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Reportage

Die Trainerinnen Katharina Bega-Eisenring (am Boden) und Sabina Teuscher unterrichten Selbstverteidigung für Frauen und Mädchen.

Hau ab! Lass mich!

Von: Ginger Hebel

31. Januar 2017

Selbstverteidigung: Viele Zürcher Frauen wollen sich im Notfall wehren können. Die Stadt subventioniert entsprechende Kurse.

«Hau ab! Lass mich!», schreit Katharina Bega-Eisenring, und demonstriert, wie man einen potenziellen Angreifer abwendet. «Jede Frau kann sich wehren. Kraft hat nichts mit Muskeln zu tun», sagt die 40-Jährige. In Zürich-Wiedikon unterrichtet sie Selbstverteidigung für Frauen und Mädchen. Die Nachfrage ist gross. Acht Frauen absolvieren den aktuellen Kurs, der acht Lektionen umfasst, auch die Schwestern Judith und Rebekka. «Wenn ich nachts ­allein unterwegs bin, habe ich manchmal Angst, besonders, wenn ich Männergruppen begegne», sagt die 25-jährige Rebekka. Ihre jüngere Schwester wurde kürzlich bei der Hardbrücke von einem Mann mit einem Stock geschlagen und beschimpft. «Ich war total perplex und konnte nicht reagieren. Ich möchte selbstbewusster werden und mich wehren können», sagt Judith.

Wehren darf man sich nicht nur, man soll es auch. Niemand muss zuwar­ten, bis er geschlagen wird. «Man darf sich so stark wehren, wie man Angst hat», sagt Katharina ­Bega-Eisenring. Sie wurde Opfer häuslicher Gewalt. Dieses Erlebnis sei der Grund gewesen, warum sie sich zur Pallas-Trainerin für Selbstverteidigung ausbilden liess.

Mit dem Schal gewürgt

Selbstverteidigung geht alle an. Da ist die Studentin, die von Professoren erzählt, die anzügliche Bemerkungen machen und sie begrapscht haben. Sie gesteht, dass sie noch nie den Mut aufbrachte, zu sagen, dass sie das nicht will. Auch Frauen, die Gewalt erfahren haben, absolvieren den Kurs. Sie wollen ausbrechen aus der Opferrolle und die Angst besiegen, die sie lähmt. Eine Teilnehmerin erzählt von einem Fremden, der sie auf offener Strasse an die Wand drückte und mit dem Schal würgte. Vor lauter Schock konnte sie nicht schreien, nur wegrennen. Seither schaut sie den Menschen nicht mehr in die Augen, weil sie glaubt, dass es sie provoziert. «Wenn man sich körperlich wehren muss, ist die Chance gross, dass man verletzt wird. Aber wenn man es nicht tut, wird man ganz sicher verletzt. Die inneren Wunden heilen langsamer, wenn das Opfer sich nicht zur Wehr setzen konnte», sagt Bega-Eisenring.

Die Schwestern Rebekka und Judith üben sich in der Bodenabwehr. Dass sie den Kurs machen, liegt auch daran, dass die Stadt ihn subventioniert. Frauen und Mädchen, die in Zürich wohnen, erhalten 50 bis 70 Franken Vergünstigung bei den Anbietern Pallas, Wen-Do und Impact. 85 Frauen haben letztes Jahr davon profitiert. «Das Ziel ist es, Frauen zu ermutigen, für sich einzustehen und in Gefahrensituationen richtig zu handeln», sagt Michael Rüegg vom Sozialdepartement.

Der nächste Pallas-Grundkurs startet am 23. Mai.

www.pallas.ch

www.wendo.ch

www.selbstsicherheit.ch

 

3 Selbstverteidigungstipps für Frauen: So wehren Sie sich

1. Bei einer blöden Anmache

Wenn Ihnen zum Beispiel ein Betrunkener den Arm um die Schultern legt oder jemand zudringlich wird, sagen Sie laut, dass Sie das nicht wollen. Ma­chen Sie den Übergriff öffentlich durch ihre Stimme. So verlagert sich das ungute Gefühl auf die andere Person. Achten Sie auf Ihre Körpersprache. Wer selbst­bewusst auftritt, erlebt erwiesener­massen viel seltener einen Übergriff.
Katharina Bega-Eisenring, (pallas.ch)

2. Bei einem Angriff

Keine Fairness: Selbstverteidigung ist kein Sport, und deshalb gibt es auch keine Regeln. Wer gegen einen körperlich überlegenen Gegner bestehen will, muss seine empfindlichsten Stellen attackieren. Augen, Nase, Hals und Genitalien reagieren besonders auf Angriffe und sind deshalb äusserst effektive Ziele. Hemmungen haben hier keinen Platz.
Tian Wanner, (functionalfighting.ch)

3. Bei einer Bedrohung

Ein bisschen Abwehr gibt es nicht. Wenn Sie von jemandem massiv bedroht werden, hat diese Person bereits bewiesen, dass sie Ihre Grenzen nicht respektiert. Sie haben deshalb jedes Recht, aggressiv zu sein. Bei einem Übergriff müssen Sie regelrecht in den Gegner explodieren, und sich so intensiv wehren, bis Sie sich ganz sicher entfernen können.
Tian Wanner, (functionalfighting.ch)

 

"Jeder hat das Recht auf Notwehr"

Die Stadt Zürich unterstützt Frauen, die einen Selbstverteidigungskurs besuchen. Was hält man bei der Polizei davon?

Marco Bisa: Bei den drei ausgewählten Selbstverteidigungsschulen handelt es sich um spezialisierte und auf weibliche Personen ausgerichtete Angebote. Subventioniert werden nur absolvierte Selbstverteidigungskurse (Grund- und Basiskurse) von Frauen und Mädchen mit Wohnsitz in der Stadt Zürich. Die Polizei begrüsst es, wenn Stadtbewohnerinnen solche Angebote wahrnehmen und sich dadurch sicherer fühlen.

Darf man sich wehren, wenn man bedroht oder angegriffen wird?

Ja. Jeder Angegriffene hat das Recht auf Notwehr. Ob diese aber in einer angemessenen Weise, wie vom Gesetz vorgeschrieben, eingesetzt wurde, stellt sich jeweils erst nach einem gerichtlichen Verfahren heraus. Wir empfehlen, mit dem Angreifer bestimmt und laut zu reden und selbstbewusst zu wirken. Besser als körperliche Gegenwehr ist aber die Suche nach einer List oder einer Fluchtmöglichkeit.

Was tun, wenn man verfolgt wird?

Versuchen Sie, nicht in Panik zu geraten. Halten Sie so gut wie möglich Distanz und gehen Sie zielstrebig. Wenn man sich bedroht fühlt, umgehend die Polizeinotrufnummer 117 wählen und andere auf den Vorfall aufmerksam machen.

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