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Reportage

Das Team der Kleintierpraxis Mühlebach mit Redaktor Sacha Beuth und Hund Max. Bild: Nicolas Y. Aebi

Nothilfe für Fellträger

Von: Sacha Beuth

18. September 2018

AM PULS In der Kleintierpraxis Mühlebach kümmert sich Christine Kuhn mit ihrem Team um kranke und verletzte Hunde sowie Katzen. Nicht alle Vierbeiner zeigen sich dabei kooperativ – einer jedoch freut sich sogar auf den Praxisbesuch.

Die vier ausgerissenen Krallen schmerzen Gino, so viel ist klar. Klar ist aber auch, dass er keine grosse Lust verspürt, eine tiermedizinische Behandlung über sich ergehen zu lassen. Immer wenn Simona Meier versucht, den Katheter anzusetzen, windet sich der Kater aus ihren Armen. «Der ist wendiger, als ich dachte. Und beissen tut er auch», meint die angehende Tiermedizinische Praxisassistentin. «Könnt ihr mir bitte kurz helfen?» Kollegin Fabienne Gassner und Christine Kuhn, Veterinärin und Leiterin der Kleintierpraxis Mühlebach, sind sofort zur Stelle. Während Meier und Gassner den zappeligen Patienten fixieren, kann Kuhn den Venenkatheter setzen. «Noch einen Augenblick, Gino, wir haben es gleich», versucht die Veterinärin das Tier zu beruhigen. Ein halb lautes Mauzen erklingt, dann fliesst schon das Narkosemittel.

Während Meier nun die Pfote eines Hinterlaufs rasiert, um die verletzte Stelle freizulegen, wäscht und desinfiziert sich Kuhn die Hände und wendet sich schon den nächsten Patienten zu. Wieder sind es Katzen, die Geschwister Flämli und Lulu. Die Besitzer Theresia und Roberto Crameri haben sie aus einem Tierheim geholt, wo sie sich offenbar etwas aufgelesen haben müssen. Beide niesen, und bei Lulus rechtem Auge diagnostiziert Kuhn zudem eine starke Bindehautentzündung. Die Veterinärin setzt Lulu auf eine Waage, fragt nach dem Appetit der Katze und tastet schliesslich ihren Bauch ab. Dann zeigt sie den Crameris, wie man das Tier festhält, um ihm Augensalbe zu verabreichen, und spült dann Lulus Ohren mit einer desinfizierenden Flüssigkeit. Das Tier hält brav still, erhält zur Belohnung ein Leckerli und darf dann im Behandlungsraum etwas herumtigern. Währenddessen kommt ihr Bruder an die Reihe. Der wiederum sperrt sich gegen eine Behandlung. Auch Leckerli zur Ablenkung funktionieren nicht. Als ihn Kuhn jedoch in ein Handtuch wickelt, ist sein Widerstand gebrochen, und empört miauend lässt er über sich die gleiche Prozedur ergehen, wie sie seine Schwester schon erlebte. «Zum Glück sind Katzen in diesem jungen Alter meist nicht nachtragend. Bei älteren Exemplaren ist das in der Regel anders. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb sind alte, verschrobene Katzen meine liebsten Patienten», schmunzelt Kuhn. Auch Flämli darf noch etwas durch die Räumlichkeit streifen, ehe er und Lulu wieder ins Transportkistchen gehoben werden und Herrchen und Tierchen von Kuhn zum Ausgang begleitet und verabschiedet werden.

Kuhn desinfiziert kurz den Behandlungstisch, wäscht sich erneut die Hände («Hygiene hat in diesem Job hohe Priorität») und wechselt dann ins zweite Behandlungszimmer, um sich wieder um Gino zu kümmern. Dem hat Gassner inzwischen eine kaum drei Millimeter grosse Scherbe aus dem verletzten Hinterlauf gezogen. Kuhn kontrolliert kurz die Wunde und lässt sie desinfizieren. «Warum kommt da keine Wundsalbe auf die Verletzung?», wundert sich der Reporter. «Weil Gino sie umgehend abschlecken würde. Aber keine Sorge. Katzen haben die viel besseren Heilkräfte als wir. Das ist bald wieder verheilt. Ausserdem werde ich den Besitzern empfehlen, Gino Fussbäder zu verabreichen, und gebe ihnen einen Sirup mit, der die Schmerzen lindert», sagt Kuhn und spritzt dem schlafenden Kater ein Aufwachmittel. Keine Minute später öffnet das Tier schon wieder seine Augen, ist allerdings noch etwas groggy und wird in eine Aufwachbox gebracht, die sich direkt hinter den Empfangstresen befindet.

"Schönes Gefühl, wenn man Tieren helfen kann"

Seit sie 2012 die Räumlichkeiten von ihrer Vorgängerin übernommen hat, leitet Christine Kuhn mit ihrem achtköpfigen Team die Kleintierpraxis Mühlebach nahe des Kreuzplatzes. Inzwischen beläuft sich ihr Kundenstamm auf rund 3000 Haustiere, zumeist Hunde und Katzen, aber auch Nagetiere und Kaninchen. Die Mehrzahl von Herrchen und Schützlingen stammt aus dem Quartier. «Und weil jedes Tier – und auch jeder Besitzer – anders tickt, ist auch die Arbeit immer sehr abwechslungsreich. Ausserdem ist es ein schönes Gefühl, wenn man Tieren helfen kann. Kommt hinzu, dass mich ein tolles Team unterstützt. Darum liebe ich meinen Beruf». Dass die Arbeitszeiten dabei deutlich länger sind als bei einem herkömmlichen Bürojob und dass man von seinen Patienten hin und wieder gekratzt oder sogar gebissen wird, nimmt Kuhn klaglos in Kauf. «Das gehört dazu. Wer sich daran stört, muss sich einen anderen Beruf suchen. Tierarzt macht man aus Leidenschaft». Mitarbeiterin Gassner hat die Aussage gehört und nickt zustimmend. «Diese Leidenschaft hat auch mich gepackt. Schon als Kind wollte ich Tierärztin werden. Weil ich aber nicht ins Gymnasium bin, habe ich eine Lehre als Tiermedizinische Praxisassistentin absolviert, da ich unbedingt mit Tieren zu tun haben wollte. Das Ziel habe ich aber nie aus den Augen verloren, und nun hole ich berufsbegleitend die Matura nach, um anschliessend doch noch Veterinärmedizin zu studieren.»

In der Praxis geben sich die Herrchen und Frauchen mit ihren Schützlingen derweil die Klinke in die Hand. Rund zwei Dutzend vierbeinige Patienten werden an diesem Tag behandelt. Und kurz vor Arbeitsschluss taucht auch noch der Liebling des Teams auf: Max, ein 14-jähriger Mischlingshund. Vor Freude mit dem Schwanz wedelnd, springt er von einem Praxismitglied zum anderen und lässt sich dabei ausgiebig streicheln und kraulen. «Er liebt die Besuche in der Praxis und verbindet sie offenbar nur mit positiven Dingen, obwohl er hier schon mehrmals operiert werden musste», erzählt Besitzerin Monika Kellenberger. «Es geht sogar so weit, dass ich bei Spaziergängen mit ihm die Praxis weitläufig umgehen muss, sonst zieht er mich mit aller Kraft zu deren Eingang.» «Das schönste Kompliment, dass ein Tierarzt kriegen kann», lächelt Kuhn, während sie Max zum Abschied noch mit einem Leckerli versorgt. 

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