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Reportage

Wer eine Meerjungfrau sein will, muss nicht nur gut schwimmen, sondern auch elegant posieren können. Bild: CLA

Halb Fisch, halb Schönheit

Von: Clarissa Rohrbach

23. August 2016

Das Mermaiding, Schwimmen wie eine Meerjungfrau, ist bei Mädchen im Trend. Wir habens auch probiert.

Da liegen sie neben dem Schwimmbecken. Die Schwanzflossen, mit denen man sich in eine Meerjungfrau verwandelt. Die Mädchen, alle um die neun Jahre, beäugen den farbigen Stapel. Sie überlegen sich schon, welche sie anziehen sollen. Die in Rosa? Oder Türkis? Oder eher doch die glitzernde mit den Regenbogenfarben? Doch bevor der Traum wahr wird, gibt es einen Test. «Könnt ihr alle gut schwimmen?», fragt Instruktorin Tanita Raimann. Sicherheit kommt bei den Kursen der Meerjungfrauen-Schwimmschule hier in der Badi Opfikon vor dem Spass, deswegen haben die Leiter alle auch ein Bademeister-Brevet. «Eins, zwei, drei, Meerjungfrauen, yeah!» Wir springen ins Wasser und schwimmen gleich los. 25 Meter muss man am Stück und ohne Hilfe schaffen. Die Mädchen kraulen gekonnt, alles kein Problem. Einige haben Seesterne auf ihren Bikinis.

Dann gehts zur Sache. Raimann zeigt uns, wie eine Meerjungfrau schwimmt: Füsse zusammen und danach ein Beinschlag aus der Hüfte. «Wie eine Schlange!», rufen die Mädchen. Wir wählen unsere Schwanzflosse, sitzen auf den Poolrand und zwängen uns in den engen Stoff. Das ist nicht ganz einfach, wir ziehen und wursteln. Im ersten Augenblick fühlt man sich eingeengt, blockiert. Im Wasser zieht einen das Plastik nach unten, die Arme rudern automatisch. Aber in nur drei Sekunden haben wir den Dreh raus. Wir tauchen ab und zischen los. Es sieht mühelos aus. Mit dem Antrieb der Flosse leistet das Wasser kaum Widerstand, sondern fliesst weich die Haut entlang. Man fühlt sich elegant, weiblich. Die Kinder sind unter Wasser, im Hallenbad plätschert es friedlich, dann tauchen sie wieder auf und holen laut Luft. Eine Meerjungfrau sein ist anstrengend.

Zeit für ein Foto. Die Mädchen liegen auf dem Bauch, streifen ihre nassen Haare zurecht, halten ihre Flosse hoch und sagen: «Cheese!» Wir planschen ein wenig, um uns auszuruhen. Meerjungfrauen seien so cool, weil sie halb Mensch, halb Fisch sind, erzählen mir die Mädels. Und sie würden so lässig schwimmen. «Wir fühlen uns wie in ‹H2O›!», meinen sie. Die australische Serie ist bei Mädchen zurzeit voll angesagt. In den 90ern war Disneys Arielle mit ihren vollen, roten Haaren und ihrem violetten Muscheln-Bikini in, heute sind es die Teenager Cleo, Emma und Rikki, die auf einer pazifischen Vulkaninsel im Mondschein in Meerjungfrauen verwandelt wurden. Einige Mädchen reden über das coole Trio – ihr Vorbild –, andere stützen ihren Kopf in die Hände und wedeln verträumt mit der Flosse.  

Der Traum jedes Mädchens
«Meerjungfrau zu sein, ist ein Mythos, der tief in jeder Frau verankert ist», meint Cristina Würgler. Sie hat mit ihrem Mann Mario vor zweieinhalb Jahren die Meerjungfrauen-Schwimmschule gegründet. Damals kam der Trend erst auf. «Ich dachte, endlich geht ein Mädchentraum in Erfüllung. Hätte ich als Teenager eine Schwanzflosse gehabt, wäre ich ausgeflippt», sagt die Schwimmlehrerin. Kurzerhand besuchte sie einen Kurs in Deutschland. In der Schweiz war das Hobby noch unbekannt. Heute können sich die Würglers vor Anfragen kaum retten. ­Obwohl die meisten Teilnehmer Mädchen sind, buchen auch Erwachsene die Kurse für Geburtstage, Junggesellinnenabschiede oder Firmenanlässe. «Als Meerjungfrau schwimmt man schwerelos, man verwandelt sich in ein anderes Wesen, das ist das Tolle daran.» In ihrem Laden in Greifensee verkauft das Paar nicht nur Monoflossen (139 Franken), sondern auch Schmuck für Meerjungfrauen, die besonders hübsch sein wollen. Es gibt nämlich sogar einen nationalen Miss-Mermaid-Schönheitswettbewerb, den dieses Jahr die 25-jährige Bernerin Franziska Anneler gewann, die Graziöseste unter Wasser. Am Sonntag ist sie im Schwimmbad Opfikon anzutreffen.

«Ich höre das Meer»
«Seid ihr bereit für etwas Schwieriges?» «Jaaaa!» Wir sind wieder fit, Raimann holt eine Handvoll Muscheln. Während zwei Mädchen sie unter Wasser verstecken, halten sich die anderen die Augen zu. Dann geht die Suche los. Stolz reichen die Taucherinnen die gefundenen Muscheln der Leiterin. Nächste Aufgabe: durch einen Reifen schwimmen. Die Meerjungfrauen holen tief Luft, stechen Kopf voran ins Wasser und schlagen mit der  Flosse aus. Eine nach der anderen meistern sie die Übung. «Super, Applaus, ihr habt es geschafft», lobt Raimann. «Das war einfach», meinen die  Meerjungfrauen. Solch eine Flosse zu tragen, macht nicht nur süchtig, sondern auch selbstbewusst.

Ob sie sich noch eine Unterwasser-High-five geben wollen? Die Mädchen tauchen, winken einander zu und gehen dann ihre Wege. Im Schwimmbad wird es still, jede ist mit sich selbst beschäftigt. Wir kosten den Moment aus, fasziniert von dieser Metamorphose. Dann ist die Stunde vorbei. Wir steigen aus dem Wasser und ziehen unsere Flossen ab. Befreiend ist das, aber auch traurig. Plötzlich fühlt man sich wieder so schwer. Zum Abschied bekommt jede eine Muschel. Die Mädchen schauen sie sehnsuchtsvoll an, halten sie ans Ohr. «Ich höre das Meer», sagen sie.

Die Meerjungfrauen-Schwimmschule bietet Schnupperkurse im Mermaiding für 49 Franken an (www.mjss.ch).

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