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Reportage

Mona R. mit ihrer Tochter Mirjana. Bild: Privat

Wenn das eigene Kind nicht mehr leben will

Von: Ginger Hebel

05. September 2017

Schicksalsschlag: Mona R. hat den für eine Mutter schlimmsten Verlust erlitten. Ihre Tochter hat sich mit 33 Jahren das Leben genommen. Es ist ihr ein Anliegen, dass über dieses heikle Thema diskutiert wird.

Mona R. sitzt auf der schattigen Terrasse eines Zürcher Cafés. Aus ihrer Handtasche zieht sie ein Foto, das sie mit ihrer Tochter Mirjana zeigt, darauf lachen beide. Das Foto allerdings zeigt nicht die ganze Wahrheit. Mirjana hatte psychische Probleme, die stärker waren als alles andere. «Es gab diesen Punkt, da kam ich einfach nicht mehr an sie ran», erzählt Mona R. Mit 33 Jahren beging ihre Tochter Suizid. Drei Jahre sind seit ihrem Tod vergangen. «Ich fragte mich oft, warum sie sich mir nicht anvertraut hat, wir hatten es doch gut.»

Mona R., eine gebürtige Berlinerin, bekam ihre Tochter mit 19. Sie war alleinerziehend, zog mit ihrem einzigen Kind oft um, «es war keine einfache Zeit», resümiert die heute 56-Jährige. In Zürich bauten sie sich ein neues Leben auf. Sie sah mit Freude, wie sich ihre Tochter zu einer selbstständigen jungen Frau entwickelte und als Sozialpädagogin Fuss fasste. «Sie war ein offener Mensch und äusserst hilfsbereit.» Doch die Depressionen veränderten sie. Sie zog sich immer mehr zurück, redete kaum noch über ihre Probleme.

Quälende Gedanken

Hinterbliebene von Suizidopfern fühlen sich oft allein gelassen in ihrem Schmerz. Sie quälen sich mit der Frage nach dem Warum. Hinzu kommen Freunde und Bekannte, die sich abwenden, weil sie mit der Situation oftmals nicht umgehen können. Viele wollen gar nichts sagen oder fragen, «dabei rede ich gerne über meine Tochter», sagt Mona R. Sie erinnert sich daran, wie eine Freundin ihrer Tochter ihr in der akuten Trauerphase unaufgefordert eine Lasagne vorbeibrachte, «diese Geste habe ich sehr geschätzt». Im Zürcher Verein Refugium begegnete Mona R. Menschen, die wie sie eine ihnen nahestehende Person durch Suizid verloren haben. «Es tat mir gut, mit Leuten zu reden, die Ähnliches durchmachen.»

Es ist ihr ein Anliegen, dass Betroffene von den verschiedenen Gesprächsangeboten erfahren. In Zukunft wird sie selber Hinterbliebenen für Gespräche zur Verfügung stehen. «Es ist möglich, wieder ein glückliches Leben zu führen, trotz diesem schweren Verlust», ist sie überzeugt. Reden kann retten Suizidprävention ist aktuell ein grosses Thema. Die Gesundheitsdirektion des Kantons Zürich hat es als Schwerpunktprogramm gewählt und die Kampagne «Reden kann retten» lanciert. Sie soll dazu beitragen, dass es Menschen in Lebenskrisen sowie ihrem Umfeld leichterfällt, über Suizidgedanken zu sprechen. Ein guter Ansatz, wie Mona R. findet.

Sie denkt oft an ihre Tochter. «Mir kommen jetzt immer häufiger die schönen Momente in den Sinn. Dann bin ich dankbar für die Zeit, die wir zusammen hatten.»

In einer Krise? Hier bekommen Sie Hilfe!

Tel. 147: Kostenlose Rufnummer für Kinder und Jugendliche

Tel. 143: Sorgentelefon Dargebotene Hand für Erwachsene

Informationen zur nationalen Kampagne zur Suizidprävention: www.reden-kann-retten.ch

Verschiedene Vereine und Institutionen bieten Trauernden Unterstützung an. www.trauernetz.ch

«Unser Ziel ist die Reduktion, niemand will Nachahmung fördern»

Am 10. September findet der Welttag der Suizidprävention statt. Seelsorger Jörg Weisshaupt engagiert sich seit vielen Jahren für dieses Thema.

Derzeit läuft die nationale Präventionskampagne «Reden kann retten» der SBB und des Kantons Zürich. Wie wichtig ist es, über Suizid zu sprechen?

Jörg Weisshaupt: Sehr wichtig. Wir haben in der Schweiz eine hohe Suizidrate. 1000 Personen nehmen sich jährlich das Leben, dreimal so viel, wie durch Verkehrsunfälle ums Leben kommen. Darüber reden ist also wichtig, die Frage ist nur, wie. Denn unser aller Ziel ist die Reduktion, niemand will Nachahmung fördern.

Jeder Mensch hat einmal ein seelisches Tief.Wie merkt man als Aussenstehender, dass jemand Hilfe braucht?

Zuhören ist das Wichtigste. Gespräche können entlasten und neue Wege öffnen. Auch viele junge Menschen leiden unter Depressionen. Sie reagieren aber häufig hyperaktiv und nicht traurig, dadurch wird der Ernst der Lage oft nicht erkannt.

Wie verhält man sich richtig, wenn man spürt, dass es jemandem schlecht geht?

Indem man die Person darauf anspricht. Man macht nie etwas falsch, wenn man fragt.

Sie setzen sich stark für Hinterbliebene ein und haben die neue Plattform Trauernetz gegründet. Warum?

Jeder Mensch trauert anders. In unserer Gesellschaft muss man funktionieren, da hat Trauer oft keinen Platz. Vielen Hinterbliebenen tut es gut, wenn sie sich mit Menschen austauschen können, die Verständnis und Geduld haben. Es ist mir zudem ein Anliegen, dass die Leute von den Gesprächsangeboten erfahren und sehen, dass es Perspektiven gibt nach einem traumatisierenden Verlust. 

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