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Reportage

Das um 1820 erbaute Heinrich-Bosshardt-Schulhaus. Bild: Helena Wehrli

Für den Dichter und Schulreformer

Von: Urs Hardegger

23. Juni 2015

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt jede zweite Woche eine solche Story. Heute: die Heinrich-Bosshardt-Strasse.

«Hier wohnte und amtete der Lehrer Heinrich Bosshardt, Dichter des Sempacherliedes, 1811–1877.» So lautet die Inschrift am gleich­namigen Schulhaus in Schwamendingen. Bosshardt ist das knapp 200 Meter lange Strässchen im Zentrum von Schwamendingen und das 200-jährige Schul­haus gewidmet. In den Schulräu­­­men, in denen einst bis zu 100 Schüler Platz finden mussten, geht es heute beschaulicher zu und her. Der ­Kinderlärm ist verstummt, ein pädagogisches Fachzentrum bietet Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern bei Schwierigkeiten ­Coaching und Beratung an.

Ode an Winkelried

Berühmt gemacht hat den Schwamendinger Lehrer das Schlachtlied, das noch bis in die 1960er- Jahre in den Schulbüchern anzutreffen war. Der Text hört sich martialisch an: «Lasst hören aus alter Zeit von kühnen Ahnen Heldenstreit. – Von Speerwucht und wildem Schwertkampf, – Von Schlachtstaub und heissem Blutdampf. – Wir singen heut’ ein heilig Lied, – Es gilt dem Helden Winkelried.»

Doch lassen wir den Blutdampf etwas verrauchen und nähern wir uns der Person des Dichters an: Wir lernen einen wissbegierigen Sohn eines Schuhmachers aus dem Töss­tal kennen, dessen Biografie uns mitten in die Schulgeschichte des 19. Jahrhunderts führt. Als Bosshardt im Jahr 1833 ins neu gegründete Lehrerseminar Küsnacht eintrat, atmete er den neuen Geist ein, der nach 1830 durch Zürich wehte. Die Liberalen hatten die Macht ergriffen und die Schule der Obhut der Kirche entrissen. Nicht länger sollten schlecht ausgebildete Schulmeister ihre Kinder mit dem Aufsagen von Bibelsprüchen und Psalmen traktieren. «Zu geistig tätigen, bürgerlich brauchbaren und sittlich religiösen Menschen» hatte die Volksschule die Kinder von nun an zu erziehen.

Bei Bosshardt stiess dieser Bildungsoptimismus auf offene Ohren. Er wurde ein vehementer Kämpfer für die Schulreform. Zwar gelangten die konservativen Gegner nach dem Züriputsch 1839 kurzzeitig an die Macht zurück, aber der Siegeszug der modernen Volksschule liess sich nicht mehr aufhalten.

Für seinen Unterricht erhielt Bosshardt gute Zeugnisse: «Ausgezeichnet in geistiger Entwicklung wie in praktischer Anwendung» habe er gearbeitet. Doch wir haben Grund zur Annahme, dass nicht alle Schulkinder diese Begeisterung teilten. Denn die «Boshaften und Widerspenstigen» bekamen, gemäss den Aufzeichnungen eines Berufskollegen, gehörig seine Birkenrute zu spüren. Nicht übersehen darf man dabei, unter welchen Bedingungen die Lehrer zur damaligen Zeit unterrichten mussten. Damit er mit seinem Lohn die Familie ernähren konnte, musste Bosshardt neben seinen knapp 100 Schülern noch ein kleines Anwesen bewirtschaften und Nachhilfeunterricht erteilen.

Ob Lehrplan 21 oder Grenzen schulischer Integration, die Schule steht noch immer im Fokus politischer Auseinandersetzungen. Bei allen Differenzen und manchmal auch berechtigter Kritik sollte man doch im Auge behalten, wie viel in der Schule seit Bosshardts Zeit geschehen ist, wie stark sich Rahmenbedingungen, Didaktik und Pädagogik gewandelt haben.

Auch in den USA verehrt

17 Jahre war Bosshardt in Schwamendingen tätig, dann war seine Gesundheit ruiniert. 1860 wanderte er mit seiner Frau und drei Kindern in die USA aus, um sich auf einer Farm der Schweizerkolonie Highland im Staate Illinois niederzulassen. Dort starb er an einer Typhusinfektion. Ein Denkmal in High­land und ein Gedenkstein in Winterthur erinnern an den Schweizer Patrioten. Damit ist er wohl der einzige Schweizer Volksschullehrer, der es auf beiden Seiten des Atlantiks zu einem Denkmal geschafft hat.

Quellen:
Kreis, K.: Das Sempacherlied mit den Lebensbildern des Componisten und des Dichters. Zürich 1886.
Ortsgeschichtliche Kommission des QV Schwamendingen (Hrsg.): Heinrich Bosshard(t). Zürich 2012.

Lesen Sie am 8. Juli den Beitrag zum Hürlimannplatz.

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