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Reportage

Der grosse Ausverkauf: Gantleiter Fritz Forrer während der Versteigerung. Bild: JS

"Wir verkaufen hier die ganze Schweiz"

Von: Jan Strobel

18. Februar 2014

Jeden Donnerstagnachmittag kommen im Gantlokal an der Bullingerstrasse Objekte aus Pfändungen unter den Hammer. Wir besuchten eine Versteigerung.

Es sind zwei Sätze, die jeden, der sie liest, nachdem er den amtlichen Brief voller Sorge geöffnet hat, in eine kurze Schockstarre versetzen: «Wir fordern Sie hiermit auf, im Amtslokal, Büro Nr. 300, zur Einvernahme über Vermögens- und Einkommensverhältnisse zu erscheinen. Anschliessend folgt der Pfändungsvollzug am Domizil.» Es ist ein albtraumhafter Einbruch ins Allerprivateste, das Eingeständnis eines Scheiterns, die Offenlegung des zu lange ignorierten Abgrunds.

Am Ende eines solchen Pfändungsprozesses steht in den aussichtslosesten Fällen das städtische Gantlokal an der Bullingerstrasse 60.  Hier kommen jeden Donnerstag gepfändete Objekte unter den Hammer. An diesem Nachmittag sind es zum Beispiel edelste Damen- und Herrenuhren, Schmuck, Laptops, Stereoanlagen, eine Tiefkühltruhe, eine Gitarre, Schachfiguren, Wein aus dem Château Mouton Rothschild oder die Spirituosen einer Hausbar – Lebensentwürfe und Schicksale, zur öffentlichen Begutachtung ausgebreitet.

Den Besuchern hat es besonders Objekt Nummer 29 angetan, die Herrenuhr von Cartier, Automat mit Datum, Stahl und Gold, Saphirglas. Neben der Porsche-Uhr ist sie das teuerste Objekt  an diesem Ganttag, «4500 Franken hat die mal gekostet», sagt Gantleiter Fritz Forrer, der zusammen mit Kollege Marcel Mauch die Versteigerung durchführt.

Besucher und Gantleiter kennen sich, es ist eine regelrechte Gantszene, die sich hier einfindet, ein geschäftsfreudiges Netzwerk. «Gut 80 Prozent sind Stammkunden», bestätigt Mauch. «Ein grosser Teil von ihnen sind Trödler, viele der ersteigerten Gegenstände können Sie später auf irgendeinem Flohmarkt wiederfinden.» Aber auch Sammler mischen sich bisweilen unters Publikum oder Weinliebhaber, die ihren Keller um einen edlen Tropfen bereichern wollen.

Keine mickrigen 5 Fränkli
Punkt 14 Uhr begibt sich Forrer hinter sein Podestchen und eröffnet die Versteigerung, erläutert kurz noch einmal die Regeln. Objekte händigt der anwesende Pfändungsbeamte nur gegen Barzahlung aus, ersteigerte Gegenstände müssen vom Käufer sofort fortgeschafft werden.

Als Erstes kommt eine Pultuhr aus Messing an die Reihe, «Achttagewerk mit Wecker», ruft Forrer in den Raum. Das Stück wechselt schliesslich für 50 Franken den Besitzer, und der Gantleiter ist höchst zufrieden: «Das sind Gebote! Keine mickrigen 5 Fränkli.» Danach folgt ein Damenring, Gold, mit 20 Brillanten, der 220 Franken erzielt. «Als Nächstes haben wir hier eine Taschenuhr, Silber, mit Wilhelm Tell und Helvetia, eingraviert auf dem Deckel. Wir verkaufen hier also die ganze Schweiz», scherzt Forrer. Das Teil geht für 160 Franken weg. Mauch notiert den Kauf in seinen Computer.

Allerdings: Nur eine Minderheit der Gegenstände, die an der Bullingerstrasse unter den Hammer kommen, stammen noch aus Pfändungen. «Sie kommen auch von privaten Einlieferern, oder es sind Hinterlassenschaften Verstorbener, die keine Angehörigen mehr haben. Auch Deliktgüter, welche nicht mehr zugeordnet werden können, sind bei uns im Angebot», führt Mauch aus.

Gepfändetes brächte kaum mehr etwas ein. Es decke die Kosten nur unzureichend. Die Liste der unpfändbaren Gegenstände ist heute lang. Kleider, Hausgeräte oder Möbel, die als unentbehrlich geltend gemacht werden können, bleiben beim Schuldner. Ebenso Gerätschaften, Werkzeuge oder Instrumente, die für die Ausübung des Berufs notwendig sind, und das ist natürlich oft Ansichtssache. Übrig bleibt dann vielfach nur Ramsch – oder aber offensichtlich verzichtbare Luxusobjekte wie der 50-Zoll-Flachbildschirm, der  jetzt gerade versteigert wird.

2012 kam es in der Stadt zu 50 071 Pfändungen, leicht weniger als 2011, aber immerhin rund 4 Prozent mehr als noch 2002. 23 820 Pfändungen verliefen «ergebnislos», es war weder pfändbares Vermögen noch pfändbares Einkommen vorhanden.

«Wenn es zu Versteigerungen bei Pfändungen besonders von Immobilien oder schwer beweglichen Sachen kommt», sagt Mauch, «finden sie heute oft direkt vor Ort statt. Wir hatten auch bereits die Idee, eine Onlineplattform ins Leben zu rufen. Auch das Gantlokal muss mit der Zeit gehen.»

Immerhin: Am 6. März wartet das Gantlokal mit einem besonders exquisiten Objekt auf. Zu ersteigern gibt es dann nämlich einen Rolls-Royce Silver Shadow, Baujahr 1972.  Der Anfangspreis liegt, wie üblich bei gepfändeten Gegenständen, bei einem Franken. Der Rolls, er wird wieder so ein Zeuge eines gescheiterten Lebens sein. Und Mauch sagt etwas nachdenklich: «Die Schicksale hinter diesen Dingen – sie gehen einem manchmal wirklich ans Herz.»  

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