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Reportage

Die Häuserzeile der Schipfe steht heute unter Denkmalschutz. Bild: H. Wehrli

Von der Klärgrube zum Touristenmagnet

Von: Urs Hardegger

20. Oktober 2015

Jeder Ort in Zürich hat seine Geschichte. Das «Tagblatt» erzählt jede zweite Woche eine solche Story. Heute: die Schipfe.

Gäbe es einen «Ehrenpreis schändlicher Vernachlässigung» – die Schipfe entlang des Limmat­ufers würde ihn erhalten, schimpfte im Jahre 1875 Friedrich Paul David Bürkli: «Jeder, der sie durchwandeln muss – ohne höchsten Zwang tut’s niemand – eilt mit beflügeltem Schritte und verhaltener Nase davon, als gälte es, der Hölle zu entfliehen.»

Offensichtlich muss es aus den Klärgruben bestialisch gestunken haben. Verständlich, dass in den dunklen Behausungen der «minderen Stadt» nur wohnte, wer es sich anderswo nicht leisten konnte. Der Drucker und Verleger Bürkli allerdings konnte wegen seines Betriebs dem Gestank nicht entgehen. Vergeblich forderte er die Behebung der unhaltbaren Zustände. Erst viele Jahre später wurde die Schipfe 1958, als letzte Häuserzeile der Stadt, an die städtische Kanalisation angeschlossen.

Diese Zustände gehören glücklicherweise der Vergangenheit an. Die renovierten Häuser entlang der Schipfe sind heute begehrte Objekte. Zentrale Lage, mitten in der Altstadt und direkt an der Limmat: Was will man noch mehr! Selten genug wird eine Wohnung frei, und wenn dies doch einmal der Fall ist, bilden sich am Besichtigungstermin lange Schlangen. Erwähnenswert sind auch die zahlreichen Kleinläden, in denen man Trouvaillen erwerben kann, die nicht überall zu haben sind, Antiquitäten, Kristalle, Taschen, Schmuck oder Skulptürchen. Seit über 100 Jahren ist der Limmatclub Zürich an der Schipfe angesiedelt. Zweimal die Woche üben sich Jugendliche unter fachkundiger Anleitung im Wasserfahren. Das Rudern und Stacheln auf den schmalen Weidlingen will gelernt sein. Von hier aus startet übrigens auch die legendäre Hirsebreifahrt nach Strassburg, die alle zehn Jahre stattfindet, das nächste Mal im Jahre 2016. Die Limmat bildete einst die Lebensader der Stadt. Praktisch das gesamte wirtschaftliche und politische Leben fand hier statt. Etliche Kirchen, Gerichts- und Marktgebäude, acht Zunfthäuser sowie das Rathaus wurden entlang des Wasserlaufs gebaut; hier siedelten sich Gewerbe und Industrie an. Fischer, Gerber, Seidenweber und Schiffsbauer waren an der Schipfe zu finden. Durch den Anlegeplatz waren sie direkt mit Zürich- und Walensee verbunden.

Krieg verhinderte Abriss

Ausschlaggebend für die Bauweise der Häuser war der begrenzte Platz. Jeder Quadratmeter musste dem Lindenhof-Hügel abgerungen werden. Dies macht die Gasse zwischen Rudolf-Brun-Brücke und Weinplatz mit ihren hohen und schmalen Fassaden so einzigartig. Aus der Zürcher Altstadt ist sie jedenfalls nicht wegzudenken, denn sie gehört zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Dabei verdanken wir es lediglich einem äusseren Ereignis, dass die Häusergruppe nicht dem Abbruchhammer zum Opfer fiel. Das Volk hatte im Jahre 1912 das Projekt des Architekten Gustav Gull für die Erweiterung der Amtshäuser bereits genehmigt. Es sah vor, das ganze Areal über den Lindenhof hinaus bis an die Limmat mit einer gigantischen Bogenhallenfassade in der Art des römischen Trajanforums zu versehen. Einzig der Ausbruch des Ersten Weltkriegs verhinderte die Ausführung. Ein letztes Mal bedroht war das Quartier im Jahre 1950. In Projekten, die allerdings nicht über das Entwurfsstadium hinauskamen, wollte man einen Teil der Häuser für eine Schnellstrasse opfern. Doch mit solch brutalen Eingriffen ist es endgültig vorbei. 1957 erhielt eines der ältesten Zürcher Quartiere doch noch den von Bürkli geforderten Ehrenpreis. Allerdings nicht als Ort der Schande, sondern als erhaltenswertes Kulturgut. Die Häuserzeile der Schipfe wurde unter Denkmalschutz gestellt.

Quellen:
Nussbaumer, Paul: Die Geschichte der Zürcher Schipfe. Zürich 1942.
Neue Zürcher Zeitung vom 15. 10. 1958 und 15. 12. 1962.

Lesen Sie am 4. November den Beitrag zum Albin-Zollinger-Platz.

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