Reportage
Mit Handschellen an Heizung gekettet
Von: Isabella Seemann
JUSTIZALLTAG Die Geliebte gab ihm den Laufpass, was der Sizilianer jedoch trotz Kontaktverbot ignorierte. Auch die erstinstanzliche Verurteilung wegen Freiheitsberaubung lässt er sich nicht gefallen und legt Berufung ein.
Was am 57-jährigen Salvatore G.* eine Frau die Vernunft verlieren lässt, kann man nur vermuten. Ein weltgewandter Charmeur ist er nicht, Bildung hat er keine, Geld besass er nie. Auch das Aussehen des gebürtigen Sizilianers ist so gewöhnlich wie ein Sandkorn am Strand. Gleichwohl liess sich Francesca auf eine langjährige Affäre mit dem Ehemann ihrer besten Freundin ein. Bis sie ihn vor die klassische Wahl stellte: «Entweder sie oder ich.» Er wollte auf keine verzichten. Sie aber meinte es ernst und stellte ihn vor die Tür. Salvatore liess sie nicht los. Buchstäblich. Er verfolgte sie trotz Kontaktverbot auf dem Nachhauseweg von der Arbeit, fing sie vor ihrer Haustür ab, drängte sich in ihre Wohnung und fesselte sie mit Handschellen ans Heizungsrohr.
Wie Romeo und Julia
«Ich wollte doch nur mit ihr reden», klärt Salvatore das Missverständnis auf. Er redete von Romeo und Julia, was Francesca in Todesangst versetzte – denn bekanntlich kam keiner lebend aus dieser Tragödie heraus. Weil der Wunsch nach Fortsetzung der Beziehung nicht auf Gegenseitigkeit beruhte, wurde Salvatore erstinstanzlich wegen Freiheitsberaubung, Nötigung, Drohung und einigem mehr zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 10 Monaten sowie einer Busse von 900 Franken verurteilt.
Salvatore will aber weder die Busse bezahlen noch die Genugtuung von 3000 Franken, noch die Prozessentschädigung an seine Angebetete und legt Berufung ein. Francesca habe ihn zuerst geschlagen, heischt er um Verständnis vor Obergericht, also musste er sie ans Heizungsrohr im Badezimmer fesseln, aber nur zwei Minuten. Sizilianer seien nun mal spontan, er sei vom Bauch gesteuert, dahinter steckte kein Plan. Wieso er denn mit Handschellen zu Frau Francesca gegangen sei, will der Richter wissen. «Das sind Sextoys, von denen haben wir mehrere», antwortet Salvatore in Italo-Schweizerdeutsch. Ob er drohte, sie und sich selbst umzubringen, damit sie beide tot seien wie Julia und Romeo, fragt der Richter. «Nein», verteidigt sich Salvatore, «ich wollte ihr nur sagen, dass unsere Liebe ebenso gross ist wie die grösste Liebe aller Zeiten.» Mittlerweile ist der arbeitslose und ausgesteuerte Magaziner zu seiner Ehefrau zurückgekehrt. «Sie ist meine grosse Liebe – heute begreife ich das.»
Der Verteidiger lässt in seinem einstündigen Plädoyer nochmals die Liebesgeschichten seines Mandanten Revue passieren. «Es geht im Kern um ein Beziehungsproblem», erklärt er und fragt bedeutungsschwanger, «ob das Strafrecht tatsächlich das richtige Mittel sei, dieses zu lösen». Schliesslich – nun dreht er den Spiess um – habe Frau Francesca seinen Mandanten manipuliert und ihn in eine Falle gelockt, um ihn zu ruinieren. Es frage sich, ob nicht beide gleichermassen voneinander besessen seien.
Der Anwalt des Opfers bemerkt trocken, er sei froh, müsse sich Frau Francesca diese Täter-Opfer-Umkehr nicht anhören. Herr Salvatore zeige keinerlei Reue und benehme sich nach wie vor obsessiv. Weshalb sonst wolle er, dass das Kontaktverbot aufgehoben werde? Seine Mandantin sei traumatisiert und seit dem Vorfall arbeitsunfähig.
Das Gericht hat keine Zweifel, dass in der Romeo-und-Julia-Geschichte eine Drohung mitschwang. Freiheitsberaubung sei keine Bagatelle. Es wandelt die bedingte Freiheitsstrafe allerdings in eine bedingte Geldstrafe um, senkt die Busse und hebt das Kontaktverbot auf. Die Handschellen werden eingezogen und vernichtet. «Lassen Sie sich nicht mehr auf amouröse Verwicklungen ein», rät der Richter nach der Urteilsverkündung. «Nein, nie mehr», verspricht Salvatore, «meine Frau hat mir eine letzte Chance gegeben.»
* persönliche Angaben geändert
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Leserkommentare
Julia Romeo - Einfach nur peinlich...