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Reportage

Ein Stück Land in der Stadt: Letzten Samstag bewunderten die Zürcher über 100 Kühe. Bild: CLA

"Mit den Kühen ist es wie mit den Frauen"

Von: Clarissa Rohrbach

30. September 2014

Zürich ist um eine Schönheit reicher: Letzten Samstag wurde an der Viehschau die «Miss Albisrieden» gekürt. Städter staunten über die prallen Euter und die unzimperlichen Bauern.

Karl Häcki runzelt die Stirn. Dann bückt er sich und schaut der Kuh Regine zwischen die Beine. Der Schauexperte mit Schnauz und kariertem Hemd ist der Star an der Viehschau Albisrieden. Neben den Kühen natürlich. An diesem Samstag scheint die Herbstsonne, Kinder stehen dicht am Kreis aus Heu­ballen, wo Bauern aus der Region ihre schönsten Kühe promenieren, während Häcki sie beurteilt. «Die Erstplatzierte ist diese hier. Sie weist keine Fehler auf. Und ihr Euter ist wunderbar straff.» Trotz Mikrofon sind die «Muuuuhs» nicht zu überhören, die von der Albis­riederstrasse herkommen. Dort stehen rund 100 Kühe aufgereiht und warten auf ihren Auftritt. Die Zürcher wähnen sich in einem Dorf, die Stadt ist heute zum Land geworden.


«Die Viehschau findet seit über 100 Jahren in Albisrieden statt», erklärt Häcki. Früher habe sie als wichtiger Anlass gegolten, um die Zuchtvorschriften festzuhalten und den Wert der Kühe festzulegen. Heute verlasse sich die Zuchtgenossenschaft mehrheitlich auf Gentechnologie. Die vom städtischen Juchhof organisierte Viehschau feiert nunmehr eine Tradition. Der Experte bewertet Höhe und Länge der Kuh, ihre Beinstellung und ihr Euter. Dabei geht es eigentlich nicht um Schönheit, sondern darum, wie viel eine Kuh leistet. Denn: Eine korrekte Haltung garantiere weniger Unfälle, ein gerader Rücken mehr Fruchtbarkeit, ein straffes Euter mehr Milch, erklärt Häcki. Je nach Leistung koste eine Kuh zwischen 3000 und 5000 Franken.


Die Braun- und Fleckviehrassen sind nach Laktationsperiode aufgeteilt, der Zeitraum nach der Geburt, in der eine Kuh Milch gibt. Befindet sich eine Kuh in der 5. Laktationsphase, hat sie ihr fünftes Kalb geboren und  sehr wahrscheinlich einen abgenutzteren Körper als eine zweifache Mutter. Deswegen treten die jungen Tiere getrennt von den älteren auf. Es gibt auch die Kategorie «Dauerleistungskühe». Das Aufnahmekriterium: In acht Jahren und drei Monaten muss die Kuh acht Kälber geboren haben.


«Die Zitzen sind perfekt verteilt»
Und weiter gehts mit der nächsten Runde Kühe. Damit diese rasiert, gestriegelt und pünktlich um 9 Uhr in Albisrieden stehen, haben die rund zehn Bauern über Nacht gearbeitet. Sie ­haben die Kühe um 2 Uhr gemolken, sodass das Euter jetzt voll und schön prall ist. Die Landwirte kommen aus Dietikon, Birmensdorf oder wie Häcki aus Hausen am Albis. Der Experte begutachtet nun die neuen Exemplare. «Diese hier hat zwar einen feinen Knochenbau. Aber die Gewinnerin ist diese hier. Ihre Zitzen sind perfekt verteilt.» Die Kuh wird mit einer Nummer eins beschriftet und an einem Strick weggezogen. Das scheint sie nicht besonders zu mögen, denn sie bockt und schlägt mit den Hufen an die Heuballen. «Achtung! Alle Kinder zurück bitte! Kühe können störrisch sein», heisst es aus dem Lautsprecher.


Danach ruft Häcki zum Klatschen auf. «Diese hat ihr 13. Kalb geboren und sieht noch so schön aus. Das ist so selten, dass sie einen Applaus verdient.» Unter dem Schatten eines Baumes quittieren zwei Frauen mit ­einem halben Dutzend Kinder den Kommentar mit einem Witz: «Wir sind in der 3. Laktation und halt nicht mehr so schön.» Dann erklären sie den Kleinen, dass jede Kuh einen Charakter hat. Die Viehschau ist für die Städter in erster Linie ein Kulturanlass. Seit 27 Jahren lädt der Quartierverein dafür auch Alphornbläser, Jodlergruppen, Schwingervereine und Bauern ein, welche Käse, Honig und Schnaps verkaufen. Für die Zürcher ist die Viehschau Folklore, für die Landwirte Werbung.


Zum Schluss kürt Häcki die Miss Albisrieden. Stadtrat Filippo Leutenegger legt ihr als Preis die begehrte Glocke um den Hals und fragt den Experten, wie er sein Urteil gefällt habe. «Mit den Kühen ist es wie mit den Frauen. Die eine spricht einen mehr an, die andere weniger. In Regine habe ich mich verliebt. Sie hat ein breites, perfektes Becken, so wie es sein muss.» Danach wird Regine abgeführt und wieder am Strassenrand angebunden. Ihr Muhen erregt das Mitleid ­einer älteren Dame, die sie streichelt und ihr zuflüstert: «Nicht weinen, wir bewundern dich doch. Jetzt darfst du nach Hause.» Die Kuh uriniert.

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