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Reportage

«Tagblatt»-Redaktor Christian Saggese inmitten von Transportpolizisten des Stützpunktes Zürich. (Foto: Nicolas Zonvi)

Wenn am Brennpunkt die Notbremse gezogen wird

Von: Christian Saggese

23. April 2019

Aggressive Fussballfans, betrunkene Jugendliche, Taschendiebe, aber natürlich auch freundliche Passagiere gehören zum Alltag der Transportpolizei. Diese sorgt für Sicherheit und Ordnung an den Zürcher Bahnhöfen. «Tagblatt»-Redaktor Christian Saggese begleitete die Gesetzeshüter an einem Samstagabend.

Es ist Samstag, 13. April, 22 Uhr. Das Partyvolk versammelt sich am Hauptbahnhof Zürich. Es wird getrunken, geplaudert, gelacht. Aus kleinen Boxen dröhnt meist schlechte Musik. Die Stimmung ist gut, dennoch ist eine Anspannung zu spüren. Grund: Der Fanzug der Grasshoppers ist von Basel aus unterwegs in die Limmat- stadt. Erste Onlinemedien berichten, dass einige dieser sogenannten Fussballfans äusserst aggressiv sind. Mehrfach wurde im Zug die Notbremse gezogen, die Polizei musste Gummischrot einsetzen.

Wie geht man mit einer solch wilden Truppe um, wenn sie den meistfrequentierten Bahnhof der Schweiz erreicht? Jonas Gingg hat keine Zeit, sich lange darüber Gedanken zu machen. Er ist Gruppenführer der Transportpolizei Stützpunkt Zürich. Seine Aufgabe: Innert kürzester Zeit eine Taktik zu entwerfen und seine Mitarbeiter zu koordinieren, damit der potenziell brenzligen Situation Einhalt geboten wird.

Die Aufgaben und Kompetenzen der Transportpolizei

Die Transportpolizei sorgt in den Bahnhöfen und in verschiedenen Fahrzeugen des öffentlichen Verkehrs für Sicherheit und Ordnung. Sie schützen unter anderem das Bahnpersonal, das vermehrt tätlich angegangen und beleidigt wird, wie Jonas Gingg sagt. In Zürich sind es rund 30 Personen, die sich um das Sicherheitsgefühl an diesen Brennpunkten kümmern, also dort, wo täglich über eine halbe Million Menschen unterschiedlichster sozialer Schichten und Nationen aufeinandertreffen. Verlangt werden hierfür geistige Stabilität, körperliche Robustheit, Flexibilität, eine rasche Auffassungsgabe sowie eine Ausbildung an einer anerkannten Polizeischule. Ausgerüstet sind die Transportpolizisten mit Fesselungsmittel, Pfefferspray, Schlag- und Abwehrstöcken und mit einer Schusswaffe. Auch ein Sprengstoffspürhund ist im Einsatz.

Dialog, Deeskalation, Durchgreifen

Mittlerweile ist es 22.30 Uhr. Jonas Gingg entscheidet sich für den deeskalierenden Weg. Das heisst: Wenn der Zug eintrifft, zeigen die Gesetzeshüter zwar Präsenz, lassen den Fussballfans aber freien Weg. Generell folgen die SBB-Polizisten der «3-D-Regel». Das heisst: Dialog – Deeskalation – Durchgreifen.

Obwohl Gingg und sein Team schon so manche brenzlige Situationen erlebten, «lassen sich die meisten Fälle friedlich lösen», erzählt der Gruppenführer. Hierfür sei aber viel psychologisches Geschick nötig, ein wichtiger Bestandteil der Ausbildung. Zudem brauche es eine Menge Menschenkenntnis. Diese sei auch wichtig, um in den grossen Menschenansammlungen Taschendiebe frühzeitig zu bemerken. «Wir erkennen solche meist an ihrem Verhalten», verrät Gingg, «aus ermittlungstaktischen Gründen verrate ich dazu aber natürlich keine Details.»

Flaschenwerfer beim Bahnhof Stadelhofen

Es ist 23 Uhr. Der GC-Fanzug hätte mittlerweile eintreffen sollen. Rund zehn Transportpolizisten sind positioniert, ebenso Kantonspolizisten und Securitrans-Mitarbeiter. Generell ist eine koordinierte Zusammenarbeit dieser drei Sicherheitsorgane unabdingbar. Doch aufgrund einer weiteren eskalierten Situation im GC-Zug verspätet sich dieser um eine Stunde.

Zum Glück, denn ein weiterer Notruf trifft ein. Jugendliche werfen von der Passerelle aus Glasflaschen auf das Perron beim Bahnhof Stadelhofen. Innert fünf Minuten ist das Team vor Ort. Sie suchen das Gespräch mit den dort verweilenden Jugendlichen. Die Transportpolizisten dürfen Personen befragen, Ausweiskontrollen vornehmen, wegweisen und auch vorläufig festnehmen, falls nötig werden diese an die örtliche Polizei übergeben.

Die Flaschenwerfer sind aber bereits geflüchtet. Ein junger Mann, angeblich ist er 19 Jahre alt, nutzt die Präsenz der Sicherheitskräfte, um zu provozieren. «Ja, Mann, wenn ich dort drüben kiffe und spraye, könnt ihr nichts machen, der Platz gehört nicht mehr den SBB!» Lächelnd lässt sich Jonas Gingg, der seinen Job liebt, weil man immer unter Leuten ist, auf die Diskussion ein. Erklärt ihm besonnen, dass sie mit anderen Polizeikorps zusammenarbeiteten und der junge Herr dementsprechend keinen Freipass hätte, um in ihrer Nähe Verfehlungen zu begehen. Der Dialog hat gewirkt, der Junge bedankt sich artig und verschwindet. Und die Transportpolizisten machen sich auf den Weg zurück zum HB. Der Fanzug steht mittlerweile in Oerlikon, um Mitternacht soll er definitiv einfahren.

Die Lage bleibt mehrheitlich entspannt

Es ist 0.15 Uhr. Der Zug trifft ein. Man bleibt der vereinbarten Taktik treu, hält sich zurück. Die Fangruppe steigt aus, marschiert grölend in Richtung Gleis 18. Es bleibt mehrheitlich friedlich. Zwar gibt es eine kurze Rangelei zwischen FCZ- und GC-Anhängern, durch ein kurzes mündliches Eingreifen ist diese aber schnell wieder vorbei. Die Fussballfans sind friedlich geblieben. Anders als einige betrunkene Mädchen, die sich beim Treffpunkt plötzlich gegenseitig verprügeln wollen. Sie werden getrennt des Platzes verwiesen.

Bis um 5 Uhr morgens sind Jonas Gingg und sein Team noch unterwegs, nicht nur am HB, sondern auch bei den kleineren Bahnhöfen. Generell sei der 13. April aber ein eher ruhiger Abend für die Transportpolizei. Da spielt auch das miese Wetter eine Rolle, es regnet und schneit. «Viele sind wohl lieber gleich zu Hause geblieben oder gehen sofort auf den Zug, anstatt noch am Bahnhof abzuhängen», vermutet der Gruppenführer.

Lange durchatmen können die Gesetzeshüter aber nicht. Am Tag darauf steht nämlich der Match YB gegen FCZ auf dem Programm.

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