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Reportage

"Ich komme irgendwann, vielleicht schon heute. Es wird vielleicht brutal." Bild: PD

Wenn die Liebe zum Wahn wird

Von: Isabella Seemann

03. September 2013

Ein Gerichtsfall über Stalking.

Er ist ein Mann in den besten Jahren, mit Glatze, Schnauz und kernigem St. Galler Akzent. Die Versicherungsbranche bietet ihm eine auskömmliche Existenz, er hat eine Frau, eine Ex, drei halb erwachsene Kinder und ein abbezahltes Haus. Sie ist 37 Jahre alt, Modeverkäuferin, aus Russland stammend. Kennen gelernt haben sie sich auf einer Casual-Dating-Plattform. Seine Verliebtheit schmeichelte ihr, aber die Dame mit Vergangenheit hielt ihn für einen Mann ohne Zukunft.

Nach sieben Monaten beendete sie die «Beziehung ohne Verpflichtung». Er konnte es nicht glauben. Nicht, dass es endgültig sein sollte. So sehr er auch bettelte und drohte – per SMS, Telefon und persönlichem Besuch –, sie bestand auf getrennten Lebenswegen. Sie liess sich auch nicht von zerstochenen Autoreifen zurück ins Bett locken.

Franz F.* beharrte auf der Verabredung, die er der Ex-Geliebten abgerungen hatte: Wenn sie frei sein wolle, müsse sie noch ein letztes Mal mit ihm schlafen. «Wir haben einen Deal, besser du hältst dich daran», tippte er ins Mobiltelefon. «Ich komme irgendwann, vielleicht schon heute. Es wird vielleicht brutal.» Erst als er drohte, im Shoppingcenter Nacktbilder von ihr zu verteilen, zeigte sie ihn an. Darüber und über die 104 unerwünschten Kontaktversuche zu seiner Verflossenen verhandelt nun das Bezirksgericht. Stolz korrigiert er die Anklage: «Ich habe allein im Juli 200 SMS verschickt.» Den ganzen letzten Sommer über rief er bei ihr an, zu Hause, in der Boutique, bis zu 30-, 40-mal an einem Tag, Mails, SMS, dass die Speicher explodierten. Tagelang lungerte er vor dem Schaufenster herum. Sie schrieb einen Brief: «Lieber Franz, ich teile Dir hiermit mit, dass unsere Beziehung beendet ist.» Doch Franz blieb für Zurückweisungen unempfindlich. Im Gegenteil, sie stachelten ihn an, seiner Angebeteten noch mehr Blumen und Briefe zuzutragen. «Was ist an Frau O.s Brief missverständlich?», fragt der Richter. «Oh», sagt Franz, «nach dem Brief haben wir doch versucht, uns wieder anzunähern». Er schrieb ihr zurück: «In Gedanken bin ich immer bei Dir.» Er verschwand einfach nicht aus ihrem Leben, er ist darin geblieben wie ein Schatten der Vergangenheit, der nicht von ihrer Seite wich. Vollkommen taub gegen alle Worte der Russin, stellte er seiner Ehefrau die Scheidung in Aussicht und teilte ihr seine «gemeinsamen Zukunftspläne» mit Oksana mit. So lernte Oksana ungewollt auch die Gattin des Angeklagten kennen. Die stürmte eines Tages die Boutique und beschimpfte die Verkäuferin als «Hure und Schlampe».

Oksana hatte längst einen neuen Freund, was Franz nicht kümmerte. «Wenn es ihr neuer Liebhaber wäre, dann hätte er mich rausgeschmissen, als ich sie besuchte, das ist doch nur platonisch», sagt er trotzig. Oksana und ihr neuer Freund haben besonnen reagiert; wer weiss, was passiert wäre, wenn sie die Situation gelöst hätten, wie es Franz provozierte.

«Prüde ist sie jedenfalls nicht»
Dies ist eine Geschichte ohne Blut und ohne physische Gewalt. Es geht um versuchte Nötigung, Drohung, Missbrauchs einer Fernmeldeanlage und Verletzung des Geheim- oder Privatbereiches durch Kameras und Aufnahmegeräte. Franz soll heimlich Oksanas Intimbereich fotografiert haben. «Chabis. Sie posierte ja in Lackklamotten dafür und stellte die Bilder selber ins Internet», erzählt der Hobby-Pornograf freimütig. Dass sich Sex dereinst zu einer zubehörintensiven Freizeitbeschäftigung der unteren und mittleren Klasse entwickeln würde, konnten die Wegbereiter der sexuellen Revolution nicht vorhersehen. «Ich könnte Ihnen Geschichten erzählen; prüde ist sie jedenfalls nicht, also soll sie sich wegen der Föteli nicht so haben.»

Breitbeinig und breitschultrig sitzt der grosse Mann mit dem grossen Bauch auf seinem Stuhl. Dunkel umwölkt sind seine Augen im fleischigen, grossporigen Gesicht. «Ich meinte es nicht böse», sagt er, «wenn ich an jemandem hänge, komme ich nicht los.» Eine Obsession, der Mangel an Distanz aus der Fixierung auf sich selbst. Er war beim Psychologen, denn schon die Trennung von seiner ersten Frau sei ausgeartet. «Herr Richter, waren Sie schon einmal verliebt?», fragt Franz herablassend, als sei er der einzige Mensch auf der Welt, der je geliebt hat. «Ja, sicher», antwortet der Richter gereizt und unterbricht den selbstverliebten Redefluss des Angeklagten mit der Urteilsverkündung. Die Geldstrafe von 17 000 Franken setzt der Richter auf Bewährung aus, die Busse von 2000 Franken muss Franz aber bezahlen, wie auch eine Genugtuung von 1000 Franken an Oksana. Da heult der starke Mann auf: «Können Sie nicht um die Hälfte runtergehen? Das Studium für die Tochter, ein neues Dach für das Haus…»

Der Richter lässt nicht mit sich handeln, «das ist kein türkischer Basar hier», und mahnt Franz, das Kontaktverbot einzuhalten. Franz nickt einsichtsvoll: «Vielleicht kann man sich ja in einem Jahr mal wiedersehen.» – «Lassen Sies lieber», sagt der Richter und rauft sich im Geiste die Haare.

* alle Namen geändert

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