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Reportage

Im Carlton Restaurant & Bar haben junge Frauen das Sagen. Flavia Jung (ganz links) und Valentina Andräs (ganz rechts) führen den Betrieb gemeinsam. Küchenchef Philipp Heering (l.) erkochte für das Carlton 14 Gault-Millau-Punkte. Evans Walter arbeitet im Unterhalt für die Segmüller Collection. In der Mitte: «Tagblatt»-Redaktorin Ginger Hebel. Bild: Nicolas Zonvi, Illustration: Beni Merk

Startschuss fürs Carlton

Von: Ginger Hebel

11. Mai 2020

Neustart: Seit Montag dürfen Wirte und Barbetreiber wieder Gäste empfangen. Redaktorin Ginger Hebel traf für die Serie «Am Puls» die motivierte, aufgestellte Crew des Traditionsrestaurants Carlton an der Zürcher Bahnhofstrasse. Hier steht der Optimismus im Vordergrund. 

Es ist eine aufregende Woche für die Zürcher Gastrobranche. Seit Montag sind viele Lokale wieder geöffnet, wenn auch mit Schutzkonzepten und teilweise angepassten Öffnungszeiten sowie verkleinerten Speisekarten. Im Carlton Restaurant an der Bahnhofstrasse 41 darf das Team 50 Gäste empfangen, in der Bar sind 27 Personen erlaubt, damit die Abstände genau eingehalten werden können. Das sind rund 40 Prozent der Plätze, die normalerweise zur Verfügung stehen. Die Freude, im Team wieder etwas bewegen zu können, ist gross. «Wir freuen uns, unsere Gäste wieder mit unserer Leidenschaft und Genusserlebnissen verwöhnen zu dürfen», sagen Flavia Jung (27) und Valentina Andräs (34). Die jungen Frauen leiten das Carlton gemeinsam. «Konkurrenzdenken liegt uns fern. Aus meiner Sicht funktioniert es unter Frauen sehr gut», sagt Geschäftsführerin Flavia Jung. Sie spricht schnell, lächelt viel, «der Job macht mir Spass».

Seit 1999 wird das Carlton erstmals von zwei Frauen geführt, zuvor hatte das Besitzerehepaar Markus und Daniela Segmüller das Sagen, die beiden zogen sich jedoch kontinuierlich aus dem operativen Geschäft zurück. «Ich führe den Betrieb, als wenn es mein eigener wäre», sagt Flavia Jung. 1913 als Warenhaus gebaut, wurde es von der Familie Prager zum Hotel Elite umgestaltet. Der Name Carlton kam hinzu, um dem Haus mehr Internationalität zu verleihen. Der Hotelbetrieb wurde 1999 eingestellt und als Restaurant von Daniela und Markus Segmüller wieder eröffnet.

Erlebnisreicher À-la-carte-Brunch

30 Personen arbeiten im Carlton. Die legendäre Party am Dienstagabend ist stadtbekannt, «der Ruf eilte uns allerdings etwas voraus», erzählt Flavia Jung. Das Konzept und die Partygäste hätten sich verändert. Die Party findet nicht mehr im gesamten Bereich statt, sondern exklusiv in der Bar, dafür wurde die Happy Hour auf zwei Stunden verlängert. Das Augenmerk richtet sich verstärkt auf die Gastronomie- und Tee-Kultur. Weil Daniela Segmüller keinen Kaffee mag, sondern lieber Tee trinkt, hat sie den English Afternoon Tea ins Leben gerufen, der nicht zuletzt bei den Stammgästen sehr beliebt ist. Auch als Brunch-Lokal hat sich das Carlton etabliert. «Zürich hat sich in den letzten Jahren zu einer richtigen Brunch-Stadt entwickelt», freut sich Flavia Jung. «Als Gastro-Unternehmen ist es wichtig, etwas anzubieten, was nicht alle machen. Wir setzen auf einen erlebnisreichen À-la-carte-Brunch.» Auf der Karte stehen eine Smoothie-­Bowle oder die Avocado-Focaccia, Egg Benedict und Wienerschnitzel. Als Höhepunkt wird der Schottische Rauchlachs am Tisch tranchiert und die Crêpe Suzette vor den Augen des Gastes flambiert.

Flavia Jung wuchs auf einem Bauernhof auf und wusste schon früh, was sie will. Um den Sprung ganz nach oben zu schaffen, bildete sich die 27-Jährige zur eidgenössisch diplomierten Gastro-Unternehmerin weiter. Valentina Andräs, stv. Geschäftsführerin und Restaurantleiterin, gehört seit letzten Herbst zur Carlton-Spitze. Die gebürtige Deutsche arbeitete in einem Restaurant, um sich das Studium zu finanzieren. Mit 27 drückte sie nochmals die Schulbank – für die Lehre zur Hotelfachfrau. «Mich zog es in die Hotellerie, also nahm ich die Bemühungen gerne auf mich», sagt die heute 34-Jährige. Sie verdiente sich ihre Sporen in einem Fünfsternehaus in Hamburg ab, ehe es sie nach Zürich verschlug. In der gehobenen Gastronomie fühlt sie sich aufgehoben.

Was wünscht er sich denn heute, der Gast? «Finessen sind entscheidend», sagt Valentina Andräs prompt. Der Gast erwarte beispielsweise, Wasser und Wein eingeschenkt zu bekommen und dass man ihn mit Namen anspreche. Es gehe nichts über Aufmerksamkeit und gelebte Gastfreundschaft.

Evans Walter ist der Fels in der Brandung. Seit 15 Jahren arbeitet er als Reinigungskraft und im Unterhalt für die Segmüller Collection. Dazu gehören die Betriebe Carlton, Loft Five, Adlisberg, La Bottega di Mario, James Joyce und neu auch das Sablier am Circle am Flughafen Zürich. Eingesetzt wird Evans auch im Mittags-Kaffeeservice in der Bar. Zudem erfüllt er die Funktion des Concierge. Er kennt die Autos der Stammgäste und hält die Parkplatzkette für sie offen, wenn sie vorfahren. Die Gäste mögen ihn, weil er immer ein Lächeln auf den Lippen hat.

"Kochen ist Disziplinsache"

Die Carlton-Küche wurde jüngst mit 14 Gault-­Millau-Punkten ausgezeichnet. Philipp Heering heisst der Meister am Herd. «Kochen ist Disziplinsache», ist er überzeugt. Er sei keiner, der das Rad neu erfinden wolle und auf jeden Trend aufspringe. «Aber am Ball bleiben ist wichtig und beobachten, was rundherum passiert.» Seine Küche ist klassisch-französisch angehaucht. Er experimentiert mit neuen Garmethoden, mit Sous-Vide, Stickstoff und kreativen Anrichte-Techniken. «Man muss seinen Gästen etwas bieten, sonst können sie auch zuhause essen.»

Gewürze sind ihm wichtig. Und er lässt das Rindstatar gerne direkt am Tisch zubereiten, damit der Gast zuschauen kann – das Gesamterlebnis als Teil der Erinnerung. Die neue Karte umfasst unter anderem ein Hering-Gericht, eine Anspielung auf seinen Namen. Hat er noch einen Kochtipp für die Leserinnen und Leser parat? «Ein Spiegelei brät man am besten im Ring.» Und immer zuerst etwas Salz in die Pfanne geben, bevor man das Ei darin aufschlägt. Und wie gelingen die von vielen geliebten Spargeln im Frühling? «Gründlich schälen und für den perfekten Geschmack Zitrone und Zucker ins Salzwasser geben.» Aber noch wichtiger sei, da ist der Küchenchef überzeugt: «Nie aufgeben, wenn es mal nicht so klappt mit dem perfekten Gericht.»

Alle Betriebe der Segmüller Collection, ausser das Tessiner Restaurant La Bottega di Mario, sind wieder geöffnet. Angepasste Öffnungszeiten: Carlton, 11.30–14.00 Uhr / 18.00–23.00 Uhr. In der Carlton Bar sind Apérogäste schon um 17 Uhr willkommen. www.carlton.ch

 

 

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