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Reportage

Über 28 '500 Gegenstände landen jährlich im Fundbüro Zürich. Ein Klassiker sind Schlüssel. Daniela Baldauf leitet das Büro seit bald 30 Jahren. (Bild: Werner Schüepp)

Ort der letzten Hoffnung

Von: Werner Schüepp

09. Februar 2021

Das städtische Fundbüro ist der Ort, an dem sich Glückspilze und Pechvögel die Klinke in die Hand geben. Ob Smartphone, Brillen, Jacken oder Gebiss, Daniela Baldauf und ihr Team sorgen dafür, dass Verlorenes wieder den Besitzer findet. 

Die Hoffnung stirbt zuletzt, heisst ein Sprichwort, und wenn diese Redewendung eine Adresse hätte, wäre es die Werdmühlestrasse 10. Dort befindet sich das von der Stadt und den Verkehrsbetrieben (VBZ) gemeinsam betriebene Fundbüro Zürich. Die erste Anlaufstelle für alle Glückspilze und Pechvögel, die sich hier die Klinke in die Hand geben, in der Hoffnung, ihren verlorenen Gegenstand ausgehändigt zu bekommen.

Daniela Baldauf, seit 29 Jahren Leiterin dieser Fundstelle, öffnet eine hölzerne Schublade. «Hier liegen Portemonnaies, mit und ohne Inhalt, die alle darauf warten, von den Besitzern abgeholt zu werden.» In einem weiteren Schubfach liegen säuberlich verpackt diverse Gebisse. Wer verliert denn um Himmels willen seine dritten Zähne? Die 58-Jährige lacht: «Verloren gehen kann alles. Ich habe fast alles an Fundgegenständen gesehen, diesbezüglich wundert mich nichts mehr.»

Wie gute Feen

Ob Uhren, Schlüssel, Taschen, Brillen, Rucksäcke, Schals, Handschuhe, Jacken und Smartphones; geht etwas verloren, ist der Frust gross. Neben dem materiellen Verlust ist es häufig die emotionale Bindung an den Gegenstand, welche die Menschen ins Fundbüro treibt, der Ort der letzten Hoffnung. Daniela Baldauf weiss: «Verloren ist nicht gleich verloren.» Im vergangenen Jahr landeten über 28' 500 Gegenstände im Fundbüro, durchschnittlich 70 bis 100 Fundstücke pro Tag. Ungefähr die Hälfte davon wird von den Besitzern abgeholt. Der Rest, Fundsachen von öffentlichem Grund, wird öffentlich versteigert, während die VBZ-Fundsachen an Fundsachenverkauf.ch gehen. Die Corona-Krise hat allerdings auch im Fundbüro Spuren hinterlassen: Im vergangenen Jahr sind die Fundsachen um ungefähr einen Drittel zurückgegangen. Homeoffice und die Aufforderung, wenn immer möglich zu Hause zu bleiben, sind die Antworten auf die sinkenden Zahlen.

Das städtische Fundbüro ist für viele Menschen so etwas wie eine Anlaufstelle des Glücks. Wer etwas abholen kann, was er verloren und verzweifelt gesucht hat, der reagiert oft mit Emotionen. Baldauf: «Natürlich ist die Freude gross, wenn jemand seinen geliebten Gegenstand bei uns abholen kann.»
Die Leiterin überlegt nicht lange auf die Frage, welche speziellen Momente ihr in Erinnerung geblieben sind. Da gab es den jungen Mann, von Beruf Musiker, der seine Trompete in einem Tram liegen gelassen hatte und todunglücklich war, weil er keine Musik mehr spielen konnte. «Als er sein Instrument bei uns abholte, spielte er zur Freude vor uns spontan ein Ständchen, dermassen gross war seine Erleichterung über die wiederaufgetauchte Trompete», erzählt Baldauf. Ab und zu komme es vor, dass Leute im Verkaufsraum auf die Knie sinken und laut zu beten beginnen, während die Angestellten im Hintergrund sich auf die Suche nach dem verlorenen Gegenstand machen.

Rührend war die Reaktion einer älteren Frau, die überglücklich ihren verlorenen Gegenstand in Empfang nahm. Einige Stunden später tauchte sie wieder im Fundbüro auf und brachte einen selbstgebackenen Kuchen für die Kaffeepause mit. «In solchen Fällen fühlen wir uns ein bisschen wie gute Feen», sagt Baldauf. In Erinnerung geblieben ist ihr auch eine Teenagerin, die vor Freude über ihr wiedergefundenes Handy jubelnd aus dem Fundbüro stürzte und draussen auf dem Trottoir einen Freudentanz aufführte.

Alles seine Ordnung

Daniela Baldauf liebt ihren Job – auch nach bald 30 Jahren. «Ich war schon als Kind neugierig, und in meinem Beruf kann ich diese Neugierde ohne schlechtes Gewissen ausleben», sagt sie. Zusammen mit ihrem siebenköpfigen Team legt sie grossen Wert darauf, dass alles seine Ordnung hat. Alle Gegenstände, die im Fundbüro abgegeben werden, sind etikettiert und elektronisch erfasst, hängen, stehen oder liegen im Lager.

Ein Finder kann die abgegebene Ware frühestens in drei Monaten und spätestens nach einem Jahr abholen. Dass die Hälfte der Gegenstände an die Besitzer zurückgeht, sieht die Fundbüro-Leiterin als positives Zeichen. «Die Zürcherinnen und Zürcher sind mehrheitlich ehrliche Menschen. Wir bekommen immer wieder Portemonnaies, in de-nen das Geld noch drin ist» sagt sie.

Nachdenklicher stimmt es Daniela Baldauf hingegen, dass es durchaus vorkommt, dass Geldbörsen mit mehreren hundert Franken nicht mehr abgeholt werden, auch wenn die Besitzer längst ausfindig gemacht wurden.

 

Persönlicher Glücksmoment von Daniela Baldauf, Leiterin Fundbüro Zürich

Ein junger Mann war ganz aufgeregt, weil er seinen dringlichst benötigten Laptop im Tram liegenlassen hat. Einige Telefonate später, und der Laptop wurde bei uns angeliefert. Der junge Mann war happy, ich auch und ich erhielt noch einen wunderschönen Blumenstrauss.

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