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Reportage

Feuerhölle von Affoltern: Bei der Explosion mehrerer Zisternenwagen im März 1994 fielen Wohnhäuser den Flammen zum Opfer. 23 Menschen verloren ihr Hab und Gut.

"Ich dachte, jetzt fliegt alles in die Luft"

Von: Ginger Hebel

25. Februar 2014

Flammeninferno vor 20 Jahren: Am 8. März 1994 entgleiste im Bahnhof Affoltern ein Benzinzug. Fünf Zisternenwagen explodierten, drei Menschen wurden schwer verletzt. Berufsfeuerwehrmann Ruedi Walther war damals einer der Ersten am Unfallort.

«Die Flammen waren gigantisch, ich habe so ein Feuer noch nie gesehen», sagt Ruedi Walther. Er stand als Berufsfeuerwehrmann im Einsatz, als im Bahnhof Affoltern ein Benzinzug entgleiste und fünf Kesselwagen, randvoll mit Benzin gefüllt, explodierten. Innert Sekunden standen 400 000 Liter Brennstoff in Flammen. 120 Menschen aus den benachbarten Häusern wurden evakuiert, 23 verloren ihr Hab und Gut, es gab drei Schwerverletzte, wie durch ein Wunder aber keine Toten. Am 8. März jährt sich das Unglück zum 20. Mal.

Ruedi Walther, 58 Jahre alt, steht am Bahnsteig in Affoltern und lässt die Erinnerungen an das Zugunglück Revue passieren. Er erinnert sich an den Geruch des brennenden Benzins, an die Flammen, die bis 100 Meter hoch schlugen. Er sass im zweiten Löschfahrzeug, das den Unfallort erreichte. «Die Bahnschranke versperrte die Zufahrt, wir mussten sie mit einem Trennschleifer aufschneiden.» Vor Ort begannen sie aus einer Distanz von 30 bis 40 Metern das Feuer zu löschen, «die Hitze war extrem, wir konnten nicht näher ran». Allein mit Wasser liess sich das Flammenmeer nicht eindämmen, «wir hatten zu wenig Schaummittel, um den Brand zu bekämpfen, darum mussten Feuerwehrmänner von den umliegenden Gemeinden aushelfen», erzählt Walther. 150 bis 200 Personen standen damals im Einsatz, sie kühlten die unbeschädigten Tankkessel, um weitere Explosionen zu verhindern. «Das Schlimmste war das Geräusch der Überdruckventile in den Zisternenwagen. Sie haben stundenlang geheult und gepfiffen wie ein Horn, das ging einem durch Mark und Bein», erinnert er sich.

Der Benzinzug ist in Birsfelden mit dem Ziel Häggenschwil gestartet. Morgens um acht Uhr entgleiste er in Affoltern wegen «Materialermüdung» an einem Kesselwagen, wie sich später herausstellte. In den ersten fünf Minuten nach dem Unfall gingen bei der Feuerwehr 37 Notrufe ein. «Sie, der Bahnhof Affoltern brennt», schrie ein Augenzeuge in den Hörer. Wohl mancher Feuerwehrmann ist Feuer und Flamme, wenn es brennt, doch so ein verheerender Brand schüchtert selbst den abgebrühten Profi ein. «Es ist auf eine bestimmte Weise ein Kick, wenn man bei einem Grossbrand aufgeboten wird, aber bei diesem überwog die Angst.» Niemand konnte verhindern, dass Benzin in die Kanalisation floss und explodierte. «Es gab einen Riesenknall. Und ich sah, wie direkt neben mir ein gusseiserner Kanaldeckel in die Höhe schoss», erzählt Walther.

Das Adrenalin jagte durch seinen Körper, «ich dachte, jetzt fliegt alles in die Luft, wir werden von den Trümmern erschlagen. Dann bin ich losgerannt.» Filmmaterial von SRF zeigt, wie er und andere Feuerwehrleute nach der Explosion um ihr Leben rennen. Später kehrten sie zurück und löschten stundenlang weiter.

Sie hatten Glück im Unglück. Im Gebiet der Zehntenhausstrasse und in Unteraffoltern flogen mehrere Kanaldeckel in die Luft und rissen beim Aufprall Löcher in den Asphalt. Eine Reiterin wurde von den Trümmerteilen aus dem Regenklärbecken beim Katzenbach so schwer am Bein verletzt, dass ihr Unterschenkel amputiert werden musste, das Pferd wurde eingeschläfert.

Ruinen wie im Krieg

Unter Atemschutz kontrollierten die Feuerwehrleute die ausgebrannten Häuser nach vermissten Personen. «Die Häuser sahen aus wie nach einem Bombenanschlag, so etwas vergisst man nie. Zum Glück gab es keine Toten.» Feuerwehrmann war Ruedi Walthers Bubentraum, heute ist er Einsatzleiter bei der Berufsfeuerwehr von Schutz  & Rettung in der Wache Süd. Ein vergleichbares Flammeninferno hat er nie wieder erlebt. Ähnlich war nur noch der Grosseinsatz beim Tankwagenbrand an der Bullinger/Hardstrasse, dort konnten sie die umliegenden Häuser und die Kanalisation sichern.

«Die Anzahl Brände hat in den letzten Jahren abgenommen, auch dank den feuerpolizeilichen Vorschriften», sagt Walther. Von jährlich über 4000 Einsätzen ist bei rund 700 Feuer im Spiel. Er schaut sich die Fotos von damals an. Ihm fällt auf: «Wir trugen plastifizierte Feuerwehranzüge, manche hatten noch nicht einmal geeignete Schutzhosen. So was wäre heute unvorstellbar, die Ausrüstung ist viel besser geworden.»

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