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Reportage

Blick auf den Escher-Wyss-Platz mit dem Werk des kubanischen Künstlerduos Los Carpinteros. Bild: Helena Wehrli

Symbol für ein Stück Industriegeschichte

Von: Urs Hardegger

31. März 2015

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt in einer Serie jede zweite Woche eine solche Story. Heute: der Escher-Wyss-Platz.

Was wäre eine Stadt ohne ihre Plätze? Bereits im Mittelalter waren sie die zentralen Orte der Begegnung und des Handels. Später kam ihre Bedeutung als Verkehrsknotenpunkte und Umsteigeorte dazu. Auf diesen öffentlichen Bühnen des urbanen Lebens bietet sich einer Stadt die Möglichkeit, architektonische Akzente zu setzen. Funktionale oder ästhetische Aspekte? Beim Escher-Wyss-Platz im Industriequartier triumphieren die funktionalen. Ein-, Aus- oder Umsteigen war über viele Jahre der einzige Anlass, sich an diesem Ort aufzuhalten. Seit der Verschiebung der Haltestelle in die Limmatstrasse ging auch diese Aufgabe verloren, und man fühlt sich im Schienengewirr bereits im Vorhof des Tramdepots Hard.

Eng verbunden ist der Ort mit der Geschichte der Maschinenfabrik Escher-Wyss, die in den 1890er-Jahren ihren Produktionsstandort hierher verlegte. Escher-Wyss steht für ein Stück Zürcher Industriegeschichte, die begann, als der Architekt Hans Kaspar Escher mit dem Kaufmann Salomon Wyss im Jahr 1805 eine mechanische Spinnerei mit eigener Maschinenwerkstätte erwarb. Als England – das damalige Vorbild des industriellen Fortschritts – von 1806 bis 1814 durch Napoleons Kontinentalsperre vom Festland abgeschnitten war, packten die beiden die Gelegenheit beim Schopf und bauten die englischen Maschinen und Wasserkraftanlagen nach. Bald gelang es, technisch mit England gleichzuziehen, auf vielen Gebieten es gar zu überflügeln und sich internationale Reputation zu erwerben. Man diversifizierte weiter, und nach kurzer Zeit waren Wasserräder, Pumpen, Schiffe, Turbinen und Transmissionsanlagen aus dem Hause Escher-Wyss auf der ganzen Welt im Einsatz.

Auf Prestige scheint der fast schmucklose Platz unter der Hardbrücke keinen Wert zu legen. Der Versuch, ihn mit dem spektakulären Künstlerprojekt Nagelhaus aufzuwerten, ist kläglich gescheitert. Die Stimmbürger erteilten im Jahre 2010 der «goldige Schiissi», wie die Gegner polemisierten, eine Abfuhr. Nach der Entfernung des Fontana-Brunnens sind die fünf gemauerten Bohraufsätze des kubanischen Künstlerduos Los Carpinteros als einzige Zierde verblieben.

Flaggschiff in Schieflage

Ein rauer Wind wehte dem exportabhängigen Unternehmen in der Weltwirtschaftskrise, Ende der 1920er-Jahre, entgegen. Der Absatz brach förmlich ein, das stolze Flaggschiff der Zürcher Industrie geriet in Schieflage. Über 1850 Arbeitsplätze waren in Gefahr. Trotz Stellenabbau und Lohnreduktion wollte der Turnaround nicht gelingen, und das Traditionsunternehmen stand vor dem Konkurs. Es brauchte das Eingreifen der Stadt, die trotz der prekären Finanzlage dem Unternehmen unter die Arme griff und Schulden und Liegenschaften übernahm. Wegen dieses ordnungspolitischen Eingriffs in die Privatwirtschaft meldete die «Neue Zürcher Zeitung» ernste Bedenken an. Doch letztlich stimmte das Stadtzürcher Parlament ohne Gegenstimme zu, und die Firma konnte gerettet werden. Das endgültige Aus kam dann allerdings doch, als im Jahr 1995 die Firma – sie hiess nun Sulzer-Escher-Wyss – in verschiedene Sparten aufgeteilt wurde.

Escher-Wyss steht für Vergangenes. Doch der Nostalgie braucht man sich nicht hinzugeben, im «hochdynamischen Entwicklungsgebiet» Zürich-West ist Neues entstanden. Auf den Ruinen der einstigen Industrieareale haben Bürohochhäuser, Ausbildungsstätten, Kultur-, Freizeit- und Einkaufs­areale die rauchenden Kamine ersetzt. Was Heraklit schon vor 2500 Jahren wusste, gilt für das Escher-Wyss-Quartier ganz besonders: «Die einzige Konstante im Universum ist die Veränderung.»

Quellen:
Jubiläumsschrift «150 Jahre Escher-Wyss 1805–1955», Zürich 1955.
Amt für Hochbauten: Studienauftrag zum Escher-Wyss-Platz, Zürich 2007.

Lesen Sie am 15. April den Beitrag zur Carl-Spitteler-Strasse.

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