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Reportage

Heute eine fast surreale Szene: 1944, während der Anbauschlacht, wird der Sechseläutenplatz zum wertvollen Ackerland. Bilder: Baugeschichtliches Archiv Zürich/PD

Vom Acker zum Stadtsalon

Von: Isabella Seemann

30. Juli 2019

Er war schon vieles: Pfahlbausiedlung, Hafen, Festungsanlage, Kartoffelacker, Eisfläche und eine leblose Wiese, die ein trübes Dasein fristete. Vor fünf Jahren wurde der neue Sechseläutenplatz eingeweiht – und ist seither ein einmalig grosszügiger Begegnungsort. Ein Blick zurück auf die wechselvolle Geschichte.

Für viele Zürcher war es Liebe auf den ersten Blick, als sich ihnen im Frühling vor fünf Jahren der neu gestaltete Sechseläutenplatz präsentierte. Ein Parkett aus 250 Millionen Jahre altem Valser Quarzit, der sich gegen den See, den Uetliberg, den Albis und die Glarner Alpen öffnet.

Wenn man sich heute auf den Stühlen – ein bisschen fast wie im Pariser Jardin de Luxembourg – dem Müssiggang hingibt, ist es kaum noch vorstellbar: Aber während Jahrzehnten war der Sechseläutenplatz ein Unort neben der Verkehrsdrehscheibe am Bellevue, umgeben von kränklichen Pappeln und einem Schandfleck von einem Parkplatz, gesäumt von Abfallcontainern. Rundherum hatten sich Drogensüchtige, Randständige und Betteltouristen zusammen mit ihren Hunderudeln niedergelassen, teils in einer Weise, die nicht mehr gemeinverträglich war.

Der «Nicht-Platz» erwachte nur zum Leben, wenn die Zünfte um den brennenden Böögg den Frühlingsbeginn feierten und danach der National-Circus Knie seine Zelte aufschlug. Im neu erschienenen Buch des Verlags NZZ Libro «Sechseläutenplatz – Wie Zürich zu seinem prominenten Platz kam» wird aus verschiedensten Perspektiven seine mitunter turbulente Geschichte erzählt.

Tonnenweise Kartoffeln
Nach der Eröffnung der S-Bahn 1990 wurde die Parkplatzgestaltung ein Thema. Die Vereinigung Bellevue und Stadelhofen, die sich zusammen mit der City-Vereinigung zuvor aktiv bei den Behörden für eine Normalisierung der Verhältnisse in der Gegend eingesetzt hatte, bewarb sich beim Stadtrat um eine Trägerschaft für ein unterirdisches Parkhaus. Erst der historische Kompromiss um die Parkplatzzahl in der Stadt Zürich brach die Blockade auf.

Als die Bagger 2010 den Aushub zur Opernhaus-Tiefgarage begannen, stiessen ihre Zähne im Untergrund des Schwemmlands auf sensationelle Funde: Hier hatten im vorgeschichtlichen Zürich Pfahlbauer gelebt. Der See reichte mit einer Bucht bis zur heutigen Theaterstrasse. Dort bauten die Zürcher ab 1642 eine Festungsanlage, doch diese wurde 1833 wieder abgerissen, und ein Hafen wurde gebaut. 1880 wurde dieser im Hinblick auf den Bau der Quaianlagen aufgeschüttet. 1884 wurde die von Stadtingenieur Arnold Bürkli geplante Quaibrücke eingeweiht. Der eigentliche Sechseläutenplatz entstand 1896 nach dem Abbruch der alten Tonhalle, die ursprünglich ein Kornspeicher war. Seither blieb die Fläche frei, und die Pommes Chips knabbernden Gäste in den Cafés ahnen kaum, dass hier während der Anbauschlacht im Zweiten Weltkrieg tonnenweise Kartoffeln geerntet wurden.

Bis 1947 hiess der Sechseläutenplatz noch Tonhallenplatz. Das Bild zeigt die Anlage im Jahr 1940.

«Wir brauchten einen langen Atem»

Christoph Ackeret, diplomierter Architekt ETH/SIA und CEO der Markimo AG, war während 25 Jahren Vorstandsmitglied der Vereinigung Bellevue und Stadelhofen und wirkte von 1994 bis 2007 als deren Präsident. Er gehörte zu den Initiatoren der Projekte Parkhaus Opéra und Sechseläutenplatz und ist Co-Autor und Mitherausgeber des Buchs «Sechseläutenplatz – Wie Zürich zu seinem prominenten Stadtplatz kam».

Was empfinden Sie heute beim Anblick des Sechseläutenplatzes?
Christoph Ackeret: Freude, dass fast alles so realisiert wurde, wie wir uns das vorgestellt haben. Und dass der Sechseläutenplatz vom Publikum derart positiv in Besitz genommen wurde. Beides ist bei Bauprojekten nicht selbstverständlich.

Am Anfang stand die Initiative der Vereinigung Bellevue und Stadelhofen für ein neues unterirdisches Parkhaus.
Die Initiative der Vereinigung Bellevue und Stadelhofen bestand darin, dass sie sich zusammen mit der City-Vereinigung rechtzeitig für die Verbesserung der städtebaulichen Situation mit dem unansehnlichen Parkplatz vor dem Opernhaus einsetzte. Dies betraf sowohl die Idee der Schaffung eines Stadtplatzes wie auch eines darunterliegendes Parkhauses. Für die Erstellung und den Betrieb des Parkhauses hat sie sich als Trägerschaft bei der Stadt Zürich 1991 beworben und die Konzession dafür 1998 erhalten.

Vor genau 20 Jahren wurde der Wettbewerb zur Neugestaltung des Sechseläutenplatzes lanciert. Gewann das richtige Projekt?
Als Mitglied der Jury war ich davon überzeugt, dass wir das beste Projekt gewählt hatten. Dies, weil es in Aussicht stellte, den Stadtraum Bellevue und Stadelhofen grosszügig zusammenzufassen. Es war keine einfache Entscheidung. Wie sich gezeigt hat, wurden die richtigen Fachleute ausgewählt. Sie konnten das Projekt trotz der Anpassungen durch den Wegfall des Opernhaus-Vorbaus so umsetzen, wie wir es uns gewünscht hatten. Unter anderem gehörte dazu eine Hightech-Präzisionsarbeit bei Planung und Ausführung.

Von der Idee bis zur Einweihung: Was war die grösste Herausforderung?
Um solche Projekte umzusetzen, braucht es einen langen Atem. Alle vier Jahre kommen neue Behördenvertreter ins Amt, mit welchen man das Vertrauen für die Zusammenarbeit wieder neu aufbauen muss. Es ist deshalb entscheidend, dass man institutionell auch in der Lage ist, während fast 30 Jahren «am Ball» zu bleiben.

Auf welche Weise hat die Neugestaltung des Sechseläutenplatzes Zürich verändert?
Durch den Bau der S-Bahn wurde der Bahnhof Stadelhofen zu einem der meistfrequentierten Bahnhöfe im Raum Zürich. Stadelhofen wurde damit zusammen mit dem Bellevue zum Zentrum des Metropolitanraumes Zürich. Mit dem Sechseläutenplatz konnte der Ort nun seiner Bedeutung entsprechend attraktiv gestaltet werden.

Was ist für Sie die überraschendste Entdeckung bei Ihren Recherchen zur Geschichte des Sechseläutenplatzes?
Der Wille der Stadt Zürich, eine europäisch konkurrenzfähige Stadt zu sein und zu bleiben. Die Entwicklung des Gebiets Stadelhofen ist in dieser Hinsicht exemplarisch. Diese beginnt 1358, als die Vorstadt Stadelhofen durch die freie Reichsstadt Zürich als erstes Gebiet des zukünftigen Stadtstaates gekauft wurde. 1642 wurde sie in den kriegstechnisch zeitgemässen barocken Schanzenring miteinbezogen. Dieser wurde als Folge der liberalen Revolution nach 1833 abgebrochen. Dadurch wurden die Freiräume für die von nun an äusserst dynamische Stadtentwicklung geschaffen. Für die ab 1835 neu aufkommenden Dampfboote wurde ein Hafen gebaut. Später waren Quaibrücke und Rämistrasse Teil einer Hauptverbindungsstrasse im Kanton Zürich. Mit dem Tram ab 1882 wurde das Bellevue zu einem der wichtigsten Tramknotenpunkte. Die S-Bahn mit der europäischen Pioniertat des Verkehrsverbundes haben Stadt und Kanton Zürich ab 1990 zukunftsfähig vernetzt. Und der Sechseläutenplatz vermag schliesslich auch städtebaulich internationalen Vergleichen standzuhalten.

Architekt Christoph Ackeret hat die Geschichte des Platzes aufgearbeitet und war massgeblich an seiner Neugestaltung beteiligt. 

Weitere Informationen:
Christoph Ackeret, Gerhard Mack, Peter Noser (Hg.): «Sechseläutenplatz – Wie Zürich zu seinem prominenten Stadtplatz kam», Verlag NZZ Libro 2019.
ISBN: 978-3-03810-376-9

Bücher zu gewinnen!

Das «Tagblatt der Stadt Zürich» verlost 3 Exemplare von «Sechseläutenplatz – Wie Zürich zu seinem prominenten Stadtplatz kam». Senden Sie uns eine E-Mail mit Namen, Adresse, Telefon und Betreff Sechseläutenplatz an: gewinn@tagblattzuerich.ch

 

 

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Leserkommentare

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