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Reportage

Die Imkerin Anna Hochreutener betreut die Bienen auf dem VBZ-Dach. Bild: CLA

"Ich bin auch ein Bienenstock"

Von: Clarissa Rohrbach

06. August 2013

Die Verkehrsbetriebe (VBZ) beherbergen neu Bienen, die Zürcher Stadthonig erzeugen. Es sollen noch mehr werden, denn Zürich ist der ideale Ort zum Imkern.

Die VBZ haben 180 000 neue Mitarbeiter. Sie fliegen vom Dach an der Luggweg­strasse 65 aus, um den Nektar zu holen und ihn in der Wabe zu deponieren, bis daraus Honig wird. Bis zu 120 Kilogramm davon können die sechs Bienenvölker der VBZ erzeugen. Die Angestellten haben ihre neuen Kollegen auf dem Dach mit offenen Armen empfangen. «Wir haben im Vorfeld unsere Mitarbeiter informiert und sie aufgeklärt, dass Bienen nicht gefährlich sind, dann hatten sie Freude am Sommerprojekt», sagt Elina Fleischmann von der Unternehmenskommunikation. Denn Bienen würden nur stechen, wenn sie glaubten, das ganze Volk sei in Gefahr, danach sterben sie. Eine Selbstaufopferung für die Gemeinschaft quasi. Die wirkliche Gefahr seien die Wespen, die auch keine Hemmungen haben, auf den Teller zu krabbeln und ausserdem den Bienen den Honig stehlen. Seit das Projekt mit Wabe 3 vor drei Wochen umgesetzt wurde, interessiert sich auch Fleischmann brennend für die Bienen. Der Direktor habe das Projekt, ohne zu zögern, durchgewinkt. «Die VBZ wollen so zur Biodiversität der Stadt beitragen; wir sehen uns als nachhaltiger Betrieb.»

Hinter der Idee steckt Anna Hochreutener, die mit ihrem Partner Tom Scheuer Wabe 3 im Januar gegründet hat. Heute betreuen sie 35 Bienenvölker an acht Standorten, darunter auch das GZ Riesbach und das GZ Buchegg. Beide hatten bei ihren Eltern das Imkern gelernt, und als sie zusammenkamen, war klar: Sie wollten Zürcher Stadthonig produzieren. «Die Stadt ist besser als das Land für die Bienen, denn hier gibt es wegen der vielen Menschen und ihrer Balkone eine grössere Blütenvielfalt.» Und die Saison dauere länger, von März bis Oktober. Immer blüht in der Stadt irgendwas, im Frühling waren es die Kirschen, jetzt sind es die Linden. Zudem wird hier kein Pestizid gespritzt, dieses schwächt die Insekten. «Berlin hat Pionierarbeit im Stadtimkern geleistet, dann kamen London und New York, für Zürich ist es höchste Zeit», meint Hochreutener.

Sie steht auf dem Dach der VBZ, ihr Gesicht hinter dem Netz ihres Imkeranzugs, die Beine in hohen Stiefeln, denn die Bienen wandern gern die Hosen hoch. Schon rund 30-mal wurde die Imkerin gestochen, doch Angst hat sie nicht. «Man muss ruhig bleiben, Bienen spüren die Nervosität, deswegen spreche ich auch sanft mit ihnen.» Die 29-Jährige legt gerade ein kleines Feuer an aus Ästen und Tannenzapfen, die sie eigens im Wald gesammelt hat. Mit dem Rauch simuliert sie einen Waldbrand – eine Ablenkung für die Bienen. Denn diese glauben, sie müssten das Nest verlassen, und stürzen sich auf den Honig, um sich für die Flucht zu stärken. Während sie mit dem Hinterteil in der Luft sich vollsaugen, kann Hochreutener in aller Ruhe ihre Arbeit machen.

Alle neun Tage kontrolliert sie die Bienenstöcke in den sechs Kisten. Die Expertin schaut nach, ob die Insekten genug Platz haben und dass sich der Honig nicht mit den Eiern vermischt. Bis zu 3000 davon kann die Bienenkönigin an einem Tag legen. «Und dabei wurde sie nur beim Hochzeitsflug befruchtet.» Hochreutener erzählt fasziniert davon, wie sich die Königin allein auf den Weg zum Drohnensammelplatz macht, eine Art Dating-Ort, wo die Männchen warten. Bis zu acht von ihnen begatten die Königin gleichzeitig und sterben dabei sofort. Schaffen sie es in einer Saison nicht, zu begatten, werden sie vom Schwarm ausgestossen oder getötet.

Dann konzentriert sich Hochreutener aufs Wichtigste: Die Gesundheit der Bienen. Diese sind sehr anfällig auf die Varroamilbe, einen Parasiten. «Es ist, als hätten wir einen Fremdkörper in der Grösse eines Kaninchens auf dem Rücken, das uns aussaugt.» Zur Bekämpfung müssen die Bienen regelmässig mit Ameisen- und Milchsäure besprüht werden. Die Milben sind der Hauptgrund für das Bienensterben in der Schweiz, wo sich 2012 der Bestand halbierte. Ein ernsthaftes Problem – die Bienen sind verantwortlich für ein Drittel unserer Lebensmittel. Damit Bienen professionell geschützt werden, ist für Hochreutener ein Kurs unerlässlich – auch wenn eigentlich jeder imkern könne.

Sie hält jetzt einen Holzrahmen hoch, auf dem die Wabe mit Honig gefüllt und mit Wachs verdeckelt ist. Später wird sie den Deckel mit einem Heissluftföhn schmelzen und den Honig mit einer Schleuder ernten. Doch die Faszination für diese Arbeit sind für Hochreutener die Bienenvölker – jedes mit einer Königin und bis zu 50  000 Bienen. «Bienen sind keine Individuen, sie sind ein einziger Organismus. Und jedes Volk hat seinen Charakter, gutmütig oder aggressiv, faul oder fleissig.» Bis Ende 2014 wollen sie und ihr Partner 80 davon in der Stadt halten.

Hochreutener will noch weitere Betriebe wie die VBZ anschreiben und sie überzeugen, mitzumachen. Die Verkehrsbetriebe eignen sich aber besonders fürs Imkern. «Auf den flachen Dächern der Tramdepots gibt es keine Räuber wie Ratten und auch keinen Personenverkehr.» Falls der Testbetrieb sich diesen Sommer bewährt, will die VBZ nächstes Jahr Bienen auf weiteren Gebäuden halten. Dann gibts vielleicht bei Wabe 3 auch VBZ-Honig zum Kaufen. 

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Leserkommentare

manfred heppel - Sehr interessant und höchste Zeit, dass für die Bienen auch in unseren Städten etwas getan wird. Man kann nicht oft genug auf die Wichtigkeit der Bienen für unser tägliches Leben hinweisen.

Vor 11 Jahren 1 Monat  · 
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