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Reportage

Pflegerin mit Patientin. Im Vergleich zu Deutschland herrschen in der Schweiz für Pflegefachkräfte paradiesische Zustände. Bild: PD

«Hier hat man viel mehr Kompetenzen»

Von: Stine Wetzel

27. Mai 2014

BERUFE: Ist die Schweiz tatsächlich ein Pflegeparadies? Fünf Deutsche erzählen, ­warum sie lieber in der Schweiz arbeiten.

«Wollen Sie über den Dächern von Zürich arbeiten?» Als Torsten den Stellenbeschrieb in der Fachzeitschrift «Altenpflege» las, hätte er am liebsten laut Ja gerufen. Nicht wegen der Dächer Zürichs. Er hatte schon während seiner Ausbildung zum Altenpfleger gehört, dass die Schweiz fortschrittliche Standards fürs Personal hält. Ähnlich ging es Doris, als sie das Inserat der Klinik Hirslanden in der Verbandszeitschrift «Die Schwester Der Pfleger» las.

Als «notorisches Pflegeparadies» bezeichnete «Die Zeit» jüngst die Schweiz: Pflegekräfte werden anständig bezahlt, sie haben mehr Zeit für die Pflegebedürftigen, und ihnen wird mehr Wertschätzung zuteil. Gegen die «Pflege im Schweinsgalopp» hat sich auch Altenpfleger Torsten entschieden. «In der Schweiz habe ich mehr Zeit für die Bewohner», findet er. Zehn Jahre arbeitete er im Pflegezentrum Käferberg, seit fünf Jahren im Alterszentrum Wildbach. Er überzeugte zwei seiner deutschen Kollegen von Zürich und bekam für die Vermittlung 1000 Franken Prämie.

Cornelia hatte an der Ostsee gearbeitet. Die Schwärmerei für die Schweizer Pflegesituation ihrer Kollegen brachte sie vor zwölf Jahren nach Zürich, erst auf die Akutstation, dann in die Altenpflege des Alterszentrums Limmat. «An beiden Orten habe ich positive Erfahrungen gemacht», erzählt sie, «als Pflegeperson hat man in der Schweiz viel mehr Kompetenzen.» Ewelina, stellvertretende Bereichsleiterin Pflege der Klinik Hirslanden, pflichtet ihr bei: «In der Schweiz gehört es zur Aufgabe der Pflege, Medikamente intravenös zu verabreichen, Blut zu transfundieren und Venenverweilkanülen zu legen. Diese Verantwortung tragen in Deutschland die Ärzte.»

Sparmassnahmen auch hier

Doris ist Mitarbeiterin auf der Pflegestation der Klinik Hirslanden. Sie ist eine der knapp 200 Pflegenden aus Deutschland, die die Privatklinikgruppe in Zürich beschäftigt – ein Fünftel des Pflegepersonals am Standort Zürich kommt damit aus Deutschland. Ressentiments aufgrund ihrer Herkunft erlebt Doris selten. Die anfängliche Sprachbarriere ist nunmehr eine Anekdote: «Als ein Herzchirurg zu einem Patienten sagte, er solle mit dem offnige Muul schnuufe, war ich entsetzt. Das klang eher nach einem Veterinärmediziner», lacht sie.

«Viele meiner Kollegen haben sich für den Schritt in die Schweiz entschieden, weil sie wie ich unzufrieden mit der Stelle in Deutschland waren», erzählt Evelyn, die ebenfalls bei der Klinik Hirslanden arbeitet. Dafür gibt es einen Fachbegriff: Caredrain. Medizinisches Fachpersonal verlässt das Herkunftsland, weil anderswo bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne winken. Im Durchschnitt muss ein Pfleger oder eine Krankenschwester zehn Pflegebedürftige umsorgen. Zusammen mit Spanien liegt Deutschland damit auf dem letzten Platz des Pflegeschlüssels. Aber auch in der Schweiz seien die Sparmassnahmen allmählich spürbar. «Personalmangel macht sich bemerkbar, der Stress nimmt zu», sind sich die fünf Einwanderer einig. Trotzdem würde ihnen nicht in den Sinn kommen, in den deutschen Pflegealltag zurückzukehren. Die Vorteile überwiegen nach wie vor.

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