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Reportage

Queere Welt im Korallenriff: Clown- oder Anemonenfische können bei Bedarf das Geschlecht wechseln. Bild: Zoo Zürich

Heute Mann, morgen Frau

Von: Isabella Seemann

25. Januar 2022

TIERLEBEN Einige Fischarten können spontan ihr Geschlecht wechseln. Das bizarre Phänomen hat gute Gründe, wie Zookurator Pascal Marty erklärt: Es erhöht die Chance der Fortpflanzung. 

Wer sein Geschlecht ändern will, kann das seit dem 1. Januar rasch, günstig und unbürokratisch auf dem Zivilstandsamt erledigen. Auch Unisex-Toiletten in öffentlichen Bildungseinrichtungen des Kantons Zürich sollen schon bald zum Standard gehören, damit sich vor Toilettentüren mit Symbolen für Damen oder Herren niemand ausgeschlossen fühlt. Eine kulturelle Revolution ist im Gange – bei den einen aktiviert sie kreative Kräfte, bei anderen Widerstände.

Beim Naturwissenschaftler und Kurator im Zoo Zürich, Pascal Marty, stacheln solche oder ähnliche gesellschaftliche und mediale Debatten die Neugier an: «Als Biologe frage ich mich dann natürlich, wie das eigentlich in der Tierwelt ist.» Von seiner Expedition in die genderfluide Tierwelt erzählte er am Medienapéro im Zoo Zürich zum Thema «Wenn Tiere das Geschlecht wechseln».

«Während bei Säugetieren das Geschlecht durch die Gene bestimmt ist, haben manche Knochenfische die genetische Flexibilität, um eine Vielfalt an Geschlechtern zu entwickeln», erklärt Pascal Marty vor dem einem indopazifischen Korallenriff nachempfundenen Aquarium und zeigt auf einen Schwarm orange-gold-farbenen Fische, die sich just vor der Glasscheibe tummeln. Flammen-Fahnenbarsche. Das grosse, dominante und aggressive Männchen beansprucht das Revier und hält sich einen Harem. Gäbe es kleinere Männchen in der Gruppe, würden sie bei der Fortpflanzung in die Röhre gucken. So ist es für den Erhalt der Art von Vorteil, wenn die Fahnenbarsche ihre Geschlechtsreife als Weibchen erlangen und sich mit dem dominanten Männchen paaren. Wird das dominante Männchen entführt oder segnet es das Zeitliche, dann übernimmt das grösste Weibchen dessen Stelle im Harem und wandelt sich innert Tage in ein Männchen um, mitsamt neuer Färbung, neuem Aussehen und neuer Anatomie. Sequenziellen Hermaphroditismus lautet der entzückende, von Menschen ersonnene Begriff für dieses Phänomen, das unter Knochenfischen durchaus nicht aussergewöhnlich ist. Bisher konnte er in 27 Familien mit un­zähligen Arten beobachtet werden. Auch die blauen Putzerfische, die sich im Zoo-Aquarium gerne am Rochen laben, leben in ähnlichen Sozialsystemen.

Je grösser, desto mehr Eier

«Ob der Wechsel vom Männchen zum Weibchen, umgekehrt oder sogar in beide Richtungen abläuft, hängt vor allem von der Sozialstruktur des Fisches ab», erklärt Biologe Pascal Marty. Bei monogam lebenden Fischen wie zum Beispiel dem Clown- oder Anemonenfisch, zu denen auch Filmheld Nemo gehört, ist es von Vorteil, wenn das Weibchen grösser ist als das Männchen, denn je grösser das Weibchen, desto mehr Eier kann es legen. Clown- fische leben in kleinen Gruppen, in denen das grösste Mitglied ein Weibchen ist und das zweitgrösste das dominante Männchen. Alle anderen Mitglieder sind Männchen und pflanzen sich nicht fort. Wenn bei einem Pärchen das Weibchen stirbt, dann wandelt sich der Witwer in ein Weibchen – und sucht sich ein anderes Männchen.

In einer biologisch korrekten Version der Geschichte von «Finding Nemo» würde sich Papa Marlin nach dem Tod seiner Frau Coral, die von einem Barrakuda aufgefressen wurde, also einfach in ein Weibchen verwandeln und ein anderes Männchen suchen. Vor neunzehn Jahren, als der Film herauskam, wäre eine solche Wendung aber wohl nur schwer vermittelbar gewesen, doch die heutige Generation Kinder ist bezüglich Genderfragen schon besser vorbereitet.

Männlich? Weiblich? Spermien? Eier? Die Korallengrundeln, quasi die Stubenhocker unter den Fischen und deswegen mit einer überschaubaren Auswahl an potentiellen Partnern gesegnet, gehen die Frage ganz pragmatisch an. Hier kann sich jedes Geschlecht in das andere umwandeln. Treffen also zufällig zwei gleichgeschlechtliche Grundeln aufeinander und beschliessen, sich fortan zusammen in einem Korallenstock häuslich einzurichten, ändert eine Grundel das Geschlecht. So ist immer garantiert, dass sie gemeinsam ein heterosexuelles Paar bilden und sich fortpflanzen können.

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