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Reportage

Von Farsi für Anfänger über Olivenanbau bis hin zum Kochkurs «Somalische Samosa»: In der Abendschule Import hat fast alles Platz. Bild: PD

Geflüchtete am Lehrerpult

Von: Stine Wetzel

29. Mai 2018

Mit dem Projekt Abendschule Import sollen geflüchtete Personen einen Raum fern ihrer Leidensgeschichte bekommen. An den Kurstagen vom 5. bis 7. Juni geben sie ihr Wissen im Fabriktheater weiter – unter ihnen Mohammad Reza Jafari aus Afghanistan mit einem Fotografie- und Rezkiya Abdullah aus Syrien mit einem Coiffeurkurs.

«Die Art und Weise, wie wir Menschen in Not behandeln, sagt etwas über unsere Gesellschaft aus. Da ist die unsrige nicht gerade fortschrittlich.» Andreas Liebmann findet klare Worte für eine Schweiz, die im Asylbereich repressiv agiert. «Die Thematik von Flucht bewegt, berührt und provoziert mich», sagt der Zürcher Theatermacher. Seine Empörung auf die Bühne zu bringen, bremste er sich aber. «Bei Stücken, in denen sich die Geflüchteten selbst spielen, besteht die Gefahr, dass da stereotype Rollen reproduziert werden.» Er habe lieber einen Rahmen schaffen wollen, «in dem ein Tor zur Zukunft aufgestossen wird, zu einem anderen Umgang miteinander». Vor zwei Jahren gründete der 46-Jährige daher zusammen mit der Künstlerin Cecilie Ullerup Schmidt die Abendschule Import.

Die Idee: einerseits brachliegendes Wissen handhabbar zu machen, andererseits Begegnungen zwischen Einheimischen und Geflüchteten fernab der gängigen Hierarchie zu ermöglichen. «Geflüchtete werden in der Regel aufgefordert, sich uns anzupassen und unsere Regeln zu lernen», sagt Liebmann. «Bei der Abendschule Import werden sie gefragt, zu zeigen, was sie interessiert und was sie wissen. Für Einzelne kann das bedeutsam sein.»

Die geflüchteten Personen sind die Experten – etwa für Aviatik, Arabisch, Agrarwissenschaften – und sind für rund 90 Minuten die Lehrer. Bisher gab es 30 Kurse in Zürich. Zwischen fünf und 30 Personen sitzen jeweils im «Klassenzimmer», hören zu.

Besonders in Erinnerung geblieben ist Mitgründer Liebmann ein Kurs, in dem Schüler und Lehrer zusammen Gedichte des syrischen Dichters Nizar Qabbani in der deutschen Übersetzung gelesen haben. «Dieser Klang, diese Sprache!»

Auch wenn Abendschule Import inzwischen Ableger in Freiburg, Basel und Luzern hat – auch nach zwei Jahren bleibt das Projekt ein Tropfen auf den heissen Stein. Doch Liebmann glaubt daran: «In 90 Minuten kann ein Bild entstehen, das weiterwirkt. Es kann Neugierde geweckt werden. Und die Erfahrung, dass es einen Begegnungs- und Wissensraum jenseits von Leidensgeschichten und Mitleid gibt, kann befreiend wirken.»

Ungewohnte Rolle

Die nächsten Kurse finden vom 5. bis 7. Juni in Zürich statt (s. unten). Einer der Kurse: Porträtfotografie mit Mohammad Reza Jafari aus Afghanistan. Dass er bei Abendschule Import in die Rolle des Lehrers schlüpft, ist neu für ihn. «Ich will niemandem etwas beibringen, aber teilen, was ich gelernt habe.» Zum Beispiel, mit welchen Kniffen Handyfotos gelingen. «Jeder fotografiert mit dem Smartphone wild herum, die Fotos sehen aber oft nicht gut aus. Dabei wäre es so einfach.» Beispielsweise mit der Drittel-Regel – die will er in seinem Kurs erklären.

Auch Rezkiya Abdullah aus Syrien hat von Abendschule Import gehört und sich als Expertin beworben. Sie war vor einiger Zeit bei einem Flüchtlingsprojekt des Zürcher Schauspielhauses dabei und hat so Kontakte in Zürich geknüpft. In dem Workshop will sie den Kursteilnehmern zeigen, wie man Haare schneidet – wie sie es auch schon jungen Frauen nach dem Ausbruch des Kriegs im Flüchtlingslager beigebracht hat. Ausserdem will die 38-Jährige die Frisurmoden kurdischer Frauen erläutern. Syrische Frauen seien ganz anders als europäische. «Wir lieben es einfach, uns chic zu machen: Wir legen sehr, sehr viel Wert auf Körper- und Haarpflege, schminken uns immer und färben uns viel mehr die Haare. Vor allem lieben wir Blond. Frauen in Europa, die gehen auch mal vor die Tür, wie sie eben sind», sagt sie und lacht.

Die Kurse im Juni

5. Juni

• Feminismus: Globale Erstarkung der Frauenbewegung? – Versuch eines Überblicks der Dynamik anhand von Beispielen aus Argentinien, Spanien, Island, Türkei und Rojava (Meral Cinar)

• Diskussion über Afrikanisches Kino (Aron Yeshitila, auf Englisch)

6. Juni

• Einführung in die Porträtfotografie (Mohammad Reza Jafari)

• Haare schneiden: Praktischer Workshop (Rezkiya Abdullah)

7. Juni

• Politik: Zuflucht vor Staatenlosigkeit – Eine Fallstudie zu Nomadenstämmen in den Grenzgebieten zwischen Somalia, Kenia und Äthiopien (Mansur Cali, auf Englisch)

• Tamilisch für Anfänger (Vaaheesan Siromani)

 

Fabriktheater, Rote Fabrik

Je 19 Uhr, 20 Franken, ermässigt 10 Franken, gratis für Personen mit N- oder F-Ausweis

www.abendschule-import.ch

 

«Fotografen sind wach für die Welt»

Mohammad Reza Jafari (33)

«Da – was siehst du?» Mohammad Reza Jafari zeigt auf den Bildschirm seines Laptops. Ein Baum, eine Kuhle im Stamm, darin Zigarettenstummel wie in einem Aschenbecher. «Anklage – das ist das Thema, das ich mit dem Foto zeigen wollte.» Hochschulcampus Toni-Areal: Der 33-Jährige sitzt an einem der Arbeitsplätze. Am Vormittag war er im Vorkurs, zur Vorbereitung auf das Studium in Film an der Zürcher Hochschule der Künste. Bilder machen: für ihn eine Lebenshaltung. «Als Fotograf ist man wach für die Welt.» Ein Freund seines Vaters habe ihm das Fotografieren erklärt, als er noch ein Kind war. «Seither hatte ich meine alte Konica immer dabei.» Zu Hause, in Afghanistan, habe er auch eine ganze Kamerasammlung.

Reza Jafari wurde in Afghanistan geboren. Als er ein Jahr alt war, wanderte seine Familie in den Iran aus. In Teheran hat Reza Jafari Fotografie und Film studiert. «Aber wegen der Schwierigkeiten, die ich hatte, konnte ich mein Studium nicht beenden.» Zwei Semester haben ihm für den Abschluss noch gefehlt. 2005 kehrte er nach Ghazni, seiner Heimatstadt in Zentralafghanistan, zurück. Bis zu seiner Flucht 2015 arbeitete er dort als Fotograf und Kameramann; er hatte es mit Geheimdiensten zutun, mit dem Gericht. 

In der Schweiz fängt er mit der Ausbildung von vorn an. «Aber das ist auch gut so. Hier ist alles viel professioneller», sagt er. Seit zweieinhalb Jahren ist er in der Schweiz. «Meine Lehrerin hat immer gesagt: Reza, wenn du erwachsen bist, musst du unbedingt in die Schweiz. Weil da alle Akademiker sind. Das stimmt zwar nicht ganz, aber Schweizer sind sehr diszipliniert und pünktlich. Das mag ich.» Über seine Flucht will er nicht sprechen. «Wenn ich das erzähle, kann ich nicht mehr arbeiten, und ich brauche jetzt meinen Kopf.»

Reza Jafari trägt eine Kapuzenjacke, «Taekwondo Zürich» steht auf seinem Rücken. Er hat schon vorher Kampfsport gemacht, zu Taekwando sei er durch das Projekt «Sportegration» – Integration durch Sport – für Asylsuchende und Flüchtlinge gekommen. Gerade ist ein Buch über das Projekt erschienen. Reza Jafari und sein Kollege Karim Maizar haben die Bilder von den Beteiligten gemacht. 

 

«Sich die Haare machen – und reden»

Rezkiya Abdullah (38)

Der Jüngste turnt auf ihrem Schoss herum. Rezkiya Abdullah lächelt, lächelt ihren Sohn an, lächelt nach jedem Satz. «Rezkiya» steht in ihren Papieren, aber eigentlich sei sie «Ruskia». Sie ist Kurdin, die Flucht vor dem Krieg in Syrien hat sie erst nach Basel geführt, dann nach Winterthur, dann kam Dielsdorf – anderthalb Jahre Bunker mit zwei weiteren Familien. Allein die Abdullahs waren zu fünft. Seit gut einem Jahr wohnen sie in einem Mehrfamilienhaus der Gemeinde, im Grünen. Rezkiya Abdullah hat inzwischen vier Kinder: zwei Töchter, zwei Söhne, der Jüngste ist ein paar Monate alt, die Älteste 17 Jahre. Für den Ausbildungsplatz der Ältesten fehlt immer noch der Entscheid über den Asylantrag. «Das alles ist nicht einfach», sagt die 38-Jährige. Ihr gegenüber sitzt ihr Mann im Leinenhemd. Seit 18 Jahren sind die beiden verheiratet. Zu Hause sprechen sie Kurdisch. Die Sprache hier – ein Kampf. «Ich kann kein Englisch, kein Französisch, nur noch Arabisch. Mir war klar, dass ich schnell Deutsch lernen muss.» Psychisch sei die Familie sehr angeschlagen gewesen. In der Zwischenzeit gehe es den Kindern aber gut in der Schule, und auch sie habe viel Kontakt zu Schweizern. Bevor sie ihren jüngsten Sohn bekam, kochte sie jeden Mittwoch in der Kirche: syrisches Essen, zuletzt für bis zu 70 Personen. Mit der Schwangerschaft musste sie eine Pause einlegen.

Ihre ganze Familie lebt in Syrien. Wenn das Internet mitspielt, schicken sie sich Sprachnachrichten. Die Sorgen gehen der Familie nicht aus. Jetzt mussten auch noch die zwei Söhne ihrer Schwester zum Militär. «Als ich klein war, habe ich meiner grossen Schwester immer Locken gemacht», erzählt Rezkiya Abdullah. «Ich habe einen Löffel im Feuer heiss gemacht und ihre Haare darüber gedreht.» Sie wollte schon immer Coiffeuse werden. In der Schweiz, ohne Arbeitsbewilligung, macht sie nur noch die Haare ihrer Kolleginnen. Im Flüchtlingslager war «das Haaremachen» ein guter Weg, sich mit den anderen Frauen zu solidarisieren. «Wenn du mit vielen in einem Zelt lebst, kaum Wasser hast und den ganzen Tag Probleme siehst, ist es gut, wenn Frauen zusammenkommen, sich die Haare zurechtmachen und über alles reden können. Auch die jungen Frauen: Sie konnten ja nicht zur Schule. Da konnte ich ihnen wenigstens zeigen, wie man Haare schneidet.» 

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