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Reportage

Hiltl - Vegi-Restaurant mit deutschen Wurzeln

Von: Tanja Selmer

02. April 2013

In Zürich ist es eine Institution und gilt als ältestes vegetarisches Restaurant der Welt, das Hiltl. Den Grundstein legte ein Deutscher.

115 Jahre ist es her, dass 1898 eine Handvoll Deutsche in Zürich das «Vegetarierheim und Abstinenz-Café» eröffneten. Sie waren Anhänger der Lebensreformbewegung, und ihr Ansatz muss recht streng gewesen sein. Ihr Lokal war als «Wurzelbunker» verschrien. Die Gäste – sie wurden als «Gras­fresser» verspottet – schlichen teils heimlich durch den Hintereingang.

Unter den Stammgästen war auch Ambrosius Hiltl, ein Schneidergeselle aus der Oberpfalz auf Wanderschaft. Er war an Gicht erkrankt und konnte kaum die Finger rühren. Ein befreundeter Arzt hatte ihm daher streng vegetarische Kost verschrieben. Innerhalb weniger Monate war er wieder gesund, und so liess er sich nicht lange bitten, den kränkelnden Betrieb 1904 zu übernehmen. Er heiratete die Köchin Martha Gneupel, und in kurzer Zeit gelang es ihm, den Umsatz zu steigern.

Der Urenkel und heutige Chef des Hauses, Rolf Hiltl, glaubt, dass der anfängliche Erfolg auch in Ambrosius Hiltls weltoffener Art begründet lag: «Er war ein Mensch der Lebensfreude und kein sturer Bock mit extremen Ansichten.» Auch die zweite und dritte Generation haben aus dem vegetarischen Erbe keine Religion gemacht, sondern dank Kreativität und Innovation das Haus Hiltl Höhen und Tiefen überdauern lassen. Ambrosius’ Schwiegertochter Margrith führte die indische Küche ein, Enkel Heinz Säfte und Salatbuffet. Urenkel Rolf schliesslich kämpfte darum, Alkohol ausschenken zu dürfen. Umgekehrt strich er die Haferschleimsuppe von der Karte: «Gesundheit ist für mich beim Essen immer noch wichtig, aber nur in Verbindung mit Genuss. Körnerpicken passt damit nicht zusammen.» Vegetarische oder gesundheitsbewusste Restaurants haben seiner Meinung nach oft eine spezielle Atmosphäre: «Es ist still, man hört jede Gabel, und die Gäste können ihr Essen allein zelebrieren.» Rolf Hiltl will das Gegenteil. Er will, dass auch junge Leute vegetarisches Essen toll finden. Das Hiltl macht heute kecke Werbung, übernimmt das Catering bei Popkonzerten und hat seit ein paar Jahren selber einen Club, wo man bis zum frühen Morgen tanzen kann. «Vielleicht fände mein Urgrossvater das sogar selber cool, wenn er heute jung wäre.»

Deutschland im Visier

Mit diversen Hiltl-Take-aways in Zürich und mit dem Tibits, das Rolf Hiltl in Partnerschaft mit den Gebrüdern Frei betreibt, befindet er sich auch auf Expansionskurs. Heute existieren fünf Tibits in der Schweiz und eines in London. Gerne würde Rolf Hiltl einen Bogen zur Geschichte des eigenen Hauses schlagen und in Deutschland eine Filiale eröffnen. Anfragen gebe es genug. Nur, die richtige Stadt müsse mit Bedacht gewählt werden. Sie müsse von Zürich gut erreichbar und kosmopolitisch geprägt sein. Obwohl München an Ambrosius Hiltls bayrische Heimat anknüpfen würde, ist sich Rolf Hiltl nicht sicher: «Die Tradition von Oktoberfest und Schweinshax’n ist doch recht stark.» Vielleicht aber gebe es schon in wenigen Jahren ein Tibits in Frankfurt, sagt Hiltl, in einer internationalen Bankenstadt, ähnlich wie Zürich.

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