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Reportage

Macht, Moral und Minestrone

Von: Jan Strobel

19. Februar 2013

Das «Tagblatt» besuchte eine katholische Messe in der Kirche St. Peter und Paul – und setzte sich mit dem Pfarrer zur Fastensuppe an den Tisch.

Im Gemeinschaftssaal der Pfarrei St. Peter und Paul löffelt Pfarrer René Berchtold bedächtig seine Fastensuppe, eine kräftige Minestrone, während er über die vorangegangene Predigt sinniert. Es waren mahnende und auch überaus politische Worte, die der Schaffhauser Gastprediger Jean-Louis Stoffel an die Zürcher Gemeinde richtete. Er sprach an diesem ersten Fastensonntag über Umkehr und die Hinkehr zu Gott, das Teilen der Ernte mit den Armen und Kranken, über den Propheten Joel, der die Machenschaften der Mächtigen gebrandmarkt hatte. Kurzum: Die Predigt drehte sich um Macht und Moral, und Jean-Louis Stoffel wurde schliesslich ganz konkret, indem er, in der Tradition jenes Joel, die «heutigen Lohnexzesse, die Auswüchse des Neoliberalismus» als ethisch verwerflich bezeichnete. Eine «Einsicht in die Falschheit» tue not.

Natürlich war das auf die bevorstehende Abstimmung zur Abzockerinitiative gemünzt, gewissermassen als Wahlempfehlung von der Kanzel aus. Markige Worte, die René Berchtold zusagen, weil sie den sozialen Auftrag der Kirche unterstreichen sollen, «gerade in der vorösterlichen Fastenzeit mit ihrem Gebot zum Verzicht». Martin Conrad vom Sozialdienst der Gemeinde, der sich dazugesetzt hat, pflichtet dem bei.

Aber selbstverständlich dreht sich das Gespräch am Tisch besonders auch um den Rücktritt Papst Benedikts. Bei der Messe hatte die Gemeinde dafür gebetet, dass sich die Kardinäle beim kommenden Konklave nicht in Machtkämpfe verstricken mögen und nach bestem Wissen und Gewissen einen neuen Papst wählen. Benedikt, ist man sich in der Pfarrei am Werdgässchen einig, habe den richtigen Schritt gewählt. «Er ist ein Ästhet, der eine jugendliche, vorwärtsgerichtete Kirche darstellen wollte und keine, die krank ist», meint Pfarrer René Berchtold, der in den 70er-Jahren einmal als Schweizergardist für die Sicherheit des Papstes, damals noch Pauls VI., kurzzeitig mitverantwortlich gewesen war.

An Besuchern mangelt es nicht
Für viele der 5000 Gemeindemitglieder der Pfarrei St. Peter und Paul sei allerdings die Papstwahl kein beherrschendes Thema, weiss René Berchtold. «Die Kirche war an der 11-Uhr-Messe überhaupt überraschend leer. Das muss wohl an den Ferien liegen.» Auch der Einladung zur Fastensuppe im Pfarrhaus ist heute nur eine Handvoll Gläubiger gefolgt. Für den Nichtkirchengänger überrascht vor allem René Berchtolds Überraschung, weil sie nicht zur üblichen Klage über leere Kirchenbänke passt. Auch nicht zu einem Zeitgeist, in dem in TV-Talk-Runden aktuell darüber diskutiert wird, wie viel Kirche wir eigentlich noch brauchen.

Tatsächlich mangelt es zumindest St. Peter und Paul, der ältesten der römisch-katholischen Kirchen in der Stadt, keineswegs an Messbesuchern. «An einem normalen Wochenende kommen etwa 1000  Besucher zusammen», sagt Martin Conrad. Besonders beliebt sei die Eucharistiefeier am Samstag um 16.30 Uhr. «Nach dem Shopping in der Innenstadt möchten dann viele noch ein bisschen Ruhe tanken.» Manche kämen auch extra für eine Messe aus den Agglomerationsgemeinden.

Eines wird an der sonntäglichen Messe allerdings auch deutlich: Das Durchschnittsalter der Gläubigen ist hoch, zumindest unter den Schweizern. Die jüngeren Kirchgänger, die sich an diesem Morgen für den Empfang des Leib Christi vor dem Altar anstellen, kommen aus Asien oder Lateinamerika. Vor allem wenn jeweils am Sonntagnachmittag die spanische Messe zelebriert werde, bestätigt Martin Conrad, sei das besonders augenfällig. «Dann ist die Kirche ­voller Familien. Das ist zum Beispiel auch bei den Koreanern so, die bei uns alle zwei Wochen ihre eigene Messe abhalten und danach im ­Pfarrhaus gemütlich beieinandersitzen.»

Mittlerweile haben die ersten Gäste ihre Minestrone ausgelöffelt und brechen bereits wieder auf. Auch wenn es nur wenige zum Fastenmahl geschafft haben, ist René Berchtold mit seinen Schäfchen zufrieden. Immerhin haben sie während der Messe bereitwillig für das Fastenopfer gespendet. Sie haben sich das Motto der aktuellen Kampagne, «Ohne Land kein Brot», zu Herzen genommen, die sich gegen Landraub und für das Recht auf Nahrung einsetzt. Und so hatte es schliesslich auch in Jean-Louis Stoffels Predigt geheissen: «Teilt eure Ernte.»

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