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Reportage

Klein, aber oho: Waschbär im Zoo Köln. Bild: Sacha Beuth

Kleiner Räuber auf vier Pfoten erobert die Schweiz

Von: Sacha Beuth

30. Mai 2023

TIERLEBEN Einst zur Pelzgewinnung eingeführt, breiten sich die ursprünglich aus Nordamerika stammenden Waschbären von Deutschland aus immer mehr in Europa aus. Über kurz oder lang dürften sich die äusserst anpassungsfähigen Kleinraubtiere auch in der Region Zürich festsetzen.

Mit ihrem maskenähnlichen Gesicht, ihrem rundlichen Kopf und ihrem flink-forschen Auftreten erfreuen sich Waschbären bei den meisten Menschen grosser Beliebtheit. Allerdings können die kleinen Racker auch schnell zur Plage werden. Das ist nicht nur in nordamerikanischen Vorstädten bekannt, sondern seit einigen Jahren auch in Europa. Hier wurden die Tiere zu Schauzwecken, vor allem aber zur Pelzgewinnung in Gefangenschaft gehalten, bis sich im Jahr 1934 in Deutschland, genauer im hessischen Edersee, ein folgenschwerer Vorfall ereignete. Damals wies ein Gutsbesitzer seinen Forstmeister an, vier Waschbären freizulassen, um damit «die heimische Fauna zu bereichern». Dem Quartett gelang es, sich innert Kürze stark zu vermehren. 26 Jahre nach der Aussetzung betrug der Bestand über 600 Tiere, die sich immer weiter ausbreiteten und – unterstützt von Tieren, die in Brandenburg und in Nordfrankreich von Farmen entwichen oder ebenfalls ausgesetzt worden waren – bald halb Europa eroberten. 1976 wurde im Kanton Schaffhausen erstmals ein freilebender Waschbär in der Schweiz beobachtet. In den 1980er Jahren folgten Meldungen zu Sichtungen in Solothurn, Thurgau, Aargau, Bern und Zürich. Und 2018 wurde ein Waschbär sogar mitten in Zürich beim Opernhaus entdeckt.

Bestand höher als vermutet

Wie viele der putzigen Kerlchen tatsächlich bei uns leben, ist unbekannt. In Deutschland wird der Bestand mittlerweile auf etwa 500 000 Exemplare geschätzt, was aber eher zu tief gegriffen scheint angesichts der Tatsache, dass bei der Jagdsaison 2015/16 128 100 Exemplare zur Strecke gebracht wurden. Anhand der Sichtungen, den Bestand zu schätzen, ist ebenfalls schwierig, da Waschbären zumeist dämmerungs- und nachtaktiv sind.

Doch weshalb konnten sich die Waschbären in Europa überhaupt so schnell vermehren? Und warum ist das ein Problem? Nun, Ersteres hat verschiedene Gründe. Einerseits sind Waschbären Meister der Anpassung. Als Allesfresser reicht ihre Nahrungspalette von Früchten und Nüssen über Wirbellose bis zu Kleinsäugern und Vögeln. Selbst Aas und Speisereste des Menschen verschmähen sie nicht. Sie kommen in urbanen Gebieten ebenso zurecht wie in heissen, trockenen Halbwüsten, im Gebirge, in Prärien, bewaldeten, kalten Tundren und subtropischen Wäldern. Andererseits haben sie in Europa kaum potenzielle natürliche Feinde, denn Pumas gibt es hier keine und Wölfe, Braunbären und Luchse sind in Westeuropa nur in geringer Zahl vorhanden. Kommt hinzu, dass es sich ein Luchs oder einzelner Wolf zweimal überlegt, ob er sich mit einem furchtlosen, gelenkigen und mit spitzen Zähnen bewaffneten Gegner wie einem Waschbären anlegt. Jedenfalls bilden der Strassenverkehr und von Haustieren übertragene Krankheiten wie Staupe eine wesentlich grössere Gefahr für Procyon lotor, wie der Waschbär wissenschaftlich genannt wird.

Schaden strittig

Inwieweit seine Ausbreitung ein Problem für die einheimische Fauna und Flora ist, ist strittig. Einerseits ist der Waschbär ohne Zweifel eine invasive Art und in der Lage, zumindest lokale Bestände von Beutetieren zu eliminieren. Auch kommt es durch das Ausräumen von Mülltonnen, Plündern von Gärten und Eindringen in Häuser immer wieder zu Konflikten mit Menschen. Und er ist als Krankheitsüberträger berüchtigt. Andererseits gibt es auch Wissenschaftler, die bei ihren Forschungen keine negativen Effekte auf die Biodiversität eines von Waschbären besiedelten Gebietes festgestellt haben. Zudem würde eine Ausrottung einen hohen personellen und finanziellen Aufwand erfordern. Es scheint, als sei der Waschbär in die Schweiz gekommen, um zu bleiben.

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