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Reportage

Als Türsteher muss man abgehärtet sein: Ahmad Reza Shahnazari (links) ist Türchef im Paddy Reilly’s, er arbeitet für Mohammad Grössbauers Sicherheitsdienst (rechts). Bilder: Nicolas Y. Aebi

Menschenkenner mit Muskeln

Von: Stine Wetzel

06. Februar 2018

Beschimpfungen und Handgreiflichkeiten: Partygänger können aggressiv werden, wenn sie nicht in den Club gelassen werden. Türsteher müssen da drüberstehen. Ein Stimmungsbild an der Clubtür.

Rassist, Frauenhasser, Vollmongo – Martin musste sich schon so ziemlich alle Beleidigungen anhören, die er sich vorstellen kann. «Arbeite ein paar Jahre als Türsteher und dich überrascht nichts mehr.» Samstagabend, kurz vor Mitternacht: Vor dem Club Bellevue, in der Freieck­gasse, bildet sich allmählich eine Schlange. Nicht jeder kommt rein. «Du gehst ja auch nicht in eine Pizzeria, wenn du schon eine Pizza gegessen hast.» – Martins Spruch, wenn einer schon zu viel intus hat. Die wenigsten sehen ein, dass sie besser nach Hause gehen sollten. Viele diskutieren, beleidigen, drohen.

Kürzlich stand eine junge Frau vor Gericht, die aus Rache Anzeige gegen einen Türsteher wegen Vergewaltigung erstattete, weil sie aufgrund zu viel Alkohols nicht in einen Zürcher Club reinkam. Ein Einzelfall. «Die hohe Professionalität der Türsteher wirkt sich positiv auf die Vorfälle aus», sagt Alexander Bücheli, Sprecher der Bar- und Club-Kommission Zürich (BCK). «Zürcher Türsteher werden selten angezeigt und sind selten in schwere Gewaltkonflikte involviert.»

Im Bellevue wäre ein Tätlichkeitsvorwurf aus dem Nichts haltlos: «Um Problemgäste kümmern wir uns stets zu zweit», sagt Martin – eine Absicherung für die Mitarbeiter. Seinen Nachnamen behält der 35-Jährige lieber für sich. «Nicht jeder Gast ist uns wohlgesinnt. Ich will zu Hause keinen ungebetenen Besuch bekommen.»

Martin kommt vor 17 Jahren zum Sicherheitsdienst, zufällig. Ein Kollege braucht jemanden, der bei einem Fussballspiel als Aufpasser aushilft. Es folgen Einsätze in Clubs. Im Bellevue arbeitet Martin seit fünf Jahren, seit der Club aufgegangen ist. Er ist Einsatzleiter. Je nach Veranstaltung sind sie zu zweit im Club unterwegs, ein weiterer Security steht an der Tür, plus ein «Door-Selector», der direkt vom Club angestellt ist und die Türpolitik durchsetzt: keine grossen Männergruppen, keine stark alkoholisierten Gäste. «Die Aufstellung funktioniert», sagt Martin. «So ziehen wir alle am gleichen Strang.» Er hat das schon anders erlebt: Clubbesitzer, die den Türstehern in den Rücken fallen und Leuten nachträglich doch noch Einlass gewähren.

«Eine Selektion gehört zum Nachtleben dazu», sagt Alexander Bücheli von der BCK. «Problemfälle sollten schon an der Tür erkannt und abgewiesen werden. Leider ist nicht immer allen Partygästen bewusst, dass die Türsteher für ihre Sicherheit da sind und die Funktion eines nächtlichen Schutzengels übernehmen.»

Wer könnte Probleme machen?

Ein Einsatz im Bellevue beginnt um 22 Uhr und endet morgens um 5, um 6, um 7 – je nachdem, wie lange die Party dauert. Man kennt die Gäste, viele sind Members. «Kassierer und Promis – man trifft hier alles.» Der Club: edel eingerichtet, schwarzes Holz, aber kein Schickimicki. Martin sitzt im Fumoir, nicht weil er raucht, sondern weil es hier ruhiger ist und man sich unterhalten kann. Heute ist er privat im Bellevue – soweit das überhaupt geht. «Einmal Sicherheitsdienst, immer Sicherheitsdienst.» Um diese Zeit würde er sonst durch den Club patrouillieren. «Früherkennung» nennt er das. Wer könnte Probleme machen, Streit anfangen? Je jünger das Publikum, desto mehr Probleme. «Man würde sich wundern, wenn man sieht, wie sich die sonst so adrette Bankangestellte im Ausgang aufführt.» Und wenn Vollmond ist, stellen sich die Sicherheitsleute besonders auf Stress ein. Dann heisst es vor allem: ein dickes Fell haben, wach sein, ruhig mit den Leuten reden. «Es bringt nichts, wenn man im Arm 1000 Watt hat und oben kein Licht brennt, sage ich immer.»

Wochentags arbeitet Martin auf dem Bau. «Im Nachtleben ist das Teilzeitpensum Usus», sagt Marcel Hirschi, der Chef. Er ist seit 25 Jahren im Sicherheitsdienst, hat Zeiten miterlebt, in denen schon mal ein Kollege an der Tür erschossen wurde. Vor sieben Jahren machte er sich mit seiner Sicherheitsfirma Security & Safety selbstständig – 30 Vollzeitmitarbeiter, 170 Teilzeitangestellte, zwischen 27.50 und 37.50 Franken Stundenlohn. Die Aufträge: von Objekt- und Revierschutz bis zu Gastro- und Eventsicherheit.

Weil eine kantonsübergreifende Regelung scheiterte, brauchen Sicherheitsunternehmen für verschiedene Kantone eine Bewilligung – müssig für einen wie Hirschi, der Mandate in vielen Kantonen hat. Im Kanton Zürich gab es bis anhin keine grossartigen Vorschriften. Doch am 1. Januar trat ein neues Gesetz in Kraft, das 2019 definitiv greift (siehe unten). Eine Regelung, die in Zürich gilt, ist lange überfällig, findet der 45-Jährige. «Aber einige kleine Clubs an der Langstrasse werden wohl den einen oder anderen Türsteher verlieren – das Gesetz ist nicht an das reale Nachtleben in Zürich angepasst», meint er. Laut einer internen Erhebung der BCK stellen 30 Prozent der Clubs ihre Türsteher selbst. «Erfahrungsgemäss sind die nicht geschult», so Hirschi. Hinzu kommt: Sobald einer einen Eintrag im Strafregister hat, ist er für den Sicherheitsdienst disqualifiziert. «Das Gesetz geht hier hart vor. Es müsste differenziert werden, ob einer Mist mit dem Auto gebaut hat oder gewalttätig wurde.»

Mit Baseballschläger attackiert

Das neue Gesetz könnte langfristig dem Image der Branche guttun. «Vielleicht checken die Leute dann, dass wir an den Türen keine Schläger sind», sagt Mohammad Grössbauer. «Die Tür ist heute die Visitenkarte eines Clubs.» 2012 hat der Schweizer mit persischen Wurzeln die Alpha Team Protection GmbH (ATP Security) für Personen- und Objektschutz gegründet und sich im Nachtleben spezialisiert. Sein Sicherheitsdienst ist genauso wie Hirschis Firma Mitglied des Verbands Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungsunternehmen. Seriosität — und andere davon zu überzeugen – ist das Gebot der Stunde.

Der 40-Jährige stand «bei fast allen Clubs in Zürich» mal an der Tür, sagt er. Die Szene kenne ihn. Das habe ihm geholfen, sich mit ATP Security zu etablieren. Seine Kunden: Kosmos, Schiffbau, Paddy Reilly’s. Zum Beispiel. Vor dem Irish Pub Paddy Reilly’s an der Talstrasse steht Ahmad Reza Shahnazari, sein erster Mitarbeiter. Beide kennen sich noch aus dem K5. «Da war die Polizei Dauergast, weil es jede Woche Schlägereien gab», sagt der 56-Jährige. Fast 20 Jahre sind die beiden dabei. Für Shahnazari ist es ein Nebenjob, eigentlich ist er Teppichexperte in einem Möbelhaus. «Mit der Zeit wird man im Club ein guter Analytiker. Ich kann in wenigen Sekunden abschätzen, wie eine Person drauf ist.»

Wenn er seinen Dienst als Einsatzleiter anfängt, gibts ein Hallo mit Küsschen vom Personal. Die Securitys drehen im Pub ihre Runden, an der Tür stehen zwei bis drei. Es sind vor allem Expats und Stammgäste, die im Irish Pub erst ihr Bier trinken, später tanzen. Shahnazari kennt sie alle. Die, die einsam und allein sind. Die, die sich zu Hause langweilen. Die, die auf der Suche nach einem Partner sind. Solche, die einfach Spass mit Kollegen haben wollen. Die, die sich nicht mehr spüren, wenn sie zu viel getrunken haben. «Die Anonymität der Nacht erlaubt den Leuten Dinge, die sie am Tag nie tun würden.» Grössbauer nickt. «Im Nachtleben sieht man Dinge . . . Ich habe mal erlebt, wie ein Mann eine halb nackte, bewusstlose Frau aus einem Club geschultert hat und mit nach Hause nehmen wollte. Ich habe ihn aufgehalten und der Frau geholfen.» – «Sex auf dem WC ist auch immer ein Thema», sagt Shahnazari, «das gibt eine Verwarnung.» Grössbauer nickt wieder: «Wir sorgen dafür, dass der Betrieb im Club nicht gestört wird, und jeden Einzelnen schützen wir natürlich auch – oft auch vor sich selbst.» Sie sind die, die einen kühlen Kopf bewahren, wenn der Rest heiss läuft.

«Wir sind nicht einfach nur gross und kräftig», sagt Shahnazari. Aber: Er sieht kräftig aus, sehr kräftig. «Ich liebe Sport», sagt er und lacht, «aber die Kraft der Worte ist besser.» Bevor Shahnazari zu Paddy Reilly’s kam, wurde er mal an einer Tür mit einem Baseballschläger attackiert. Die Platzwunde am Kopf musste genäht werden. «Das ist kein Alltag, aber aussergewöhnlich ist es auch nicht.» Die Securitys sind unbewaffnet, abgesehen vom Pfefferspray, der in der Uniform versteckt ist. «Alles Sichtbare würde Aggressive nur aufstacheln», sagt Grössbauer.

Manche Nächte können verrückt werden. «Betrunkene sind eine Welt für sich», so Shahnazari. Viele lassen sich nicht wegschicken. «Wir hatten letztens einen Fall, da kam eine Frau total fertig und mit verschmiertem Make-up an die Tür. Nachdem sie uns aufs Böseste beschimpft und uns wegen Diskriminierung mit einer Anzeige gedroht hatte, fing sie an zu weinen, und wir setzten sie ins Taxi – ein Klassiker.» Shahnazari trinkt keinen Alkohol, mit Suff kann er nichts anfangen. «Wenn es andere machen, stört es mich nicht – solange sie ihre Grenzen kennen.»

Am Morgen gibts eine Sitzung im Hof: Wie war die Nacht? Einmal erwischten sie einen alten Herrn, der am Stock eine Kamera montiert hatte und damit unter die Röcke filmen wollte. In den meisten Nächten: Stress, aber das Übliche.

Für private Sicherheitsfirmen hat sich im Kanton Zürich einiges geändert: Sie brauchen dem 1. Januar eine Betriebsbewilligung. Ausserdem wurden Vorschriften für Türsteher und Security-Mitarbeiter eingeführt: Wer vorbestraft ist, darf den Job nicht mehr ausüben. Zudem sind eine Ausbildung und regelmässige Weiterbildungen für das Sicherheitspersonal Pflicht. Zuvor gab es kaum Vorschriften für Türsteher und Security-Mitarbeiter im Kanton Zürich. Eigentlich versuchte die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren ein Konkordat durchzusetzen, mit dem in allen Kantonen gleiche Anforderungen an Sicherheitsfirmen gestellt würden. Zustande kam es jedoch nicht, weil sich zu viele Kantone dagegen sperrten: Zu starr sei das Konkordat. Für das neue Gesetz im Kanton Zürich wird eine Übergangsfrist gewährt: Die Bewilligungspflicht ist ab dem 1. Januar 2019 verbindlich.

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