu. Den Kontrast dazu bilden die neuen, funktionalen Fassaden der Wohn- und Geschäftshäuser, wie die Glasoberfläche des Price-WaterhouseCooper-Hauses oder der gräuliche Sichtbackstein des Coop-Centers Eleven. Glas, Stein und Beton dominieren das Bild.

Ich glaube nicht, dass sich die ­Namenspatronin Sophie Taeuber-Arp (1889–1943) hier wohlgefühlt hätte. Dass ausgerechnet einer der weltweit grössten Wirtschaftsprüfer hier seinen Sitz hat, wäre bei ihr, die stets knapp bei Kasse war, weil sie auch ihren Ehemann Hans Arp durchfüttern musste, vielleicht noch als dadaistische Groteske durchgegangen. Auch gegen klare Strukturen und eine gewisse architektonische Strenge hätte sie wenig einzuwenden. Immer wieder experimentierte die Avantgardekünstlerin mit Kreis, Quadrat und Rechteck. Nicht behagt hätte ihr die kühle, sterile Atmosphäre. Gefehlt hätten ihr sicher auch die Leichtigkeit und das Verspielte, das ihr vielfältiges Werk kennzeichnet.

Nichts langweilte die Leiterin der Textilklasse an der Kunstgewerbeschule mehr als das dekoraktive Besticken von Kissen mit Blütenmustern. Der Blumenkranz, meinte Hans Arp einmal, sei ihr ein Ungeheuer gewesen, und sie hätte mit ihm gerungen, «wie der Ritter Sankt Georg mit dem Drachen». Aber bekanntlich haben Tote zu schweigen, und deshalb ringe nun ich mit dem Drachen, wenn ich versuche, die Atmosphäre der Strasse einzufangen. Die heutige Wohn- und Geschäftsmeile bestimmen Passanten, die gedankenversunken zur nächsten Aufgabe eilen. Die flüchtigen Blicke scheinen zu sagen: «Ich bin nur hier, weil ich hier arbeite, sobald ich kann, verschwinde ich wieder.»

Ungestümes Leben

Es ist nicht das Leben, das Taeuber gemeint hatte, als sie sagte: «Kunst gehört ins Leben, ja entsteht aus dem Leben heraus.» Kunst soll sich vielmehr in anspruchsvoller Form mit allem auseinandersetzen, was die Menschen umgibt. Davon zeugt ihr Werk. Neben dem malerischen und plastischen Werk entwarf sie Stoffe, Möbel, Schmuck, Interieurs und Marionettenfiguren. Das brachte der Pionierin der abstrakten Kunst mitunter den Vorwurf ein, dass es sich bei ihren Stickereien und Webereien lediglich um kunstgewerbliche Arbeiten handle. Eine Abwertung, die bei einer Frau und frauentypischen Tätigkeiten schnell zur Hand war.

Das ungestüme Leben, so wie Sophie Taeuber es gelebt hat, wenn sie auf Dada-Soirees hinter einer Maske wilde Tänze aufführte, findet an «ihrer» Strasse kaum statt. Anklänge daran findet man höchstens im MFO-Park, der mit seinen zahl­reichen Aufgängen und versteckten Winkeln zu einem beliebten Aufenthaltsort der Jungen geworden ist. Hier fällt es nicht schwer, sich beim «Chillen» – wie heute das Herumhängen, mit oder ohne Alkohol und Drogen, bezeichnet wird – den Blicken der Umgebung zu entziehen. Allerdings bringen ihr nächtlicher Lärm und der Abfall die Anwohner mitunter gehörig auf die Palme. Doch zurück zu Sophie Taeuber-Arp. Sie bleibt eine Ausnahmeerscheinung. Unbeirrbar ging sie als Frau und Künstlerin ihren Weg, überwand Grenzen und brach mit Konventionen. Ihr Leben endete übrigens tragisch. Im Januar 1943 verstarb sie in Höngg wegen eines falsch gehandhabten Ofens an einer Kohlenmonoxidvergiftung.

Quellen: Aargauer Kunsthaus: Sophie Taeuber-Arp. Heute ist Morgen. Zürich 2014.

Lesen Sie am 2. November den Beitrag zum FC-Zürich-Platz.

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