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Reportage

Blick über die Essensklappe in eine der Zellen: Im Gefängnis Zürich müssen gegenwärtig 149 Personen «gesiebte Luft atmen» (r.). Bild: SB

Hinter Gittern

Von: Sacha Beuth

12. Juli 2016

Wie sieht eigentlich der Alltag in einem Gefängnis aus? Das «Tagblatt» ging der Frage nach und besuchte das Untersuchungsgefängnis Zürich.

Mittwochmorgen beim Bezirksgebäude. Durch ein elektronisch gesichertes graues Tor betrete ich das Gefängnis Zürich. «Unser einziger Ein- und Ausgang. Hier müssen alle durch, auch die Angestellten», erklärt die stellver­tretende Leiterin Markéta Hora, die mich zusammen mit Markus Epple, dem Chef der Untersuchungsgefängnisse Zürich, empfängt. Anschliessend wird meine ID überprüft, und ich muss mein Handy in einem Schliessfach deponieren. «Sonst droht Gefahr, dass die Insassen mit der Aussenwelt Kontakt aufnehmen, um Untersuchungen gegen sie zu be- oder gar verhindern», so Epple. Auch Insassen zu fotografieren, ist aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht erlaubt.

Nun beginnt der Rundgang durch das hundertjährige Gebäude, in das auch die Staatsanwaltschaft eingebettet ist und dessen Fassade unter Denkmalschutz steht. Erste Station ist das Eintrittszimmer. Hierher bringen Polizisten unter der Woche jeweils am ­frühen Morgen Tatverdächtige. Diese müssen ihre Personalien angeben, ihre Effekten abgeben und werden fotografiert. Zudem erfolgt eine medizinische Abklärung. Anschliessend werden die Neueintritte vorübergehend in eine Einstellzelle gesperrt, dann gründlich gefilzt und über den Alltag und die Abläufe im Gefängnis aufgeklärt, ehe sie in ihre Zelle in der Abteilung Untersuchungshaft gebracht werden. Jede Zelle ist mit mindestens einer Pritsche, einem WC und einem TV-Gerät ausgerüstet. Und jede besitzt ein vergittertes Fenster. «Insgesamt stehen uns 132 Zellen für maximal 158 Gefangene zur Verfügung», erzählt Hora. «Gegenwärtig sind es 136 Männer und 13 Frauen aus 45 Nationen.» Es sei für den Betrieb darum äusserst hilfreich, dass ­viele der 48 Mitarbeitenden mehrere Sprachen sprechen würden.

Beschäftigung ist A und O

Der Gefängnisalltag verläuft sehr strukturiert. Um 7 Uhr stehen die ­Insassen auf und frühstücken, um 7.20 Uhr kommt der Aufseher vorbei und nimmt das dreckige Geschirr, den Abfall und die Post mit. Ab 8 Uhr ­beginnen blockweise die Spazier­gänge im Hof, und zwar jeweils für exakt 60  Minuten. Anschliessend dürfen die, die an der Reihe sind, duschen. «Immer zu viert und pro Person zweimal pro Woche», erläutert Hora. Die anderen Gefangenen müssen wieder auf ihre Zellen, verrichten Werkaufträge oder leisten Dienst in der betriebs­eigenen Küche, Bibliothek oder Wäscherei. «Wir versuchen, die Gefangenen so gut wie möglich zu beschäftigen. Das senkt sowohl das Aggressions- wie das Depressionspotenzial», sagt Hora. Um 11 Uhr wird das Mittagessen eingenommen. An diesem Tag gibt es Frühlingsrolle mit Reis und Salat – und schmeckt ganz gut, wie ein Selbstversuch ergibt.

Von 12 bis 13.10 Uhr haben die ­Angestellten Mittagspause, weshalb in dieser Zeit alle Insassen in ihrer Zelle sein müssen. Am Nachmittag werden die Arbeiten wieder aufgenommen und allfällige Termine beim Rechts­anwalt, Untersuchungsrichter oder Zahnarzt wahrgenommen. Um 16.30 Uhr wird das Abendessen verteilt, das alle Insassen in ihren Zellen einnehmen, die sie bis zum nächsten Morgen nicht wieder verlassen dürfen.

Der Rundgang ist zu Ende. Zeit, ­Bilanz zu ziehen. Die Zellen ent­sprechen den Zimmern von Budgethotels. Das Essen hat mindestens Schulkantinenniveau. Aber der Alltag ist enorm eintönig, man ist pro Tag nur eine Stunde an der frischen Luft, und die Hygiene ist durch die ein­geschränkten Duschmöglichkeiten nicht gerade optimal. Im Gefängnis zu sitzen, ist jedenfalls kein Zuckerschlecken. Und so antworte ich trotz der freundlichen Betreuung während der Besichtigung auf das «Auf Wiedersehen» von Hora und Epple mit «Lieber nicht».

Markus Epple, Chef der Untersuchungsgefängnisse Zürich, öffnet eine leere Zelle (l.). Bild: SB

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